Im Auftrag des Deutschen Bundestages bin ich mit einer Delegation, bestehend aus mir als Delegationsleiterin, Herrn Prof. Dr. Michael Bongardt, Vizepräsident der Freien Universität zu Berlin, und Herrn Ministerialdirektor Berthold Gries von der Bundestagsverwaltung, in die Slowakai und nach Moldau gereist, um die Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rahmen des Internationalen Parlaments-Stipendiums (IPS) 2012 auszuwählen. Die drei Berliner Universitäten und der Deutsche Bundestag betreuen die Stipendiatinnen und Stipendiaten gemeinsam mit einem umfangreichen Programm. Für mich war diese Delegationsreise vom 14. bis 18. November in die Slowakei und nach Moldau eine einzigartige Chance, viele an an Deutschland und Europa interessierte Menschen kennenzulernen und mich mit ihnen über aktuelle politische Entwicklungen vor Ort auszutauschen.
Für fünf am deutschen Parlamentsleben interessierte HochschulabsolventInnen aus der Slowakei erfüllt sich ein großer Traum: Sie wurden für das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) 2012 ausgewählt. Ab März werden sie fünf Monate in einem Abgeordnetenbüro tätig sein, an Lehrveranstaltungen der Berliner Universitäten teilnehmen und gemeinsam mit rund 120 StipendiatInnen aus weiteren 28 Ländern ihr Verständnis für kulturelle Vielfalt vertiefen.
Auswahlgespräche in Bratislava
Im Mittelpunkt meines Aufenthaltes in Bratislava standen die Auswahlgespräche mit den zwölf BewerberInnen, die ein Vorauswahlverfahren durch die Deutsche Botschaft bereits erfolgreich durchlaufen hatten. Wir haben fünf HochschulabsolventInnen, vier Frauen und einen Mann ausgewählt.
Auswahlkriterien waren u.a sehr gute Deutschkenntnisse, ihr bisheriges und künftiges politisches und soziales Engagement. Auch die Selbsteinschätzung des Nutzens ihres möglichen Auslandsaufenthalts für den beruflichen Weg nach ihrer Rückkehr in die Slowakei wurde befragt. Allen fiel die Auswahl angesichts der vielen Talente sehr schwer. Ich habe begabte, mehrsprachige junge Menschen mit vielfältigen Auslandserfahrungen und einem klaren Bekenntnis zur Europäischen Integration und hoher Wertschätzung Deutschlands kennengelernt. Für diese Erfahrung danke ich.
In der Wirtschafts-Universität Bratislava führten wir für Studierende aller Fachrichtungen eine Informationsveranstaltung zum IPS-Programm 2012 durch. Wie wertvoll und gleichermaßen erfolgreich das IPS-Programm ist, konnte der Prodekan der Fakultät für internationale Beziehungen, Herr Mattos, als ehemaliger IPSler bestätigen. Meiner Einladung zu einem Empfang kamen zahlreiche VertreterInnen u.a. des DAAD, der FES, des Goethe-Instituts, von Universitäten nach. Besonders gefreut habe ich mich über die Gespräche mit den Alumni, den ehemaligen IPS-StipendiatInnen, die alle eine erfolgreiche Karriere begonnen haben. Auf der Agenda der Delegationsreise standen auch politische Gespräche mit dem Deutschen Botschafter Dr. Axel Hartmann und mit Herrn Peter Osuský, Mitglied der Deutsch-Slowakischen Freundschaftsgruppe und Prorektor der Comenius-Universität Bratislava.
Deutsch als Kulturgut - Deutsch als Wirtschafts- und Beschäftigungsfaktor
Gesprächsgegenstand war auch das Thema Migration und die Bedeutung der deutschen Sprache in der Slowakei. Die Slowakei grenzt an Österreich, Tschechien, Polen, die Ukraine und Ungarn. Es gibt eine hohe Wertschätzung der deutschen Sprache, die nach Englisch zweite Fremdsprache ist: „Englisch ist ein Muss, Deutsch ist ein Plus“. Einer aktuellen Umfrage zufolge beherrschen die Jüngeren, Menschen mit höherer Bildung, Studierende Fachkräfte, Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich sowie UnternehmerInnen am besten Deutsch. Zu Deutschland und zu Österreich herrschen große Lohnunterschiede. Häufiger erwähnt wurde die Abwanderung von Fachkräften gerade im Bereich der Medizin und der Gesundheitsberufe. Deutsche Sprachkenntnisse gelten aber auch als Chance, in einigen Regionen der Slowakei leichter einen Arbeitsplatz zu finden. Motor der slowakischen Wirtschaft insbesondere rund um die Hauptstadt Bratislava, ist die Automobilherstellung. Volkswagen und weitere große Kfz-Hersteller produzieren hier, über 400 deutsche Zulieferfirmen sind hier ansässig und zahlreiche Unternehmen planen Investitionen.
Europäische Integration der Slowakei
Die Slowakei ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union und der Nato sowie seit 2009 Mitglied der Eurozone, wichtige Schritte hin zur Integration in die Europäische Union. Über die anfänglich ablehnende Abstimmung zur Erweiterung des Euro-Rettungsschirms EFSF stürzte 2011 die Mitte-Rechts-Koalition. Grund der Regierungskrise war die unbewegliche Haltung der wirtschaftsliberalen europaskeptischen SaS, die auf Kosten der EU ein innenpolitisches Machtspiel betrieb. Das Ja der Slowakei zur Ausweitung des Euro-Rettungsfonds EFSF wurde durch eine Einigung der Regierung und der wichtigsten Oppositionspartei, der sozialdemokratischen Smer-SD, dann doch noch möglich, die Abstimmung wurde wiederholt. Seit dem 11. Oktober 2011 gibt es eine kommissarische Regierung, vorgezogene Neuwahlen sind für März 2012 vereinbart.
Meine GesprächspartnerInnen äußerten alle ein klares Ja zu Europa. Allerdings ist vielen das „macht“-politische Agieren der Parteien und Fraktionen unverständlich. Politikverdrossenheit war wahrnehmbar. Es wird befürchtet, dass die kommenden Monate hauptsächlich mit Wahlkampf bestritten werden und zu wenig für ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, für ein Soziales Europa im Interesse der Slowakinnen und Slowaken getan würde.