Die meisten Menschen in Deutschland sind mit dem von Rot-Grün ausgehandelten Ausstieg aus der Atomenergie sehr zufrieden gewesen. Auch die Bundesförderprogramme für die Erforschung erneuerbarer Energien (im Erneuerbare Energien Gesetz EEG) hatten breite Zustimmung. Jetzt hat Schwarz-Gelb den Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen, um die vermeintliche „Energielücke“ zu schließen, die unseren Wohlstand bedroht. In einem Hauruck-Verfahren und ohne Beteiligung des Bundesrates will die Regierung diese Planung durchdrücken. Dazu hat sie die letzte Lesung des Atomgesetzes für den 28.10. angesetzt.
Energiepolitik als Schlüsselfrage
Diese Problemlagen zeigen schon, dass die Frage der Energiereserven weltweit, aber auch in Deutschland und Europa eine Schlüsselfrage der nächsten 20 Jahre wird, die auch politisch beantwortet werden muss. Welche Energieversorgung wollen wir? Welchen Preis müssen wir dafür zahlen, welche Umweltfolgen tragen? Und wer entscheidet mit?
Wir werden ab 2011 vor allem höhere Stromkosten haben, weil wir mit dem EEG einen Weg zur Stromerzeugung ohne Atommüll und mit weniger Kohlendioxid beschritten haben, der erhebliche Umbauten am Energiesystem benötigt. Diese Umbauten müssen wir VerbraucherInnen bezahlen. Wir finanzieren damit aber auch den Aufbau eines neuen Wirtschaftszweiges mit, in dem neue gute Arbeitsplätze entstehen (bis heute 340.000, Tendenz steigend). Diese sind wiederum wichtig für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Mittelfristig sichert uns dieser Umbau eine Preisstabilität, die die fossilen Brennstoffe genauso wenig bieten wie die Atomkraft. Schon heute wäre Atomstrom unbezahlbar, wenn die Energiekonzerne komplett für die Endlagerkosten aufkommen müssten. Ich halte daher die aktuellen Preissteigerungen für politisch sinnvoll, auch wenn ich als Verbraucherin selbst davon betroffen bin.
Politisch unsinnig und ein Ausdruck reiner Klientelpolitik ist der Ausstieg vom Atomausstieg. Gerade auf dem Hintergrund des mit dem EEG angestoßenen intensiven Ausbaus des Marktes für erneuerbare Energien gibt es keine Rechtfertigung für einen solchen Schritt. Nicht einmal eine Kostenentlastung der Verbraucher findet statt, sondern eine Gewinnmaximierung für die Unternehmen. Die neue Brennelementesteuer ist völlig unzureichend, weil zur Deckung der Folgekosten der Atomkraft viel zu niedrig.
Außerparlamentarischer Protest
Die schwarz-gelbe Koalition hat eine satte Mehrheit im Parlament. Auch wenn das den aktuellen Umfragen nicht mehr entspricht, kann sie ihre Gesetze im Parlament sicher durchsetzen. Deshalb gewinnt jetzt der außerparlamentarische Protest neue Bedeutung. Für die Abstimmung am 28.10. hat ein Bündnis aus den Fraktionen und Parteien von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke sowie den Organisationen von BUND, Naturfreunde, Greenpeace Demonstrationen organisiert, anschließend auch ein Public Viewing der Bundestagsdebatte auf dem Pariser Platz. Parallel geht die SPD gegen den Ausschluss des Bundesrates bei dem Gesetzesentschluss mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht vor.
Viele von uns sind auch in Verbänden und Vereinen organisiert und engagieren sich ehrenamtlich. Diese Verbindungen sind weiter zu stärken, um den Protest gegen die Atomkraftverlängerung wachsen zu lassen. Nur dann hat die parlamentarische Arbeit auch die notwendige Unterstützung von außen. SPD und Bundestagsfraktion entwickeln neue Formen der Öffentlichkeitsarbeit.
Beitrag von Mechthild Rawert für die Mitgliederzeitung "Mitgestalten" der SPD Tempelhof-Schöneberg, Ausgabe 9, November 2010