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"Und nix ist passiert"

(vorwärts.de, 16.05.2011)

In Krankenhäusern und Altenheimen werden die Fachkräfte knapp. Aber die Bundesregierung tut nichts. Mechthild Rawert, Berichterstatterin der Arbeitsgruppe Gesundheit über Möglichkeiten, Pflegeberufe attraktiver zu machen – in unser aller Interesse.

vorwärts.de: Pflegeberufe haben extreme Nachwuchssorgen. Woran liegt das?
Mechthild Rawert:
In der Öffentlichkeit herrscht folgendes Bild: Arbeitsverdichtung, Nacht- und Wochenendarbeit, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn wir es nicht schaffen, den Sektor der personenorientierten Dienstleistungsberufe attraktiv zu gestalten, werden sie ihre Anziehungskraft verlieren. Es wird in Zukunft immer weniger Jugendliche geben. Die werden nicht mehr das Problem haben, einen Ausbildungsplatz zu finden. Sie können wählen.

Haben die Nachwuchssorgen auch mit der Bezahlung zu tun?
Ja. Der Beruf würde mit Sicherheit für Männer und Frauen attraktiver, wenn diese körperlich und seelisch kräftezehrende Arbeit besser bezahlt würde.

Geplant ist eine Reform der Pflegeausbildung. Was soll sich ändern?
Derzeit gibt es drei Ausbildungsgänge: Altenpflege, Krankenpflege und Kinderpflege. Wir wollen, dass die drei Ausbildungsgänge zusammengelegt werden. Die Spezialisierung könnte im letzten Teil der Ausbildung (integriertes Modell) oder im Anschluss an die Ausbildung (generalisiertes Modell) stattfinden.

Über eine solche Reform wird seit Jahren geredet. Warum dauert das so lange?
Die Zuständigkeit ist völlig zersplittert. Auf Seiten des Bundes sind es das Gesundheitsministerium und das Ministerium für Familie, Jugend, Frauen und Senioren zuständig. Außerdem reden die Länder mit und die haben unterschiedliche Positionen. Es gibt derzeit eine Bund-Länder-Kommission, die sich um die zukünftige Neuausrichtung der Pflegeausbildung befassen soll. Aber wir wissen noch nicht, was dabei herauskommt.

Würde das die Berufe attraktiver machen?
Ich bin davon überzeugt. Eine verbesserte Ausbildungsstruktur würde den AbsolventInnen anschließend ein breiteres Arbeitsspektrum bieten. Wir brauchen darüber hinaus für Pflegefachkräfte eine stärkere Durchlässigkeit im Bildungswesen, für Fort- und Weiterbildung bis hin zum (Aufbau-)Studium. Ich begrüße es, dass wir endlich auch in Deutschland Pflege akademisieren. PflegemanagerInnen können selbstbewusst die anstehenden Umstrukturierungen im Gesundheitswesen mitgestalten. Wir leben in einem Einwanderungsland. Wir leben in einer älter werdenden Gesellschaft. Das bleibt für unser Gesundheitswesen nicht folgenlos.

Pflegestudiengänge gibt es doch schon.
Ja, etwa 60. Noch gibt es Schwierigkeiten für akademisch ausgebildete Fachkräfte adäquat bezahlte Stellen zu finden. Unser Tarifsystem ist noch nicht differenziert genug. Wir müssen weg von dem Gedanken, dass das Gesundheitswesen nur ein Kostenblick ist. Wir haben es mit einem innovativen Dienstleistungssektor zu tun.

Die SPD fordert ambulant vor stationär. Jede Person soll möglichst lange in ihrem häuslichen Umfeld bleiben. Welche Folgen hat das für Pflegeberufe?
Zum Beispiel wird eine Verlagerung einiger bisher ärztlichem Personal vorbehaltene Tätigkeiten erfolgen müssen. Wir schaffen ansonsten keine flächendeckende Gesundheitsversorgung, insbesondere auf dem Land. Pflegefachverbände fordern eine Pflegekammer, um die Interessen ihrer Profession stärker aufzuwerten und durchzusetzen. Ich unterstütze die Forderung dieser sogenannten „Frauenberufe“. Wir brauchen eine gesellschaftliche und fachliche Aufwertung der Altenhilfe als auch der Pflege. Deshalb auch die Reform der Ausbildung.

Die meisten Pflegenden können sich nicht vorstellen, den Beruf bis 65 oder 67 durchzuhalten. Sie müssten es aber, weil sie gebraucht werden. Lässt sich das ändern?
Es ist ja noch schlimmer. Von den jungen Leuten, die diesen Beruf ergreifen, gehen viele nach rund zehn Jahren. Das hat auch mit der schlechten Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun. Mit 50/55 gehen dann auch noch mal viele, weil es die letzte Chance ist, sich beruflich umzuorientieren. Außerdem kommt auch auf berufliche Pflegefachkräfte dann die Aufgabe der Betreuung von Angehörigen zu. Auf den Stationen und in der ambulanten Versorgung fehlen dann die erfahrenen Kräfte. Das heißt: Wir brauchen auch in der Pflege alternsgerechte Arbeitsplätze, wie das in der Industrie zunehmend üblich ist. Wir brauchen außerdem ein Pflegezeitgesetz, damit niemand wegen der Betreuung von Angehörigen den Beruf aufgeben muss und in die eigene Altersarmut läuft. Wir brauchen Freistellungsmodelle, die auch mit Lohnersatzleistungen verbunden sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Bevölkerung höhere Beiträge für die Pflegeversicherung akzeptieren würde, wenn damit verbesserte Leistungen und auch bessere Arbeitsbedingungen für die Pflegefachkräfte verbunden sind. Wir wollen ja alle, dass Menschen würdig zu Hause gepflegt werden und dass die Angehörigen dadurch nicht überlastet werden.

Was macht das Gesundheitsministerium in dieser Sache?
Der (Ex-)Gesundheitsminister hat das Jahr 2011 zum Jahr der Pflege ausgerufen. Aber außer großen Ankündigungen ist nichts passiert. Eine Schande.

 

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