Als Bundestagsabgeordnete nehme ich an verschiedenen ExpertInnentagungen (vorrangig zu den Themen: Pflege, Gleichstellung, Demografischer Wandel, Integration/Migration, Stärkung der Partizipation) teil, um in überschaubarer Runde Möglichkeiten zum „Blick über den politischen Tellerrand“ zu haben. So auch am 09./10. September zur brandaktuellen Frage des Fachkräftebedarfs und der Zuwanderungssteuerung. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung versammelten ExpertInnen haben dabei aus volkswirtschaftlicher, betriebswirtschaftlicher, politischer und aus humanitärer Perspektive heraus das Thema beleuchtet. Klar herausgearbeitet wurde, dass die deutsche Wirtschaft mittel- und langfristig ohne massive Erhöhung der Zuwanderungszahlen nicht auskommen wird.
Ein Ergebnis: Der Demografische Wandel, der spätestens ab 2020 dafür sorgen wird, dass der Bevölkerungsanteil der Erwerbstätigen dramatisch zurückgeht, verlangt die Zuwanderung auf allen Ebenen der beruflichen Qualifikation. Für den Staatshaushalt und die sozialen Sicherungssysteme sind dabei qualifizierte Fachkräfte von besonderem Interesse, weil sie sowohl über ihre Steuerzahlungen wie auch ihre Sozialversicherungsbeiträge mehr zum Erhalt unseres Sozialsystems beitragen können.
Fachkräftemangel als Ergebnis des mangelnden gesellschaftlichen Konsenses zur Zuwanderungs- und Bildungspolitik
Der auf uns in spätestens 10 Jahren zukommende Mangel an Fachkräften aufgrund der demografischen Entwicklung existiert bereits jetzt schon in einigen Branchen. Dieser Mangel ist vor allem auf eine verfehlte Zuwanderungspolitik und auf Defizite in unseren Bildungsstrukturen zurückzuführen. Ohne hier auf parteipolitische Verfehlungen wie „Kinder statt Inder“ näher einzugehen, bleibt als Fazit festzuhalten: Es bedarf über alle Interessenslager und Parteien hinweg endlich eines gesellschaftlichen Konsenses zur Zuwanderung!
Die bisherige deutsche Zuwanderungs-, Integrations- und Partizipationspolitik ist keine Erfolgsgeschichte:
- Vor allen Dingen ist es Deutschland bislang nicht gelungen, sich international als attraktives Zuwanderungsland für Hochqualifizierte zu präsentieren. Eine Willkommenskultur für ZuwanderInnen fehlt bislang weitgehend. Mehr Transparenz für Interessierte könnte ein Punktesystem bringen, wie es bislang aufgrund des Widerstands der Union politisch nicht durchsetzbar war.
- Die fachlichen Ressourcen von ZuwanderInnen (ob als Flüchtlinge, ArbeitsmigrantInnen oder FamiliennachzüglerInnen) werden kaum abgerufen. Zum Einen, weil die im außereuropäischen Ausland erworbenen Bildungs- und Berufsabschlüsse hier in der Regel keine Anerkennung finden. Zum Anderen, weil ein zu kompliziertes System zu viele Menschen von einer Arbeits- oder Niederlassungserlaubnis ausschließt und sie trotz höherer Qualifizierung zu niedrigqualifizierten Tätigkeiten in Deutschland verdammt. Flüchtlinge werden zumeist gar nicht nach ihren vorhandenen Kompetenzen eingestuft, sondern in den immer noch sehr langen Anerkennungsverfahren per Gesetz vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Hinzu kommen die hier ihr Studium absolvierenden AusländerInnen. Diese sind wegen zu strenger Angemessenheitsregelungen gezwungen, Deutschland nach dem Studium wieder zu verlassen anstatt hier ihren Berufseinstieg zu organisieren.
- Andere Länder reagieren sehr viel offener auf den Zuzug von Fachkräften und HochschulabsolventInnen. Das führt zurzeit im Ergebnis zu einer beständigen Abwanderung von Hoch- und Höchstqualifizierten ins Ausland – auch die hier geborenen InländerInnen mit Migrationshintergrund sehen in anderen Ländern bessere Alternativen. Wir haben uns selbst zuzuschreiben, dass die Rechnung nicht aufgeht: Richtigerweise haben wir in Deutschland - anders als vielen anderen Staaten - eine weitestgehend kostenfreie Berufsausbildung und ein weitgehend kostenfreies Studium. Die dann mit hohen Kompetenzen und Abschlüssen versehenen Menschen treiben wir u.a. aufgrund vielfältiger aufenthaltsrechtlicher, arbeitsmarkt- oder sozialpolitischer Bestimmungen wieder weg. So investiert der Staat in Bildung, deren volkswirtschaftliche Rendite zu wenig in Deutschland bleibt oder bleiben darf.
Wechsel zur offenen Willkommens- und Anerkennungskultur zwingend erforderlich
Aus eigenen streng ökonomischen und volkswirtschaftlichen Interessen heraus muss Deutschland in der Zuwanderungspolitik sehr schnell den Wechsel von seiner eher ablehnenden Haltung hin zu einer offenen Willkommenskultur gestalten.
Ein solcher Wechsel gelingt allerdings nur dann, wenn die innerdeutschen Arbeitsmarktpotentiale gut ausgeschöpft werden und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hier keine Angst haben müssen, von evtl. besser qualifizierten und/oder preiswerter arbeitenden ZuwandererInnen von ihren Arbeitsplätzen verdrängt zu werden. Zwar ist diese Sorge schon heute zumeist unbegründet, leider hat sich diese empirisch belegbare Erkenntnis aber in der breiten Öffentlichkeit noch zu wenig durchgesetzt.
Eine Willkommenskultur lässt sich nicht gegen die Meinung der breiten Bevölkerung etablieren. Sie muss gesamtgesellschaftlich mitgetragen werden. Deshalb wird in den kommenden Jahren die Aufklärung und Werbung für einen Wechsel der Wahrnehmung von Zuwanderung im Vordergrund stehen müssen - neben einer soliden und zukunftsfähigen Überarbeitung unserer gesetzlichen Zuwanderungsregelungen.