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Bundestag verabschiedet Arzneimittelnovelle: Studien an Demenz Erkrankten in Grenzen nun möglich

Dank zahlreicher neuer Regelungen wird die Arzneimittelsicherheit erheblich verbessert. So werden Vorkehrungen getroffen gegen Arzneimittelfälschungen, was beispielsweise in der Onkologie (Krebsmedizin) von großer Bedeutung ist. Zudem wird dafür gesorgt, dass künftig ausreichend Medikamente und Impfstoffe verfügbar sind. Mit dem am 11. November 2016 in geänderter Fassung verabschiedeten Vierten Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften (Drs. 18/8034Drs. 18/10280) sind eine Reihe von Anpassungen im Arzneimittelgesetz (AMG) und die Aufhebung der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung) vorgenommen worden. Für den Gesetzentwurf votierten in namentlicher Abstimmung 357 von 542 Abgeordneten – ich stimmte mit ja. 164 ParlamentarierInnen stimmten mit Nein, 21 enthielten sich.

Eine intensive kontroverse Debatten wurden unter den Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen darüber geführt, ob sogenannte rein gruppennützige Studien an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen (zum Beispiel an Demenz Erkrankten) unter bestimmten Bedingungen erlaubt sein sollen. Und zwar auch dann, wenn die Teilnehmenden selbst keine medizinischen Vorteile daraus haben, sondern andere Menschen. Mit dem Beschluss des Parlamentes werden diese rein gruppennützigen Studien nun erlaubt. Voraussetzung ist aber eine Vorabeinwilligung der späteren ProbandIn und eine verpflichtende ärztliche Beratung. Zu keinem Zeitpunkt der parlamentarischen Beratung standen Forschungen an Menschen mit einer geistigen Behinderung überhaupt zur Debatte.

Klinische Prüfungen sind an strenge Voraussetzungen geknüpft

Formal geht es bei diesem Gesetz um die Umsetzung einer EU-Verordnung (Nr. 536/2014), die die Form der gruppennützigen Forschung erlaubt. Die EU-Staaten hatten allerdings die Möglichkeit, auf nationaler Ebene strengere Regeln zu beschließen. Bisher dürfen in Deutschland nicht einwilligungsfähige Erwachsene nur an klinischen Studien teilnehmen, wenn davon ein individueller Nutzen für die jeweilige Person zu erwarten ist. Die Erlaubnis mit Vorabverfügung ist ein Kompromiss zwischen dem bisher in Deutschland geltenden Verbot und der auf EU-Ebene angestrebten liberaleren Regelung.

Am 9. November 2016 gab es eine Abstimmung über drei Änderungsanträge. Die meisten Stimmen erhielt der Antrag der Bundestagsabgeordneten Karl Lauterbach (SPD), Georg Nüßlein (CDU/CSU), Maria Michalk (CDU/CSU), Hermann Gröhe (CDU/CSU), Ingrid Fischbach (CDU/CSU), Annette Widmann-Mauz (CDU/CSU) und Rudolf Henke (CDU/CSU). Damit können nun volljährige Personen, die im Zustand ihrer Einwilligungsfähigkeit ihr Einverständnis zu einer späteren Teilnahme an gruppennützigen Forschungsvorhaben in einer schriftlichen Verfügung nach umfassender ärztlicher Aufklärung erklären, an diesen gruppennützigen Forschungen teilnehmen. Ist die Person zum Zeitpunkt der Studie nicht mehr einwilligungsfähig, prüft die BetreuerIn, ob die Verfügung auf die aktuelle Situation zutrifft. Die schriftliche Erklärung kann jederzeit wiederrufen werden.

Sowieso sind klinische Studien in Deutschland an strenge Voraussetzungen geknüpft. Ethikkommissionen der Länder befinden über jede Studie. Allerdings kann deren Votum in Zukunft von einer sogenannten Bundesoberbehörde überstimmt werden.

Informationen zu Demenz und Alzheimer

Bereits heute leiden laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) weltweit 47,5 Millionen Menschen an einer Form von Demenz, jährlich kommen 7,7 Millionen neue PatientInnen hinzu, von denen rund zwei Drittel eine der Alzheimer Erkrankungen haben. In Deutschland leben derzeit etwa anderthalb Millionen an Demenz erkrankte Menschen. Wenn es keinen Therapiedurchbruch oder eine wirksame Medikation für die unterschiedlichen Phasen der dementiellen Erkrankungen gibt, wird die Zahl der an Demenz Erkrankten in Deutschland nach Meinung von ExpertInnen bis 2050 auf rund drei Millionen steigen.

Obwohl diese Lösung am Mittwoch erst meine zweite Wahl war, halte ich sie für einen guten Kompromiss. Ich möchte dazu beitragen, dass Menschen selbstbestimmt entscheiden können, ob sie zu einem späteren Lebenszeitpunkt dazu beitragen wollen, um Krankheiten besser zu verstehen und - hoffentlich - auch zu heilen.  

Vorbereitete Erklärung zur Zweiten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten „Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“

Es ging in den Plenarsitzungen am 9. und 11. November 2016 um den Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ (18/8034), mit dem eine EU-Verordnung (Nr. 536/2014) umgesetzt werden soll. In der EU-Novelle wird die rein gruppennützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Zugleich bleibt es den EU-Staaten vorbehalten, auf nationaler Ebene strengere Regeln zu beschließen. Laut Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die gruppennützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen auch in Deutschland erlaubt sein. Es lagen hierzu drei Änderungsanträge vor. Zu diesen hat am 19. Oktober 2016 eine öffentliche Anhörung des Ausschusses für Gesundheit stattgefunden.

Am Mittwoch habe ich als erstes für den Änderungsantrag der Abgeordneten Hilde Mattheis und Sabine Dittmar gestimmt und anschließend für den von Karl Lauterbach und anderen.

Drei Änderungsanträge zur rein gruppennützigen Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen

  1. Über den Änderungsantrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ulla Schmidt, Kathrin Vogler, Kordula Schulz-Asche wurde zuerst namentlich abgestimmt. Die Abgeordneten wollen die restriktiven Regelungen in Deutschland belassen, da aus medizinischer Sicht die Grundlagenforschung auch an anderen PatientInnengruppen geleistet werden könne. Der Antrag erhielt nicht die notwendige Stimmenmehrheit.
  1. Der Änderungsantrag der Abgeordneten Hilde Mattheis und Sabine Dittmar wollte die rein gruppennützige Forschung mit einer vorherigen ProbandInnenverfügung mit optionaler ärztlicher Beratung und wird danach abgestimmt. Auch dieser Antrag erhielt nicht die notwendige Stimmenmehrheit.
  1. Als Drittes wurde über den Änderungsantrag Dr. Georg Nüßlein, Prof. Dr. Karl Lauterbach, Maria Michalk, Hermann Gröhe, Ingrid Fischbach, Annette Widmann-Mauz, Rudolf Henke abgestimmt, der eine verpflichtende ärztliche Beratung vorsieht. Dieser Antrag erhielt die Mehrheit von 330 Ja-Stimmen im Parlament.

Gründe meines Abstimmungsverhaltens

Seit Monaten wird in der Politik und Öffentlichkeit über die Forschung an Demenz erkrankten Menschen gestritten. Im Mittelpunkt steht die Streitfrage, ob Arzneimittelstudien - also keine an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen (zum Beispiel an Demenz Erkrankten) auch dann zulässig sein sollen, wenn sie nur gruppennützig sind, den Betroffenen selbst also keine Vorteile bringen. Das ist bislang in Deutschland verboten und soll nach dem Willen der Bundesregierung nun mit dieser gesetzlichen Änderung künftig erlaubt werden. Grundsätzlich dürfen Menschen, die nie einwilligungsfähig gewesen sind, zum Beispiel Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung, an solchen gruppenbezogenen Forschungen nicht beteiligt werden. Sie sind als Zielgruppe mit dieser Novelle nicht angesprochen. Jeglicher Bezug auf experimentelle Forschungen an geistig behinderten Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus geht also am Inhalt der angestrebten Regelung völlig vorbei.

Ich unterstütze grundsätzlich die im vorliegenden Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe geschaffene Möglichkeit zur Teilnahme von Menschen an  Arzneimittelstudien, wenn sie dies vorab im einwilligungsfähigen und gesunden Zustand in einer Verfügung festgelegt haben. Es handelt sich hierbei um die Erprobung von Medikamenten, nicht um invasivere Studien. Nur auf Grundlage dieser Vorabverfügung für Studien für eine optimale medikamentöse Therapie dürfen dann Messungen von Blutdruck, Puls oder Therapie erfolgen. Invasivere Maßnahmen oder Studien würden mit dieser Regelung nicht erlaubt.

Ich erkenne in der Möglichkeit, für eine gruppennützige Forschung an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen keinen „ethischen oder rechtlichen Freibrief für eine Verzwecklichung der Forschung". Sowohl bei der optionalen als auch bei der verpflichtenden ärztlichen Beratung (Änderungsantrag 2 bzw. 3) trifft jeder Erwachsene noch im gesunden Zustand diese Entscheidung als Vorausverfügung selbst.

Für Arzneimittelstudien dieser Art gibt es zahlreiche Hürden: Bei der Beantragung einer Studie muss eine obligate Beratung durch öffentlich-rechtliche Ethikkommissionen erfolgen. Die im gesunden Zustand getroffene Einwilligung zur Teilnahme an einer gruppennützigen Forschung muss schriftlich vorliegen. Es muss zum Zeitpunkt der Teilnahme eine ärztliche Aufklärung der PatientInnen und der BetreuuerInnen erfolgen. Es besteht zu jeder Zeit die Möglichkeit, die Studie auch wieder abzubrechen - jede ablehnende verbale oder nonverbale Äußerung der PatientInnen und StudienteilnehmerInnen ist als entsprechender Wunsch zu werten. Zudem bin ich also aufgrund der für klinische Studien in Deutschland geltenden strengen Regelungen davon überzeugt, dass es einen systematischen Missbrauch kaum geben kann.

Die rein gruppennützige Forschung bei Minderjährigen ist seit der zwölften Novellierung des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Jahre 2004 in Deutschland explizit zugelassen. Es ist mir nicht einsichtig, weshalb eine Regelung für Minderjährige erlaubt und für Erwachsene verboten sein soll.

Die Entscheidung später einmal in einem nicht mehr einwilligungsfähigen Zustand, sei es wegen einer fortgeschrittenen Demenz, sei es wegen eines schweren Gehirnschadens, an einer rein gruppennützigen Forschung teilzunehmen, ist für mich auch ein Ausdruck von individueller Selbstbestimmung wie ich es mit Vorausverfügungen wie dem Organspendeausweis oder einer Vorsorgevollmacht ja auch mache. Eine solch freiwillige Entscheidung ist auch Ausdruck gelebter Solidarität mit von der gleichen Krankheit betroffenen Menschen. Bei PatientInnen mit schweren Erkrankungen ist die Bereitschaft, auch ohne unmittelbaren Eigennutzen an der medizinischen Forschung zu ihrer Erkrankung mitzuwirken, durchaus weit verbreitet.

Aktuell gibt es noch keine zufriedenstellende Medikation für die unterschiedlichen Phasen der dementiellen Erkrankungen. Aber auch Menschen in späteren Stadien der Demenzerkrankung sollen am medizinischen Fortschritt teilnehmen können. Vielleicht gibt es ja in einigen Jahr(zehnt)en Möglichkeiten der Linderung, der Heilung. Diese Chancen auf wichtige Erkenntnisgewinne zur Behandlung der Erkrankung Demenz möchte ich ergreifen.