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Mitteilungen für den Kreis - November 2008

Liebe Genossinnen und Genossen,

dieser Monat ist geprägt von Jahrestagen: 90 Jahre Wahlrecht für Frauen, 70. Jahrestag der Reichspogromnacht und der 19. Tag des Mauerfalls. Und jedem dieser Ereignisse gebührt das angemessene Gedenken und Erinnern. Mich beeindruckt die Vielfalt der Erinnerungs- und Mahnveranstaltungen anlässlich der Pogromnacht sehr. Ich unterstütze die von Klaus Wowereit im Jüdischen Gemeindehaus am 09. November erneut vorgetragene Forderung nach einem Verbot der NPD nachdrücklich. Aus meiner Sicht gibt es grundsätzlich nur zwei Varianten: Entweder ist die NPD eine verfassungsfeindliche, gewaltfördernde und kriminelle Organisation, dann muss sie verboten werden. Wenn sie nicht verboten wird, dann muss die Demokratie sie aushalten - trotz aller Widerwärtigkeit. Versuche des niedersächsischen Innenministers, einen Weg via Entzug der Parteienfinanzierung darunter, dazwischen, darüber zu finden, halte ich nicht für tauglich. Gerade bei dieser grundlegenden Frage ist der Versuch des sich Durchwurstelns nicht der richtige. Größte Aufmerksamkeit erreichte das Gesetzgebungsverfahren zum sog. BKA-Gesetz, dem Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Ich habe diesem Gesetzesentwurf nicht zugestimmt. Das nicht ausreichend umgesetzte Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst, die Möglichkeit, dass unbeteiligte Dritte als „Kontaktpersonen“ eines Verdächtigten in das Fadenkreuz der Ermittlungsbehörden geraten können, sind allein schon gewichtige Gründe. Ich anerkenne aber, dass die SPD-Fraktion gegen massiven Widerstand der Union erfolgreich eine Evaluierung und Befristung durchgesetzt hat.

Schwerwiegender sind für mich die Regularien zur so genannten Online-Durchsuchung und die Einschränkung der Zeugnisverweigerungsrechte. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung zum Nordrhein-Westfälischen Verfassungsschutzgesetz der Ausforschung der digitalen Privatsphäre enge Grenzen gesetzt. Schäubles Gesetzesentwurf hingegen sieht Ausnahmefälle vor, bei denen es keine richterliche Anordnung geben muss, sondern eine Anordnung durch den BKA-Präsidenten ausreichen soll. Das Bundesverfassungsgericht hat auch den Kernbereich privater Lebensführung mit einem neuen, aus der Verfassung - speziell dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht - hergeleiteten Grundrecht geschützt. Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade dieser Schutz des Kernbereiches der privaten Lebensführung „nur“ behördenintern - also durch den Datenschutzbeauftragten des BKA - sichergestellt werden soll. Weiterhin bin ich der Meinung, dass es Instanzen in dieser Gesellschaft geben muss, die im rechtsstaatlichen Rahmen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben müssen. Hierzu gehören u.a. auch MedizinerInnen und JournalistInnen. Zu unseren sozialdemokratischen Grundwerten gehört die Freiheit: Wir müssen uns für BürgerInnenrechte stark machen.

Außer mir haben 19 weitere SPD-Fraktionsmitglieder mit „Nein“ gestimmt und sechs haben sich enthalten. Die Innenministerkonferenz hat deutlich gemacht: Einige Länder - auch Berlin - sind mit dem vorliegenden Entwurf mitnichten einverstanden! Die Anrufung des Vermittlungsausschusses gilt als sicher. Den Vorstoß von Bundesinnenminister Schäuble zur Veränderung der Wertung von Stimmen im Bundesrat halte ich derzeit für völlig verfehlt und ich sage ein Scheitern voraus.

Mich berühren zwei aktuelle Diskussionen sehr: Zum einen die parlamentarischen Beratungen anhand der drei vorliegenden Gesetzentwürfe zur Patientenverfügung, die wir in den kommenden Wochen weiter intensiv beraten werden. Wir wollen die Verbindlichkeit der Patientenverfügung regeln und damit dem Selbstbestimmungsrecht bis zum Tode einen gesetzlichen Rahmen geben. Mir ist sehr bewusst, dass niemand - selbst nach bester Beratung und einem intensivem Austausch mit der Familie, mit FreundInnen - alle Formen einer Patientenverfügung voraus denken kann. Auch deshalb ist es mir sehr wichtig, dass die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), die wir mit der Gesundheitsreform 2007 zur Leistung der gesetzlichen Krankenkassen gemacht haben, offensiver umgesetzt wird. Bei der palliativmedizinischen und hospizlichen Versorgung fehlt es in der Praxis noch an qualitativ tragfähigen Vernetzungsstrukturen. Ich lade alle Interessieren zu einer Fraktion vor Ort-Veranstaltung der Berliner Landesgruppe der SPD-Bundestagsfraktion am 17. Dezember, 19.00 Uhr, ins Jakob-Kaiser-Haus ein. Nähere Informationen zur Anmeldung sind in einigen Tagen in meinem Wahlkreisbüro oder auf meiner Website erhältlich. Als SPD-Bundestagsfraktion haben wir über neue gesetzliche Regelungen zu Spätabtreibungen intensiv diskutiert und uns klar positioniert: Wir stehen für wirksame Hilfen in Schwangerschafts-konflikten, bessere Unterstützung für ein Leben mit einem behinderten Kind und die Würde der Frau. Dies ist mit dem Unionsvorstoß unvereinbar und lehnen ihn daher mit breiter Mehrheit ab. Ich unterstütze das von der Regierung und den Koalitionsfraktionen auf den Weg gebrachte Investitions- und Beschäftigungspaket - lassen wir die Regelungen zur Kfz-Steuer mal beiseite.

Für mich ist es zwingend, dass wir unser Steuergeld verstärkt in nachhaltige Zukunftsinvestitionen wie Bildung, Forschung, Klimaschutz oder Gesundheit investieren. Ich begrüße die Haushaltsaufstockung von 124 Millionen Euro für Bildung und Forschung in 2009. Ich begrüße, dass der Haushalt des Familienministeriums erhöht wird. Diese Mehrausgaben sind vor allem auf das von uns SozialdemokratInnen - unseren Ministerinnen Christine Bergmann und Renate Schmidt - eingeführtem Elterngeld zurückzuführen. Ich begrüße, dass der Verkehrs-Etat aufgestockt wird, damit Maßnahmen der energetischen Gebäudesanierung und Investitionen in Schienenwege und Straßen ausgebaut werden. Ich glaube nicht, dass wir allen in Schwierigkeit steckenden Branchen mit Steuergeldern unterstützen können. Unabhängig von Opel stellt sich die Frage, ob Besitzstandswahrung von z.B. ökologisch rückschrittlichen Unternehmen zu fördern ist oder ob auf Innovation gesetzt wird. Beim Unternehmen Opel erkennen wir aber auch, wie komplex sich Sachverhalte sind, wie schwierig es ist, sie allein unter dem Kriterium Nationalstaatlichkeit zu beurteilen. Ich spreche mich für stärkere europäische Regelungen wie z.B. einem europäischem Finanzprodukte-TÜV, einer europaweit wirkenden Finanzaufsicht mit hohen Standards aus. Auch die Sicherung von Arbeitsplätzen muss zunehmend stärker unter einem europäischen Blickwinkel erfolgen. Daher sind unsere Positionen für ein soziales Europa, für eine starke Mitbestimmung, für einen Mindestlohn und unsere Ablehnung von Steuer- und Sozialdumpings auch so außerordentlich wichtig und richtig. Für uns SozialdemokratInnen ist die Arbeits- und Beschäftigungssicherung ein zentrales Feld unserer politischen Identität. Es ist auch unser Erfolg, wenn im September 08 im Vergleich zum Vorjahr 586.000 Menschen mehr eine sozialversicherungspflichtige Stelle haben, wenn im Oktober 08 nachweislich 437.000 Menschen weniger erwerbslos sind. Wir wissen:

Wirtschaftliches Wachstum kommt bei Langzeitarbeitslosen, bei Menschen mit besonderen Vermittlungshemmnissen immer zu letzt an. Es wäre fahrlässig davon auszugehen, dass die Integration einer hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen in den regulären Arbeitsmarkt ohne stärkere strukturelle Maßnahmen gelingt. Ich begrüße die in der „JobPerspektive“ vorgelegten Ideen. Unbestritten ist die Notwendigkeit, die Vielzahl der arbeitsmarktlichen Instrumente zu reduzieren und den VermittlerInnen vor Ort einen größeren Entscheidungsspielraum zu geben, um so die Vermittlung von Arbeitslosen zu optimieren. Dies ist ein zentraler Inhalt des im Plenum in 1. Lesung beratenen „Gesetzentwurf zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrument“ der Bundesregierung. Die von arbeitsmarktpolitischen Trägern vorgebrachten Befürchtungen hinsichtlich einer Zerschlagung bewährter Trägerstrukturen sind m.M. nach berechtigt und werden von einigen SPDParlamentarierInnen geteilt. Ich unterstütze die mir am 14.11. mitgeteilten Forderungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Berufliche Perspektiven für Frauen e.V. (Vgl. http://www.bundestag.de/ausschuesse/a11/anhoerungen/kArbMarktInstr/index...). Zur Entlastung von Familien haben wir mit dem Familienleistungsgesetz die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge sowie die Einführung eines Schulbedarfspakets von der ersten bis zur zehnten Klasse für Kinder aus sozial schwachen Haushalten in 1. Lesung im Plenum beraten. Eine Gewährung des Pakets bis zum Abitur war gegen die Union nicht durchzusetzen. Hier zeigt sich wieder einmal, wessen Geistes Kind die ChristdemokratInnen sind: Sie trauen offensichtlich Kindern aus sozial schwachen Familien das Abitur nicht zu und sie erschweren für diese den Zugang dorthin. In der weiteren parlamentarischen Beratung werden wir uns dafür stark machen, das Schulbedarfspaket bis zum Abitur zu gewähren. Ich verhehle nicht, dass ich selber grundsätzlich dafür bin, eine allgemeine Grundsicherung für Kinder einzuführen, die unabhängig vom Einkommen der Eltern ist. Dieses wäre insbesondere für einkommensschwächere Eltern eine große Unterstützung und für die Kinder eine Einkommenssicherung.

Wie von mir prognostiziert, kommen auf die Mehrheit der über 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten beim Start des Gesundheitsfonds mindestens im nächsten Jahre keine Zusatzbeiträge zu. voraus. Die Allgemeinen Ortskrankenkassen mit über 25 Millionen Versicherten haben bereits erklärt, auf einen Zusatzbeitrag verzichten zu wollen. Gleiches gilt für die Ersatzkassen, Barmer, DAK, KKH und GEK mit etwa 17 Millionen Versicherten. Der Gesundheitsfonds krempelt die Finanzierung der über 200 Krankenkassen mit dem nunmehr einheitlichen Beitragssatz von 15,5 Prozent - von denen die Arbeitgeber 7,3 Prozent tragen - um. Zusammen mit den krankheitsbezogenen Finanzausgleich, dem sog. Morbi-RSA, kommt das Geld - insgesamt 166,8 Milliarden Euro - viel stärker als bisher dort an, wo es gebraucht wird: in die Kassen mit vielen einkommensschwächeren Versicherten, vielen Älteren und Kranken. So erhalten die AOK aufgrund der Änderung der Finanzströme zwischen den Kassen 2,4 Milliarden Euro mehr - davon profitieren auch die rund 700.000 Berlinerinnen und Berliner! Nicht der Gesundheitsfonds verhindert die von uns gewollte BürgerInnenversicherung sondern unsere fehlende politische Mehrheit. Ich kämpfe dafür!

Mit solidarischen Grüßen
Mechthild Rawert

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081124a_KV-Bericht_Endfassung.pdf96.56 KB