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Mechthild Rawert im Gespräch

Die Praktikantin der Verwaltung des Deutschen Bundestages Tess Kühl führte am 29. März 2012 das folgende Interview mit der SPD-Bundestagsabgeordenten Mechthild Rawert aus Tempelhof-Schöneberg:

Wie sind Sie zur Politik gekommen?
Seitdem ich Jugendliche bin, mache ich politische und gesellschaftliche Arbeit.
Ich war Mitglied in den unterschiedlichsten Vereinen und Verbänden. Ungefähr mit Mitte 20 bin ich in eine Gewerkschaft eingetreten und mit Ende 20 hatte ich das Gefühl, es reicht nicht aus, dass andere über mein Leben entscheiden, ich will selber was tun. Eine „Zaungast-Rolle“ genügte mir nicht mehr. So kam zur Arbeit in den Vereinen und der Gewerkschaft die SPD-Parteiarbeit hinzu.

Warum sind Sie der SPD beigetreten?
Als ich überlegt habe, in welche Partei ich eintreten soll, standen für mich zwei zu Auswahl. Auf der einen Seite waren dies die Grünen und auf der anderen Seite die SPD. Die SPD war und ist für mich von den Grundwerten und von den Leuten her, überzeugender und aktiver im Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Im Hinblick auf die große Herausforderung „Zusammenhalt der Gesellschaft“ und zwar für alle, setzte und setzt sie sich für die gesamte Gesellschaft ein.


Haben Sie es jemals bereut, Politikerin geworden zu sein?
Nein. Aber es ist natürlich wie in jeder anderen Berufstätigkeit auch, dass frau nicht jeden Morgen aufsteht und „Hurra“ ruft. Auf jeden Fall möchte ich es sehr gerne weitermachen.


Haben sie ein menschliches oder politisches Vorbild? Wenn ja, wer ist es?
Mir imponiert Gesine Schwan sehr. Sie ist eine durch und durch politische Frau und ist auch Mitglied in vielen Verbänden. Eine Frau wie Rosa Luxemburg ist durchaus auch ein Vorbild für mich. Vorbilder gibt es für mich eine ganze Menge.


Sie sind ja u. a. Mitglied des Berliner Frauenbundes 1945. Wie stehen Sie zu der Diskussion, dass gesetzlich geregelt wird, dass es eine Frauenquote geben soll?
Super! Die unterstütze ich mit allem, was ich kann. Die Quote die ich meine, ist eine von 40% und aufwärts. Wir haben in der SPD eine Geschlechterquote, 40%/40%/20%. Worüber wir auch schon vor 10-15 Jahren innerhalb der Partei und der Regierung debattiert haben, ist, ob es wirklich ein Gesetz geben muss, in dem es heißt, dass es eine Frauenquote geben soll. Man hat dann gesagt, dass vielleicht eine Selbstverpflichtung reichen würde. Diese Selbstverpflichtung ist ausgetestet worden. All die, die jetzt dagegen schreien, haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sie nichts dafür getan haben. Also muss es doch ein Gesetz geben.


Finden Sie es nicht ungerecht, dass nach Geschlecht und nicht nach Leistung verteilt wird?
Genau deswegen bin ich ja für die Frauenquote. Frauen sind leistungsstark und haben derzeit die besseren Schulabschlüsse. Dummerweise ist es so, dass die jungen Mädchen und Frauen im Augenblick nicht die Belohnung dafür bekommen. Sobald der Um-schwung von der Bildungsinstitution in Richtung Arbeitsmarkt passiert, wird da nicht mehr nach Leistung vorgegangen. Hier ist die große Ungerechtigkeit und deshalb wollen wir mit der „Krücke“ Frauenquote dieser Ungerechtigkeit auf die Sprünge helfen, damit sich das ändert. Männer werden schlicht und einfach bevorzugt. Gegen diese Bevorzugung, die nicht auf Leistung beruht, kämpfe ich an.


Was gefällt Ihnen an unserem politischen System und was nicht?
Mir gefällt unser repräsentatives System der Demokratie. Es gibt jedoch Situationen, wo Dinge extrem lange dauern. Nachteilig ist, dass viele sich bei diesen Prozessen ausgestoßen, vernachlässigt und nicht genügend beteiligt fühlen. Bürgerentscheide und Instrumente der direkten Demokratie werden von mir unterstützt.


Wie würde Ihrer Meinung nach das perfekte Sparpaket für die Bundesrepublik aussehen?
Perfektion gibt es nie und ehrlich gesagt, hätte ich auch ein wenig Angst vor einer perfekt durchorganisierten Politik. Dafür ist das Leben viel zu bunt. Über Sparpakete an sich wird ja heftig diskutiert, und wir haben als Sozialdemokraten eine andere Vorstellung als die derzeitige Bundesregierung davon, weil wir nicht nur bei den Ausgaben einsparen wollen, sondern wir wollen auch die Einnahmeseite betrachten und schauen, wie wir die Einnahmen stärken können.

Bei welcher politischen Entscheidung mussten Sie bisher am meisten mit sich kämpfen?
Bei einer politischen Entscheidung, die mir sehr schwer gefallen ist, ging es um das Optionsrecht. Junge Menschen, die hier geboren sind, aber deren Eltern nicht unbedingt die deutsche Staatsbürgerschaft haben, müssen sich zwischen 18 und 23 Jahren entscheiden, ob sie der deutschen oder der Staatsbürgerschaft ihrer Eltern beitreten wollen. Ich kenne viele junge Menschen, die zwei sogar teilweise drei Pässe besitzen und sie machen für mich keineswegs einen psychisch geschädigten Eindruck. Ich habe mich aus diesem Grund damals gegen meine Fraktion entschieden und diesem Optionsrecht nicht zugestimmt.

Finden Sie es korrekt, dass Bundespräsident Wulff zurückgetreten ist?
Ja!

Wie stehen Sie zum neuen Bundespräsidenten, Herrn Gauck? Was erwarten Sie von ihm?
Ich bin sehr erwartungsfroh. Ich denke, seine ganzen Reden, insbesondere seine Antrittsrede hier im Deutschen Bundestag nach der Vereidigung, hat gezeigt, dass er Freiheit wirklich definiert in Richtung Freiheit für etwas. Er hat aber auch gezeigt, dass er sich an alle Bürgerinnen und Bürger unseres Staates wendet, unabhängig von der jeweiligen Passform.
 
Ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch.
Tess Kühl
Praktikantin bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages