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Rawert zu Patientenverfügung: Selbstbestimmung bis zum Tod

Mechthild Rawert, MdB, in:
"Mitgestalten", Ausgabe Dezember/Januar

Für schwerkranke Menschen bedeutet der wissenschaftlich- technische Fortschritt in der Medizin Hoffnung und Chance auf ein längeres Leben. Unabhängig von den vielfältigen Wertvorstellungen und Glaubensüberzeugungen wünschen sie sich eine größtmögliche Lebensqualität bis zum Tod. Die Meisten möchten ihre verbleibende Lebenszeit möglichst bewusst und würdig zu Hause erleben.

Jedoch sterben 80 Prozent der Menschen im Krankenhaus. Dabei vertrauen wir darauf, dass ÄrztInnen und PflegerInnen dem Auftrag des Heilens auf höchstem wissenschaftlich- technologischem Niveau nachkommen. Wir selber geben den ÄrztInnen für jede Behandlung unsere Zustimmung. Am Lebensende haben viele Menschen aber auch Angst vor einer Leidens- und Sterbensverlängerung durch die Apparatemedizin.

Wie aber stellen wir den Willen eines Menschen fest, wenn er nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern? Die Deutsche Hospizstiftung schätzt, dass bereits knapp 9 Millionen Menschen eine Patientenverfügung verfasst und für den Fall der eigenen Entscheidungsunfähigkeit ihren Willen zur Zustimmung oder Ablehnung weiterer Behandlungsschritte festgelegt haben. Es besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf nach Rechtsklarheit für die Betroffenen, ihren Angehörigen aber auch für die ÄrztInnen. Wir ParlamentarierInnen sind dabei einzig unserem Gewissen verpflichtet.

Drei interfraktionelle Gruppenanträge
Der Gruppenantrag von Joachim Stünker (SPD) stellt das Selbstbestimmungsrecht in den Mittelpunkt. Die Festlegungen in der Patientenverfügung sind unabhängig von Art und Stadium der Krankheit gesetzlich verbindlich und haben Vorrang vor Entscheidungen Dritter. ÄrztInnen und BetreuerInnen bzw. Bevollmächtigte müssen aber ermitteln, ob die Verfügung auf die aktuelle Situation zutrifft, ob sie für den akuten Fall eine Entscheidung über die anstehende ärztliche Maßnahme enthält und ob sie noch dem aktuellen Willen der PatientIn entspricht. Ich habe mich diesem Gruppenantrag angeschlossen.

Der Gegenentwurf um Wolfgang Bosbach (CDU) sieht eine Reichweitenbeschränkung vor. Das heißt, bindend ist die Patientenverfügung nur bei unheilbaren, tödlichen Krankheiten. Gibt es etwaige Heilungschancen, kann ein Behandlungsstopp nur mit einer zusätzlichen „qualifizierten“ Verfügung nach einer ausführlichen ärztlichen Beratung und einer notariellen Beglaubigung, die nicht älter als fünf Jahre sein darf, umgesetzt werden.

Der jüngste Entwurf um Wolfgang Zöller (CSU) schreibt aus meiner Sicht die aktuelle Praxis der mangelnden Rechtssicherheit und der Einzelfallprüfung fort. In Abgrenzung zum Stünker- Entwurf soll der Patientenwille nicht automatisch Vorrang haben. Ebenso wie im Stünker- Entwurf haben ÄrztInnen/ BetreuerInnen bei entscheidungsunfähigen Patienten aber die Pflicht, deren Willen für den akuten Fall sorgfältig zu ermitteln. Die Reichweitenbegrenzung wird abgelehnt.

Den aktuellen Vorstoß von CDU- Generalsekretär Ronald Pofalla, keinem der vorliegenden Entwürfe zuzustimmen, lehne ich ab. Es geht um den Respekt vor der Entscheidung hinsichtlich des eigenen Sterbens und des eigenen Todes. Dafür brauchen wir Rechtsklarheit. Eine noch größere Herausforderung liegt für mich darin, ein gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen, welches die Verantwortung und die Fürsorge für Schwerstkranke und Sterbende nicht ausblendet. Jede/r einzelne sollte sich „in guten Zeiten“ damit auseinandersetzen, dass das eigene Sterben, der eigene Tod die letzte Form des Ringens um die eigene Menschenwürde ist.