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Rawert: Frauen wollen, „was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist“

Anlässlich der ersten Rede einer Parlamentarierin vor der Weimarer Nationalversammlung im Reichstag am 19. Februar 1919 erklärt Mechthild Rawert, Bundestagsabgeordnete für Tempelhof- Schöneberg (SPD):

Das Protokoll verzeichnet Heiterkeit als Marie Juchacz (SPD) als erste Frau vor der Weimarer Nationalversammlung ihre Rede mit den Worten „Meine Herren und Damen!“ begann und selbst darauf hinwies, dass es das erste Mal sei, „daß in Deutschland die Frau als Freie und Gleiche im Parlament zum Volke sprechen darf“.

Frauen durften am 19. Januar 1919 überhaupt erst das erste Mal wählen und gewählt werden. An diesem Tage haben über 90 Prozent der Frauen ihr Stimmrecht in Anspruch genommen, welches von den Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten durchgesetzt worden war - aufgrund eigener Weltanschauung aber auch durch den starken Druck der Frauen(Wahlrechts- )Bewegung. Marie Juchacz war klar, „daß wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. (Sehr richtig! bei den Soz.)“

Hinter der Frauenrechtlerin, der Parlamentarierin der ersten Stunde und Sozialpolitikerin Marie Juchacz lag bis zur Jungfernrede bereits ein langer Weg. 1879 in Landsberg an der Warthe geboren, wurde sie zunächst Näherin und Schneiderin, bevor sie nach ihrer Scheidung 1905 nach Berlin zog. Als das Verbot der politischen Betätigung für Frauen im Jahr 1908 aufgehoben wurde, trat Marie Juchacz in die SPD ein. 1917 wurde sie Mitglied des Parteivorstands und Leiterin des Frauensekretariats und übernahm nach dem Ausscheiden von Clara Zetkin die Redaktion der Zeitschrift „Die Gleichheit - Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen“. Zugleich initiierte sie im Jahre 1919 die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und war bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 deren Vorsitzende und Mitglied des Reichstages. Sie emigrierte 1933 zunächst ins Saargebiet, von dort über Frankreich 1941 in die USA, wo sie ihre Wohlfahrtsarbeit fortsetzte. Acht Jahre später kehrte Marie Juchacz nach Deutschland zurück und übernahm den AWO- Ehrenvorsitz. Sie starb 1956.
Nach ihr benannt ist der Vorstandssitzungssaal der SPD- Fraktion im Reichstagsgebäude. Einer der ungefähr 5000 Metallkästen im „Archiv der Deutschen Abgeordneten“, ein Kunstwerk im Reichstag, ist mit ihrem Namen beschriftet.

Gleichstellung JETZT!

196 Frauen und 416 Männer sind derzeit Mitglieder des Deutschen Bundestages. Der größte Teil unserer Bevölkerung ist weiblich. Gemessen an diesen 51 Prozent ist der Frauenanteil von 32 Prozent bei den Volksvertreterinnen und Volksvertretern noch nicht im richtigen Lot.

Der zu geringe Anteil von Frauen in der Politik, auf kommunaler, Länder- , Bundes- und Europaebene, ist eine der Ursachen dafür, dass wir in Deutschland einen gesellschaftspolitischen Modernisierungs- und Innovationsstau haben. Noch sind Führungspositionen fast ausschließlich von Männern besetzt, verdienen Frauen durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Die allermeisten Beschäftigten im Niedriglohnbereich und in prekären Beschäftigungsverhältnissen und Teilzeitbeschäftigungen sind Frauen. In der Berufsausbildung und im Arbeitsmarkt existiert nach wie vor eine geschlechtsspezifische Spaltung.

Gleichstellung JETZT - so lautet die Parole der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) sowohl im Hinblick auf eine stärkere politische Partizipation von Frauen als auch für die in allen Politik- , Berufs- und Lebensbereichen durchzusetzenden Querschnittsaufgaben Frauen- , Gleichstellungs- und Genderpolitik.

Ich will die ganze Demokratie für alle. Ich will die Gleichstellung zwischen Frauen und Männer durchzusetzen, will Frauen ein Leben nach eigenen Vorstellungen und mit vielen Chancen ermöglichen. Aus diesem Grunde stehe ich u.a. für:

1. Endlich Lohngleichheit und faire Bezahlung für alle
Ich will Lohn- und Aufstiegsdiskriminierung mit einem Verfahrensgesetz beenden, will eine gerechtere Arbeitsbewertung der sog. „Frauenberufe“. Der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn ist sowohl ein gleichstellungs- , arbeitsmarkt- und sozialpolitisch wirkungsvolles Instrument. Nichtleistungsbezieherinnen müssen alle Leistungen der aktiven Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung gestellt bekommen.
2. Mehr Frauen in Aufsichtsräten und in Führungspositionen
Nicht erst die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise zeigt, wie notwendig es ist, Frauen nicht erst dann zu holen, wenn es gilt, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich will ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.
3. Ein diskriminierungsfreies Bildungs- , Ausbildungs- und Wissenschaftssystem
Viele der jüngeren Frauen haben das Selbstvertrauen: Ich schaffe mit meiner eigenen Leistung alles. Um dieses Selbstvertrauen auch für alle Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es des Abbaus von Diskriminierungen nach sozialer Herkunft und Geschlecht. Es bedarf nach wie vor noch spezieller Förderprogramme, die strukturell wirken.
4. Ein wirkungsvolleres Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Die Beweislastregelung des AGG stellt Frauen vor hohe Hürden. Die Beweislast ist umzukehren, ein Verbandsklagerecht, höhere Schadensersatzregelungen sind einzuführen.
5. Eine geschlechter- und kultursensible Gesundheitsversorgung und Pflege
Frauen sind anderes krank als Männer, Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Die Durchsetzung von Gender Mainstreaming im Gesundheitswesen führt zu einer qualitativ hochwertigeren individuelleren Diagnose als auch Therapie. Bildung, Einkommen und Gesundheit gehören als Trias zusammen und führen vor allem bei Frauen, bei Menschen mit Migrationshintergrund zu Benachteiligungen. Ich will ein Präventionsgesetz.
6. Die Abschaffung des Ehegattensplitting und der Steuerklasse V
Das Ehegattensplitting fördert die tradierte Alleinverdienerehe, ist sozial ungerecht und verstärkt die schlechtere Sicherung im Alter von Frauen.
7. Bessere Vereinbarkeit von Familie (Kinder/Pflege) und Beruf, mehr Partnerschaft
Das von der SPD eingeführte Elterngeld ist ein riesiger gesellschaftspolitischer Erfolg! Väter sind noch stärker in die Erziehung von Anfang an einzubeziehen. Dafür bedarf es noch Veränderungen. Partnerschaftlichkeit muss belohnt und nicht bestraft werden.
8. Die offensive Verbesserung der Situation von Alleinerziehenden
Der Armuts- und Reichtumsbericht belegt: Kinder in kinderreichen Familien, in Familien mit Migrationshintergrund, vor allem aber Alleinerziehender sind am meisten von Armut bedroht. Der angestrebte Rechtsanspruch auf einen ganztägigen Kitaplatz, der Ausbau von Ganztagsschulen, etc. nutzen vor allem Alleinerziehenden. Dennoch: Die Vermittlung in eine existenzsichernde Arbeit hat allerhöchste Priorität. Von entsprechenden Vereinbarungen werden letztlich alle Frauen profitieren, wird Altersarmut vorgebeugt.