Der Deutsche Bundestag hat am 27. Oktober mit der 1. Lesung des CDU/CSU- und SPD-Entwurfes das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren für das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz-GKV-WSG) begonnen. Dieses wird nun in den zuständigen Arbeitsgruppen und Ausschüssen beraten. Es gilt das Strucksche Gesetz „Nichts geht so raus, wie es reinkommt.“
Bereits seit der Verabschiedung der sog. Eckpunkte sind die Reaktionen bei Akteuren und Betroffenenvertretungen im Gesundheitswesen - z.T. keineswegs unerwartet -heftig. Mich erreichen derzeitig z.B. Fluten von Mails, deren Quellen die Privatkrankenkassen sind. Anders bewerte ich die individuellen Schreiben von Bürgerinnen und Bürger.
Auch nach dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz 2003 unter Rot-Grün war klar: Nach der Reform ist vor der Reform: Unbestritten ist, dass das deutsche Gesundheitssystem strukturell als auch hinsichtlich seiner Finanzierungsbasis modernisiert werden muss, wenn es Bestand haben soll.
Strukturell weist das GKV-WSG in die richtige Richtung: Gegen den massiven Unionswiderstand wurde von der SPD der Erhalt des Leistungskataloges der GKV durchgesetzt, dieser wurde sogar um zusätzliche neue Pflichtleistungen ausgebaut - z.B. bei empfohlenen Impfungen, bei der geriatrischen Rehabilitation, Eltern-Kind-Kuren, bei der Behandlung behinderter Menschen und der Versorgung Sterbender. Ich begrüße auch die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im Arzneimittelmarkt u.a. durch Kosten-Nutzen-Analysen, den Ausbau von Prävention und integrierter Versorgung als auch die stärkere Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung oder die leistungsgerechte Honorierung der ÄrztInnen in Euro/Cent.
Die SPD hat weiterhin z.B. durchgesetzt, dass bis zu 300.000 Menschen ohne Versicherungsschutz im Krankheitsfall ein Rückkehrrecht in ihre letzte Krankenkasse haben. Die Private Krankenversicherung muss hierzu einen der GKV entsprechenden Basistarif anbieten. Es darf aber keine Diskriminierungen aufgrund von Alter und Geschlecht geben.
Innerhalb und außerhalb des Parlamentes wird noch heftig um das „Ob“ und „Wie“ der Finanzierung des für den 1. 1. 2009 geplanten Gesundheitsfonds gerungen. Ein Streitpunkt ist u.a. der morbiditätsbezogene Risikostrukturausgleich. Für mich muss der „Morbi-RSA“ so umfassend und zielgenau sein, dass er das tatsächliche Krankheitsgeschehen realitätsgetreu abbildet. Ich möchte, dass neben der größtmöglichen Einbeziehung behandlungsbedürftiger chronischer Erkrankungen und der Kosten für die Rehabilitation auch teure akute Krankheiten mit schwerwiegendem Verlauf einbezogen werden. Ich will einen Wettbewerb um Qualität, um die beste medizinische Versorgung - und nicht einen von unrealistischen Lock-Dumping-Beitragssätzen für Gesunde.
Auch der Zusatzbeitrag birgt viel politischen Zündstoff: Während einige Unions-Abgeordnete den Ein-Prozent-Deckel an sich kritisieren, wollen Teile der SPD-Fraktion diesen ganz abgeschafft wissen, da er Geringverdienende unter 800 Euro überproportional belastet. Durch Änderungen des SGB XII vom 19.10.06 ist aber schon jetzt sichergestellt, dass z.B. Sozialhilfeempfangende, Ältere mit Grundsicherungsanspruch auf jeden Fall befreit sind. Grundsätzlich werden aber einseitig die Versicherten belastet, die Arbeitgeber werden ein Stück mehr aus ihrer sozialen Verantwortung entlassen.
Intensiv diskutiert wird auch die bereits im GMG enthaltene Forderung nach der Entschuldung der Kassen bis Ende 2007. Ein Tag vor dem Kabinettsbeschluss wurde noch erreicht, dass der Schuldenabbau unter Einhaltung einiger Voraussetzungen erst zum 31.12.2008 zu passieren hat. Aber auch so bedeutet dieses u.a. für die AOK Berlin eine enorme Kraftanstrengung. Ungeklärt sind noch Fragen im Zusammenhang mit der Insolvenzfähigkeit von Kassen.
Ich bin für eine stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitssystem, bin für den Verbleib der 4,2 Mill. Euro aus der Tabaksteuer, für die stärkere Verwendung von nicht eingeplanten Steuermehreinnahmen im Gesundheitswesen. Dieses wollen - auch SPD - FinanzpolitikerInnen so nicht.
Für mich ist unter dem Strich wichtig: Wird der Weg zur Bürgerversicherung mit dem GKV-WSG endgültig verbaut: ja oder nein? Die nächste von uns zu gewinnende Bundestagswahl ist nicht mehr lange hin.
Beitrag von Mechthild Rawert für die Mitgliederzeitung "Mitgestalten" der SPD Tempelhof-Schöneberg, Ausgabe November 2006