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Demokratie braucht Vertrauen: Zur Diskrepanz zwischen dem gefühlten und dem wirklichen Risiko

Hinter den Begriffen wie Sicherheit, Risiko und Gefahrenabwehr verbergen sich hochkomplexe Zusammenhänge. Ich bin dem Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) in Berlin-Marienfelde dankbar, dass diese einmal aus den unterschiedlichen Blickpunkten von Wissenschaft, Recht, Politik und Ethik, aber auch aus der Rolle der Legislative und der Exekutive, der Bürgerinnen und Bürger, sowie aus der Rolle des Staates erläutert und hinterfragt werden“, erläutert Mechthild Rawert, Gesundheitspolitikerin während der Fachtagung „Sicherer als sicher? Recht, Wahrnehmung und Wirklichkeit in der staatlichen Risikovorsorge“ im Paul-Löbe-Haus am 29. Oktober. Die Veranstaltung, als „BfR-Stakehoder-Konferenz“ geplant, setzt damit in der Praxis um, was auch Institutsauftrag ist: Risikokommunikation. 

Zu „Gefahrenabwehr und Risikovorsorge aus rechtlicher Perspektive“ nahm Prof. Dr. Gerd Winter von der Universität Bremen Stellung. Der Gesetzgeber habe zwischenzeitlich in verschiedenen Gesetzen das Vorsorgeprinzip durchgesetzt, z.B. im Wasser- oder auch Chemikaliengesetz. Für den Gesundheitsbereich gäbe es ein aktives Recht auf Gesundheitsschutz. Das Bundesverfassungsgericht habe explizit darauf verwiesen, dass das Recht auf Persönlichkeit nicht nur den Aspekt der Gefahrenvermeidung sondern auch den der Vorsorge seitens des Staates umfasse. „Für den Bereich des Umweltschutzes sind wir in Deutschland leider noch nicht soweit“, bedauert Rawert, Bundestagsabgeordnete aus Tempelhof-Schöneberg, „hier hat Deutschland noch gesetzgeberischen Nachholbedarf. Noch ist der Vorsorgecharakter - wie in anderen europäischen Ländern bereits geschehen - nicht in den Gesetzen angekommen. Vielleicht kann hier die Europäische Union stärkere Ausstrahlungswirkung erzielen.“

Viele der ReferentInnnen nahmen Anleihe bei den alten Griechen. So nutzte Frau Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn von der Eberhard Karls Universität Tübingen die Geschichte des Odysseus als Grundlage ihrer Ausführungen zu „Sicherheit, Sicherheitsethik, Gerechtigkeit“ und ihrer Differenzierungen zu „safety“ im Sinne von Betriebssicherheit und „security“ im Sinne einer Angriffssicherheit. Als Odysseus vor dem betörenden Gesang der Sirenen gewarnt worden war, habe er so beispielsweise Maßnahmen zur security ergriffen, da er aus Neugierde von seinem Vorhaben nicht lassen wollte und konnte.

In der Moderne gelte Sicherheit als etwas von Menschen Gemachtes. Es gäbe eine Sicherheitsparadoxie: Unsicherheit sei die Voraussetzung für die Entwicklung von Gesellschaften, das Ertragen von Unsicherheit falle den Menschen aber zunehmend schwerer. Sicherheit sei ein gesellschaftlich hoher Wert mit Ambivalenzen und Zielkonflikten. Immer sei u.a. nach folgende Kriterien zu fragen:  Welchen ökonomischen Preis und welchen Preis an Freiheit, Gerechtigkeit und an Privatheit zahlen wir?

Konflikte, z.B. um neue Techniken, seien in der Regel auch immer Konflikte um Gesellschafts- und Zukunftskonzepte. Sie stellen Menschen vor die Frage „wie will ich in der Zukunft leben?“ Gemeinsam zu klären seien mindestens immer zwei grundlegende Dinge:

  • Während „security“ Grundwerte-Fragen beinhalte, stelle „safety“ eher Gerechtigkeitsfragen – wobei hier von vorneherein viele gemäß der Devise „nimy – not in my backyard, nicht in meinem Hinterhof“ – agieren würden. Grundrechte dürften aber niemals vollständig ausgehebelt werden.
  • Wer definiert ein Problem, mit welchen Vokabeln, in welchem Kontext und aufgrund welcher Richtungsentscheidungen? Und, wie kann in komplexen Situationen so verantwortlich gedacht und gehandelt werden, dass die Lösung des Problems nicht größere Probleme schafft, als ursprünglich vorhanden waren?

Offen blieben die Fragen von Prof. Dr. Regina Ammicht Quinn nach dem eigenen Sirenensang, den stürmische Zeiten von selbst hervorbringen. Offen blieb auch ihre Frage und Aufforderung an alle Verantwortlichen heute, dass sie den Eindruck habe, dass mittlerweile Sicherheitsvorkehrungen gegen übertriebene Sicherheitsmaßnahmen notwendig seien.

„Mich haben diese Aussagen an viele gesellschaftliche Diskussionen, u.a. an die aktuelle gesellschaftlich Debatte zur Impfung gegen A/H1N1, besser bekannt als Schweinegrippe, erinnert. Ich fühle mich bestätigt: Die ParlamentarierInnnen, aber auch staatliche Instanzen müssen ständig eine Güterabwägung vornehmen – im Gesundheitsbereich muss aber auch eine Vorsorge geleistet werden“, erläutert die Gesundheitspolitikerin aus Tempelhof-Schöneberg.