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Mechthild Rawert: Flüchtlingspolitik - Wer eine inklusive Gesellschaft will, muss Teilhabe für alle gewährem

Teilhabe für alle ist die Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft, so das Fazit der Bundestagsabgeordneten Mechthild Rawert am 6. Juli zum Auftakt des Berliner Modells für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge unter der Schirmherrschaft von Walter Momper, Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin.
Moderiert wurde der Auftakt von Günter Piening, Beauftragter für Integration und Migration, und Leiter der Steuerungsgruppe. Sie besteht aus Nichtregierungsorganisationen sowie staatlichen Stellen und trifft ihre Entscheidungen im Konsens - aus Sicht von Rawert ein guter Ansatz, der die Akzeptanz für das Modellprogramm erhöht.



Berlin als Vorreiterin bei der Umsetzung der EU- Aufnahmerichtlinie


Nach der EU- Aufnahmerichtlinie von 2003 sollen unter allen AsylbewerbernInnen die besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge ermittelt werden. Die besondere Schutzbedürftigkeit soll durch eine Einzelprüfung festgestellt und in Bezug auf die materiellen Aufnahmebedingungen und die medizinische Versorgung berücksichtigt werden. Diese Vorgabe hat Deutschland bis heute nicht in nationales Recht übernommen, folglich müssen die Verpflichtungen auf kommunaler und Länder- Ebene umgesetzt werden. Dies soll in der Hauptstadt nun erstmals modellhaft praktiziert werden.
Mit dem Berliner Modellprogramm soll die medizinische und schulische Versorgung von Menschen, über deren Asylantrag noch keine abschließende Entscheidung getroffen wurde, verbessert werden. Vor allem für traumatisierte, gefolterte und vergewaltigte Menschen bedarf es von Anfang an einer besseren psychosozialen Versorgung. Im Rahmen des Berliner Modells sollen jährlich 500 bis 600 Flüchtlinge versorgt werden.


Kultursensibilität für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge


Ein Modell wie dieses leiste einen unschätzbaren Beitrag zur gelebten Integration und zur Umsetzung des Artikel 1 unseres Grundgesetzes "Die Menschenwürde ist unantastbar", so Rawert. In allen Bereichen, insbesondere aber bei den Erst- und Folgekontakten mit besonders vulnerablen, verletzlichen, schutzbedürftigen Flüchtlingen bedürfe es einer größeren Kultursensibilität.
Essentiell für das Gelingen des Modellprojekts, dies wurde in den Beiträgen der PodiumsteilnehmerInnen deutlich, ist das Überwinden von Sprachbarrieren und kulturellen Trennlinien. Hierzu bedürfe es der Errichtung eines professionellen Dolmetscherdienstes. Dass dies funktioniert, zeigen Beispiele aus Dänemark oder Großbritannien, wo MigrantInnen und AkteurInnen im Gesundheitswesen DolmetscherInnen bzw. eine Hotline "Language line" zur Verfügung stehen. Rawert ist überzeugt: Maßnahmen wie diese tragen zur besseren medizinischen Versorgung, zur Steigerung von Lebensqualität und aufgrund individueller Versorgung letztlich auch auch zur Kostenreduzierung des Gesundheitswesens bei.


Auch die SPD- Bundestagsfraktion macht sich seit längerem für die Stärkung der Rechte von vulnerablen Flüchtlingen stark. Mehr dazu hier:
Grundsätzlich ist es sicherlich so, dass Migration und auch Flüchtlingspolitik noch überwiegend unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten gesehen wurde. Auch ein arbeitsmarkrechtlicher Ansatz alleine reicht nicht aus. Als Leistungsträger müssen vor allem auch das Gesundheitswesen, als auch Soziales im Rahmen einer funktionierenden Integrationspolitik gestärkt werden. Es geht nicht an, dass für eine häufig viel zu lange Zeit in Deutschland lebende Menschen vom allgemeinen Zugang zum Gesundheitswesen ausgegrenzt werden.


„Eine stärke Öffnung des Gesundheitswesens gemäß der Vielfalt der in Deutschland Lebenden war schon im Laufe dieser Legislaturperiode mein Anliegen. Einen gesetzgeberischen Erfolg hatte ich beim Pflege- Weiterentwicklungsgesetz. Ich werde mich auch in der nächsten Legislaturperiode auf Bundesebene dafür stark machen, dass auch die Situation besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge auf die Agenda der Gesundheitspolitik kommt und nicht mehr primär überwiegend aus ordnungspolitischer Sicht entschieden wird“, so Rawert. Eine aufnehmende Gesellschaft, die Flüchtlinge als Bereicherung und nicht zuallererst als Belastung begreift, sollte diese Chance einer verbesserten Integration nutzen.


Hintergrund:
Ziel des Berliner Modells für besonders schützbedürftige Flüchtlinge ist ab dem 01. September 2009 die Errichtung eines auf Einzelprüfungen bestehenden Verfahrens zur Identifizierung und Versorgung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge. Deren Versorgung u.a. auch im Gesundheitsbereich ist derzeit nicht ausreichend gesichert.
Mit dem im Modellprojekt gewählten Verfahren wird in für die Bundesrepublik vorbildhafter Weise die für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vorgesehenen Bestimmungen der „Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten“ umgesetzt. Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge sind gemäß Art. 17 I EU- Aufnahmerichtlinie Personen „wie Minderjährige, unbegleitet Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben“.
Das Verfahren soll in drei Stufen erfolgen: 1. Die Ermittlung und Weiterleitung von besonders schutzbedürftigen Flüchtlingen an sog. Fachstellen erfolgt durch die MitarbeiterInnen der Erstanlaufstellen. Diese MitarbeiterInnen werden im Rahmen von Fortbildungen besonders geschult und sensibilisiert. 2. Die Feststellung der besonderen Schutzbedürftigkeit und des Hilfebedarfs erfolgt u.a. durch einen psychosozialen Gesundheitscheck und eine fachliche Diagnostik. 3. Mit der diagnostischen Feststellung, der Bescheinigung über das Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit und der Aussage zu einem spezifischen Hilfebedarf können sich die Betroffenen an ihre Leistungsträger werden und dort die Gewährung der erforderlichen medizinischen und materiellen Hilfen gemäß § 6 Asylbewerberleistungsgesetz und analog SBG XII beantragen.


Zur Ermittlung, Weiterleitung und medizinischen, psychologischen und psychosozialen Versorgung dieser vulnerablen Flüchtlingsgruppen wird mit dem Berliner Modell ein mehrstufiges Verfahren eingeführt. Dabei wirken die Erstanlaufstellen, u.a. Sozialämter, die Zentrale Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber, das Bundesamt für Migration, die Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder niedergelassene ÄrztInnen und PsychologInnen zusammen.
Personen, bei denen eine besondere Schutzbedürftigkeit festgestellt wurde, werden dann durch die entsprechenden Fachstellen, bspw. Xenion e.V., die AWO- Frauenberatung oder das Berliner Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen versorgt.