Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung
20 Dezember, 2005 - 10:41
Rede vom 15. Dezember 2005 zur Beratung "Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen und Änderung weiterer Gesetze" sowie "Arbeitgeberausgleich bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Fall von Krankheit und Mutterschaft (Lohnfortzahlungsausgleichsgesetz)" - Drucksachen 16/39, 16/46, 16/243:
8. Sitzung vom 15.12.2005 TOP 11 Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen
Mechthild Rawert (SPD):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Regelungen über die Umlageverfahren zum Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlungen und Mutterschaftsleistungen überarbeitet. Die neuen Regelungen befinden sich künftig im eigenständigen Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung.
Wesentlicher Inhalt der Neuregelungen ist die Umsetzung einer Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Das Bundesverfassungsgericht hatte festgestellt, dass die Anspruchsgrundlage für den Arbeitgeberzuschuss nach dem Mutterschutzgesetz nicht mit dem Gleichstellungsauftrag des Grundgesetzes vereinbar ist. Der uns alle bindende Art. 3 Abs. 2 im Grundgesetz lautet:
Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Wir werden dies mit dem neuen Gesetz tun.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Durch das bisherige Verfahren werden die Aufwendungen der Arbeitgeber bei Mutterschaft nur für Unternehmen mit weniger als 20 oder 30 Beschäftigten – je nach Satzung der Krankenkasse – ausgeglichen. Selbstverständlich erhalten auch die bei mittleren und großen Unternehmen beschäftigten Frauen beim schließlich sehr erfreulichen Ereignis einer Mutterschaft Mutterschaftsgeld. Nach der augenblicklichen Gesetzeslage findet hier aber kein Ausgleich statt.
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts besteht daher die Gefahr, dass mittlere und große Unternehmen Frauen im so genannten gebärfähigen Alter – Pi mal Daumen also fast alle Frauen bis 40 Jahre – bei der Einstellung benachteiligen. Wer kennt aus der Praxis nicht die zu Recht oder auch Unrecht geführten Diskussionen über den potenziellen Ausfall von Beschäftigten und die damit verbundenen möglichen Kosten für den Arbeitgeber?
Schauen wir uns die Statistik an. In so genannten Kleinunternehmen bis 20 Beschäftigten arbeiten circa 9 Millionen Männer und Frauen. Mit kleineren Abweichungen in den alten bzw. neuen Bundesländern hält sich unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten das Verhältnis zwischen Frauen und Männern so ziemlich die Waage. Ganz anders sieht das Geschlechterverhältnis der Beschäftigten allerdings in den mittleren und großen Unternehmen aus. Circa 25 Millionen Beschäftigte sind hier tätig, davon 15 Millionen Männer, aber nur 10 Millionen Frauen. Frauen müssen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer. Dies ist nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern sowohl für die einzelne Frau als auch für unsere Gesellschaft aus arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sicht zwingend.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Noch etwas anderes wurde vom Bundesverfassungsgericht herausgehoben. Diese 25 Millionen Beschäftigten sind nicht in das Ausgleichs- und Umlageverfahren einbezogen. Zu deren Arbeitgebern gehören allerdings nicht nur die so genannten produktionsorientierten Unternehmen, sondern auch Wohlfahrtsverbände und der öffentliche Dienst. Der Arbeitgeber hatte mit diesen mittleren und größeren Unternehmen wegen des so genannten Verwaltungsaufwandes keinerlei Rückerstattung vereinbart. Aber diese vermeintlichen Praktikabilitätserwägungen rechtfertigen das Risiko einer faktischen Diskriminierung von Frauen keinesfalls, egal welche Branche, ob öffentlicher Dienst, Wohlfahrtsverband oder Industrie.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Übrigen gleichen sich bei größeren Betrieben die Höhe der Mutterschaftsleistungen und die Umlage langfristig aus. Ein Kostenargument zählt also nicht. Ausdrücklich hingewiesen wurde auf die Möglichkeit der Ausweitung des Umlageverfahrens von Mutterschaftsleistungen, das so genannte U-2-Verfahren, auf alle Arbeitgeber, und zwar unabhängig von der Beschäftigungszahl. Hinzu kommt für uns, dass ein einheitliches Umlageverfahren, das nicht nach der Unternehmensgröße unterscheidet, den Vorteil der Verbreiterung der Beitragsbasis bietet.
Es gab Kritik. Die Arbeitgeber haben sich in der Vergangenheit immer wieder auch im Rahmen der Anhörungen zu diesem Gesetzentwurf grundsätzlich gegen die Mutterschaftsleistungen gewandt und sich für eine Finanzierung aus Steuermitteln ausgesprochen. Diese Forderung ist nicht neu. Wir aber bleiben dabei, dass Arbeitgeber nicht aus ihrer Verantwortung für das Gemeinwohl – dazu gehört der Schutz von Müttern und Kindern auf jeden Fall – entlassen werden.
Die mit den Mutterschaftsleistungen verbundenen Kosten dürfen auch von Verfassungs wegen grundsätzlich zwischen den Kostenträgern Bund, Krankenkassen und Arbeitgebern aufgeteilt werden. Das bedeutet: Alle Arbeitgeber sind in das Umlageverfahren einzubeziehen. So kommentierte auch das Bundesverfassungsgericht gegenüber der Presse seinen Beschluss wie folgt:
Trotz des gestiegenen Anteils der Arbeitgeberleistungen überwiegen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung die öffentlichen Leistungen für den Schutz von Mutter und Kind bei weitem die Belastungen der Arbeitgeber.
Der Staat ist verfassungsrechtlich also keineswegs verpflichtet, die Kosten des Mutterschutzes alleine zu tragen. Als Gesetzgeber nutzen wir daher bei der hier vorliegenden Umsetzung dieser sozialpolitischen Aufgabe unseren weiten Gestaltungsspielraum.
Mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf werden allerdings noch weitere Neuerungen erfolgen. Zusätzlich zur Ausweitung des so genannten U-2-Verfahrens erfolgen Änderungen bei der Einbeziehung der Gruppe der Angestellten in das Umlageverfahren zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dieses so genannte U-1-Verfahren bezieht sich derzeitig nur auf die Gruppe der Arbeiterinnen und Arbeiter.
Das Entgeltfortzahlungsgesetz hatte die verfassungsrechtlich gebotene Gleichstellung von Arbeiterinnen und Arbeitern sowie Angestellten bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bereits hergestellt. Es ist daher aus Gleichbehandlungsgründen nur folgerichtig, auch die Angestellten in den Ausgleich für die Entgeltfortzahlung einzubeziehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
In dem vorliegenden Gesetzentwurf wird auch noch ein dritter Bereich geregelt. In beide Umlageverfahren – das Umlageverfahren für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, „U1“, wie auch in das Umlageverfahren für Mutterschaftsleistungen, „U2“ – werden nun auch die Ersatz- und Betriebskrankenkassen einbezogen. Die Umlageverfahren werden künftig von allen Krankenkassen mit Ausnahme der landwirtschaftlichen Krankenkassen durchgeführt. Denn die Beschränkung auf die derzeit im Gesetz aufgeführten Kassenarten ist mit den seit 1996 bestehenden Wahlrechten der Versicherten und dem Kassenwettbewerb nicht mehr vereinbar. Diese Regelungen wurden auch seitens der Arbeitgeber begrüßt.
Das vorliegende Gesetzesvorhaben ist wichtig und drängend. Zum einen wird sichergestellt, dass Mütter auch ab dem 1. Januar 2006 den Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in vollem Umfang von ihren Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen erhalten. Zum anderen wird die durch das Bundesverfassungsgericht festgestellte Gefahr einer Diskriminierung von Frauen bei der Einstellung in mittleren und großen Unternehmen zumindest auf gesetzlicher Ebene beseitigt. Ich gehe davon aus, wir alle werden das Unsrige tun, damit dies auch in der Praxis verwirklicht wird.
Zum Dritten werden die Umlageverfahren, die derzeit noch im Lohnfortzahlungsgesetz geregelt sind, an die aktuellen Strukturen in der Sozialversicherung angeglichen. Deshalb begrüße ich es, dass diesem Gesetzentwurf hoffentlich einvernehmlich zugestimmt wird.