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Finanzmarktkrise, Wirtschaftskrise, Verschuldungskrise

Gehören Frauen überproportional häufig zu den KrisenverliererInnen?

Redemanuskript von Mechthild Rawert für den 05.10.2010

Um die Antwort vorweg zu nehmen: ja, sie sind nationale wie international überproportional von der Finanz- und Wirtschaftskrise betroffen und haben überproportional die Lasten zu teilen. Das wird aber nicht auf den ersten Blick sichtbar.

Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat eine Debatte in Gang gesetzt, nach der ein anderes Wirtschaften möglich schien. Geschehen ist aber nicht sehr viel. Ebenso ist auch das Thema Geschlechtergerechtigkeit nicht wirklich präsent. Nach wie vor sind Frauen lokal wie global unzureichend eingebunden, oft prekär beschäftigt und von ökonomischer Macht ausgeschlossen. Geschlechtergerechtigkeit gehört deshalb notwendig in die Diskussion um wirtschaftliche Alternativen.

In Debatten und Analysen der Krise tauchen Frauen kaum auf. Dabei werden es gerade die Frauen sein, die langfristig am meisten belastet werden.

Warum ist das so? Mit unserer Finanzpolitik mit konjunkturpolitischen Interventionen überwiegend exportorientierte Industriebranchen und das Baugewerbe (überwiegend mit Männern besetzte Arbeitsplätzen) und weniger Branchen des Binnenmarktes (z.B. Erziehung, Bildung, Gesundheit mit überwiegend mit Frauen besetzten Arbeitsplätzen)?
Warum tragen wir durch staatliche Steuerungs- und Lenkungsmaßnahmen zur Manifestierung von Geschlechterstereotypen bei?

Eine erste Antwort:

Die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise haben auf die sichtbaren, die direkten Auswirkungen reagiert. Ergebnis: Die durch öffentliche Investitionen gesicherten Arbeitsplätze sind fast ausschließlich von Männern besetzt - nämlich zu 70 Prozent.

Frauen sind von der Krise aber NICHT NICHT betroffen. Sie sind am Arbeitsmarkt anders betroffen:

1.    Es steht zu befürchten, dass auf die Krisen die Betroffenheit frauendominierter Arbeitsplätze mit Verzögerung noch folgt: im Erziehungs- und Bildungsbereich, im Gesundheitswesen und in der Pflege, in der öffentlichen Verwaltung - Bereiche, die zu einem großen Teil „abhängig“ sind von öffentlichen Mitteln, von einem „florierenden“ Staatshaushalt.

2.    Die meisten Frauen werden mittel- und langfristig die Folgen der Krisen verstärkt hinsichtlich ihrer sozialen Absicherung z.B. bei der Rente spüren. Das ist umso erschreckender als bereits heute die Durchschnittsrente von Frauen bloß bei rund 600 Euro liegt.

Nachfolgend einige Daten und Hintergründe:

-       Über 70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnsektor sind Frauen. Auch sie verloren
        schneller ihre (Niedriglohn-)Jobs durch die Wirtschaftskrise:
        ->von 1,4 Mio Menschen in Kurzarbeit im Mai 2009 sind 80 % Männer

-       Schon in der Vergangenheit hat es geschlechterdifferenzierte staatliche Interventionen
        gegeben, wenn es um einen wirtschaftlichen Strukturwandel ging:
        -> Der Zusammenbruch des Kohle- und Stahlmarktes wird bis heute mit einem Kohlepfennig
        unterstützt – der parallele Niedergang des zumeist Frauen beschäftigenden Textilmarktes
        wurde in Kauf genommen, ebenso gab es bei den Kürzungen im Reha-Bereich vor einigen
        Jahren, bei dem über 10.000 (weiblich besetzte) Vollzeitstellen verlorengingen, kein staatliches
        Ausgleichsprogramm aufgelegt.

-       Wir haben die Abwrackprämie und damit viele Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gestützt
        – für den Dienstleistungsbereich mit seinen vielfältigen sozialen und personennahen
        Arbeitsplätzen sind noch keine vorsorgenden Programme oder Maßnahmen, wie z.B. ein
        Konjunkturpaket, geplant. Frauen arbeiten zumeist in Klein- und Mittelständischen
        Unternehmen. In diesen Dienstleistungsbranchen sind viele KMU, in denen zudem der
        Kündigungsschutz noch nicht ganz greift.

-       Frauen gleichen Einkommensrückgänge durch Eigenleistungen aus: unbezahlte weibliche
        Arbeit nimmt wieder zu, die sie begleitenden Ungleichheiten auch:

-       Steuersenkungen erreichen die Frauen nur wenig, wirken eher bei Männern positiv - Frauen
        gehören der oberen Einkommensgruppe mit nur 15 % an, im unteren Zehntel sind sie mit 70%
        vertreten.

Von den ca. 16 Mio erwerbstätigen Frauen in 2009 sind die meisten in den schlechter entlohnten Dienstleistungsbereichen beschäftigt, im Gesundheitswesen, im Einzelhandel, in der öffentlichen Verwaltung, im Bereich Erziehung und Bildung. Frauen verdienen im Durchschnitt 23 Prozent weniger bei gleichwertiger Arbeit.

Über 50 % dieser Frauen arbeiten in Teilzeit.

  • das Gesamtarbeitsvolumen von Frauen sinkt seit Jahren kontinuierlich, obwohl die Zahl von erwerbstätigen Frauen kontinuierlich steigt. Bereits 15 Prozent der Frauen sind die Haupternährerinnen ihrer Familien - nicht nur Alleinerziehende,
  • Viele davon mit sehr niedrigen Einkommen, weil sie zu 54 % im Niedriglohnsektor arbeiten (unter 9,61/6,81 Euro brutto pro Stunde), fast 2 Mio Menschen in Deutschland arbeiten für unter 5 Euro Stundenlohn
    anders gesagt: jede 3. Frau arbeitet zu Niedrigstlöhnen (67,5%)
  • dabei haben über dreiviertel (75%) der Niedriglohnarbeiterinnen eine abgeschlossene Berufsausbildung!!!!!
  • ausschließlich in Minijobs mit Mini-Löhnen arbeiten insgesamt 5 Mio Menschen, ca. 68 % davon sind Frauen.
  • die meisten Minijobs sind Jobs im Dienstleistungssektor.
  • Extrem viele Alleinerziehende (zu 95 % Frauen) benötigen trotz Arbeit Transfergelder, weil ihr Einkommen nicht zur Existenzsicherung reicht.

All diese Eckdaten haben noch keinen unmittelbaren Bezug zur Finanz- und Wirtschaftskrise, sondern sind Fehlentwicklungen des Arbeitsmarktes, Fehlentwicklungen einer diskriminierenden Beschäftigungspolitik, die Frauen trotz besserer Bildungsabschlüsse insgesamt benachteiligen.

Die konjunkturellen Folgen der Krise treffen die angesprochenen Dienstleistungsberufe zeitversetzt. Neben der Finanz- und Wirtschaftskrise ist hier die Verschuldenskrise der öffentlichen Haushalte als „Verursacherin“ zu nennen. Schwarz-Gelb verschärft diese Situation mit ihrem Credo „privat vor Staat“ oder der Staat „als teurer Schwächling“. Schwach wird unser Staat aufgrund steuerlicher Mindereinnahmen der öffentlichen Hand aber auch durch genau diese unsozialen Sparpakete.

Frauen, die in die Arbeitslosigkeit gehen, erhalten weniger Förderung durch die Jobcenter. Das bestätigt die Bundesarbeitsagentur. So wird eine Arbeitslose innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft aus den Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen „herausgerechnet“, indem sich die Maßnahmen auf den (männlichen) Verdiener konzentrieren, weil der durch ein normalerweise besseres Einkommen dann die Familie sicherer ernähren kann ohne Transferleistungen. Dass zur Sicherung des Familieneinkommens heute zumeist zwei Verdienste notwendig sind, wird dabei schnell vergessen.

Noch gravierender sind die Folgen für die soziale Absicherung im Alter der Frauen:

  • Minijobs bieten keine Soziale Absicherung gegen Erwerbsunfähigkeit, Krankheit oder Erwerbseinschränkungen.
  • In ihnen wird kein Anspruch auf Arbeitslosengeld erworben.
  • Und sie führen die Frauen - eine weithin unterschätzte Folge – direkt in die Altersarmut, weil nicht in die Rentenkasse eingezahlt wird. Daneben bleibt bei diesen unterbezahlten Beschäftigungen auch kein Spielraum für eine private Absicherung, für Riester- oder Rürup-Rente.
  • Altersarmut ist eine direkte Folge von Lohnarmut! Seit 2004 steigt die Zahl der minijobbenden RenterInnen kontinuierlich an, sie liegt inzwischen bei über 30 %.
  • Frauen mit Niedriglöhnen beziehen oftmals ergänzende Transferleistungen. Sie werden als Rentnerinnen wieder auf Transferleistungen (Altersgrundsicherung) angewiesen sein, weil ihre Renten oftmals unter dem Sozialhilfesatz liegen werden.
  • Das liegt auch daran, dass Minijobs und Niedriglohn-Beschäftigungen in aller Regel keine Aufstiegschancen beinhalten. Aber auch daran, dass selbst die Frauen, die es in ein Normalarbeitsverhältnis schaffen, so niedrige Löhne und Gehälter erhalten, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit damit für die Regelrentenleistung nicht ausgeglichen werden können.
  • Bei den von Schwarz-Gelb vorgelegten Sparmaßnahmen, die ja auch eine Folge der Wirtschaftkrise sind, ist auch vorgesehen, ALG-II-Bezieherinnen keinen Beitrag zur Rentenversicherung mehr zu zahlen. Diese Maßnahme wird die Zahl der Menschen in Altersarmut schon sehr bald in die Höhe treiben, die der Frauen mit sowieso schlechterer Altersabsicherung ganz besonders.
    Noch haben wir keine zufriedenstellende Beschäftigungsquote der Älteren. Nicht nur der Dachdecker kann nicht mehr. Ich befürchte ein katastrophales und zutiefst unsoziales Gesamtpaket der Alterssicherung, das wiederum Frauen stärker als Männer trifft, weil sie insgesamt rund ein Viertel weniger verdienen.

(Mini-Jobs sind übrigens auch keine Brücke in reguläre Normalarbeitsverhältnisse, sondern ein wichtiger Grund für den Rückgang solcher Arbeitsplätze.)

Dass der gesetzliche flächendeckende Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro das einzige Instrument ist, um diesen Verwerfungen entgegenzuwirken, muss auch an dieser Stelle nachdrücklich betont werden!

Viele der hier aufgeführten Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt wurden nicht durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verursacht.
Aber es erfolgte eine Ausweitung und kein aktives Gegensteuern! Traditionelle Geschlechterverhältnisse werden zementiert.

Vor diesem Hintergrund sind die Fragen nach der Wirkung staatlichen Handelns für Frauen und für Männer schon fast beantwortet:

-       Profitieren eher Männer oder Frauen von staatlichen Ausgaben und Förderungen? Treffen
        Einsparungen des Staates eher Männer oder Frauen?

-       Vergrößern oder verkleinern bestimmte Politikstrategien - auch der Finanzpolitik -
        Diskriminierungen aufgrund von Geschlecht?

Eine zweite Antwort:

Unser bisheriges Wirtschaftsmodell beruht auf einer Trennung von Erwerbsarbeit und unbezahlter, überwiegend von Frauen geleisteter Sorgearbeit im privaten Raum. Obwohl sich nachweislich die Finanzmärkte von der Realwirtschaft abgekoppelt und ein intransparentes zum Schluss zerstörerisches Eigenleben geführt haben, gelten sowohl der Finanzmarkt als auch die Realwirtschaft als wertschöpfend.
Für die private Sorgearbeit gilt dieses nicht, obgleich hier überwiegend Frauen eine wohl von niemandem zu bestreitende Wertschöpfung für Familien und Haushalte betreiben.

Es geht um Repräsentanz und Vertretung und Teilhabe. Der eingerichtete Lenkungsrat, der große Bürgschaften auswählt und vorschlägt, ist ausschließlich mit Männern aus der Industrie besetzt. Keine Frau, kein Dienstleistungsunternehmen - also keine Vertreterin einer „Frauenbranche“ ist dabei. Ob das Zufall ist?

Eine dritte Antwort

Wir sehen: Die gerechte - auch geschlechtergerechte - Verteilung von öffentlichen Geldern – spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunftsgestaltung unserer Gesellschaft, für unsere sozialen Sicherungssysteme - z.B. auf die jeweiligen Höhen der Einkommen und der Renten.

In der praktischen Alltagspolitik sind wir uns nicht einig hinsichtlich der Implementierung von Gender Mainstreaming: einem Instrument, welches gezielt die Frage stellt nach den Auswirkungen von politischem Handeln auf die soziale Lebenslage jeweils der Mehrheit der Männer, auf jeweils der Mehrheit der Frauen.

Auch der Grundgedanke des Gender Budgeting „Es gibt keine geschlechterneutrale Haushaltspolitik!“ spielt in unserer Politik keine Rolle. Auch ich habe für die 500 Milliarden Euro zur Bankenrettung gestimmt, musste aber hinnehmen, dass es für den Ausbau von Kitas - Orte der Bildung für Kinder aber auch Voraussetzung für eine Erwerbstätigkeit überwiegend der Mütter - keine sechs Milliarden mehr gab. Geschlechtsspezifische Auswirkungen werden auch die Finanzierungvorstellungen von FDP-Gesundheitsminister Rösler zum Gesundheitswesen haben. Frauen werden stärker belastet als Männer.

Die Nichtthematisierung und folglich auch Nichtbehandlung von geschlechtsspezifischen Krisendimensionen ist einer der Gründe dafür, dass traditionelle Rollen des Geschlechterverhältnisses nach wie vor Konjunktur haben. Obgleich Gender Mainstreaming und Gender Budgeting seit 2002 an zentraler Stelle in der Geschäftsordnung der Bundesregierung verankert sind, kommt es doch - völlig sanktionslos - im finanz- und wirtschaftspolitischen Regierungshandeln nicht bzw. kaum zur Anwendung. Warum?

Forderungen an die Finanz- und Wirtschaftspolitik in, gegen Ende oder nach der Krise:

Unabhängig davon, ob wir uns in, gegen Ende oder nach der Krisen, den Krisen befinden: Wir müssen neu denken – ansonsten kommt die nächste Krise gewiss. Denn diese Krisen sind systemimmanent.

Wir brauchen geschlechtergerechte Veränderungsvorschläge für unser Wirtschaften anstatt immer wieder staatliche Interventionsstrategien.

Wir brauchen neue Denkansätze

-       zur Organisation unserer Erwerbsarbeit

-       zum steigenden Bedarf an Pflege und Betreuung, an Gesundheitsdienstleistungen

-       zur Bildung, einschließlich der beruflichen Bildung und Fort- und Weiterbildung

-       zur Integration: Zugangsbarrieren gehören abgeschafft

Wir brauchen eine geschlechtergerechte Umverteilung, die die Schere zwischen Arm und Reich, die ja auch immer mit dem Geschlecht korreliert, minimiert, die sozialen Polarisierungen und das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern abbaut.

So ist die Krise nicht nur ein Risiko sondern auch eine Chance – eine Chance auf einen neuen sozialdemokratisch geprägten Fortschrittsbegriff und auf nachhaltigen Wirtschaftumbau im Sinne der Enquete-Kommission „Wohlstand,. Wachstum, Lebensqualität“

Finanzielle Anstrengungen für Wege aus der Krise sollten marginalisierte Gruppen (wie: schlecht verdienende Frauen, wie Alleinerziehende usw.) mit einschließen. Das ökonomische Potential dieser Gesellschaftsgruppen sollte nicht weiter geschwächt, sondern mit erweitert werden:

  • Ein Weg dahin wären Investitionen in Bildung, Pflege und Betreuung – dem Hauptarbeitsfeld von Frauen.
  • Ein weiterer die Umverteilung von Einkommen zugunsten des unteren Einkommensdrittels schafft mehr Gerechtigkeit. Auch das käme überproportional häufig Frauen und Müttern zugute.

Es täte der Finanzpolitik, auch der sozialdemokratisch geführten, sicherlich gut, auch einmal auf finanz- und wirtschaftspolitische Expertinnen der feministischen Ökonomie. Sie verknüpft, anders als die üblichen ökonomischen Ansätze, die verschiedenen Bereiche: Gewinnorientierter Markt, Non-Profit-Sektor, staatlicher Dienstleistungssektor und Reproduktionsbereich werden stärker aufeinander bezogen und in ihrer Ergänzungsfunktion begriffen.

Die sogenannte bezahlte als auch die unbezahlte Care-Arbeit (die Arbeit in Familie und Pflege, Erziehungs- und Bildungsarbeit und Arbeit für Gesundheitsleistungen) ist überwiegend weiblich, wird gering geschätzt.

Zugleich ist sie aber ein (über)lebensnotwendiger Bestandteil des gesellschaftlichen Funktionierens und Zusammenhalts. Fest steht: In Krisenzeiten wächst der Bedarf an Care-Arbeit, es besteht aber die Gefahr und der Fachkräftemangel in den Gesundheits- und Pflegebereichen zeigt es schon heute: Es sind zu wenige Menschen bereit, diese Arbeit dann erbringen.

Vorsorgendes Wirtschaften statt Abwrackprämie, vorsorgende Arbeitsmarktpolitik statt Verwaltung der Folgen ist die Forderung an eine neue Ökonomie, die die Bedürfnisse und Erwartungen von Frauen genauso berücksichtigt, wie die der Männer.