Hauptmenü

Opfer des Brustimplantate-Skandals

Rede am 09. Februar 2012 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE „Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen - Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit“ (Drs. 17/8581)

Sehr geehrter Herr Präsident/ Sehr geehrte Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Fraktion DIE LINKE reagiert mit ihrem Antrag „Übernahme der Behandlungskosten infolge des Brustimplantate-Skandals“ auf einen Skandal, der tagtäglich größere Dimensionen annimmt. Es geht mittlerweile nur noch vordergründig, quasi anlassbezogen, um die mit minderwertigem Industriesilikon hergestellten Brustimplantate der französischen Firma PIP (Poly Implantat Prothèse) bzw. um die baugleichen Implantate der niederländischen Firma Rofil Medical Nederland B.V. Ab dem 31. Januar warnt  das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte nun auch vor den titanbeschichteten Implantaten des Typs TiBREEZE der Nürnberger Firma GfE Medizintechnik GmbH. Ich bin überzeugt, die Liste der Unternehmensnamen wird sich noch erweitern.

Es geht um einen aus Profitgier mit viel krimineller Energie verursachten Skandal, der bei hunderttausenden Frauen zur Angst führt, ein erhöhtes Krebsrisiko zu haben. Es geht aber auch um den Skandal, dass unsere nationalen und europäischen Gesetze nicht ausreichen, um die Sicherheit von Patientinnen zu gewährleisten. Es geht um einen Skandal, der mit den unterschiedlichsten Klagepunkten zu unsäglich vielen Gerichtsverfahren, viele davon auch grenzüberschreitend, führen wird. Die Juristen haben zu tun - doch was ist mit den betroffenen Frauen, was ist mit ihrem gesundheitlichem Risiko, was mit ihren Rechten auf Schadensersatzansprüche, was mit der Übernahme der auf sie zukommenden Kosten?

Die Angst der Frauen ist losgelöst davon, ob es sich um eine medizinisch indizierte oder um eine ästhetische Operation (Schönheitsoperation) handelt, ob diese in Deutschland, in Europa oder beispielsweise Israel oder Brasilien durchgeführt wurde. Sie alle müssen sich auf jeden Fall mit der Frage einer weiteren Operation und der Übernahme der Kosten für die medizinische Behandlung (Entfernung des Implantats ggf. Erneuerung eines Implantats) und den Kosten für das Produkt beschäftigen.

Ausdrücklich bedanken möchte ich mich bei all den Ärztinnen und Ärzten, den Kliniken und Krankenkassen die sich frühzeitig mit den betroffenen Frauen in Verbindung gesetzt haben und ihnen von sich aus Unterstützung gaben - im Sinne einer guten medizinischen Beratung und Betreuung. Mich empört, dass dieses 2011 nur in Einzelfällen geschehen ist.

Der Presse war zu entnehmen, dass das Bundesministerium nach der Empfehlung des Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Billig-Brustimplantate sicherheitshalber entfernen zu lassen, die Kassen in der Pflicht sieht. Diese Meinung gelte grundsätzlich sowohl für aus medizinischen als auch aus ästhetischen Gründen eingesetzten Implantaten. Gesundheitsexpertinnen von Verbraucherzentralen sind der Meinung, dass die nach Schönheitsoperationen ansonsten gesetzlich festgelegte Eigenbeteiligung in diesem Ausnahmefall nicht gerechtfertigt ist. Schließlich hätte keine der betroffenen Frauen mit der kriminellen Energie von PIP rechnen können.

Die durch den vorgelegten Antrag der Linksfraktion zu führende Debatte begrüße ich. Ich finde aber die damit verbundenen Forderungen als zu kurz gesprungen. Gerne greife ich zu einem anderen Zeitpunkt die schon zu Zeiten der Großen Koalition geführten Debatten zu Schönheitsoperationen, Tattos und Piercing etc. wieder auf. Als damalige Berichterstatterin bedauere ich es noch heute, dass der erarbeitete Gesetzentwurf hierzu gegen Ende der Legislaturperiode seitens der CDU/CSU-Fraktion dann doch abgelehnt wurde. Die SPD-Fraktion hatte sowohl Maßnahmen zum Komplex kritischer Umgang mit Schönheitsoperationen vorgesehen als auch im Interesse von Patientinnen und Patienten, von Verbraucherinnen und Verbrauchern Lücken in den Haftungsketten schließen wollen. Eines muss uns allen klar sein: Jede Operation, ob mit medizinischer Indikation oder als Schönheitsoperation durchgeführt, birgt gesundheitliche Risiken.

Von den minderwertigen Brustimplantaten sind allein europaweit hunderttausende Frauen betroffen. Um für Deutschland zu klären, wie viele Frauen Trägerinnen von schadhaften Brustimplantaten sind, läuft seit dem 30. Januar eine bundesweite Abfrage. Erste Ergebnisse sollen Ende Februar vorliegen. Ob „nur“ nach in Deutschland erfolgten Operationen gefragt wird oder ob die vielen Frauen, die die Operation im Ausland haben vornehmen lassen, auch erfasst werden sollen, ist mir nicht bekannt.

Die Bundesregierung zeichnet sich nicht durch besondere Schnelligkeit hinsichtlich Patientinneninformation und Patientinnensicherheit aus, dass hat auch die Antwort der Bundesregierung auf meine Ende Dezember gestellte schriftliche Frage an die Bundesregierung gezeigt. Schon mindestens seit März 2010 ist dem Bundesministerium für Gesundheit, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und den zuständigen Überwachungsbehörden der Länder bekannt, dass seit Jahren fehlerhafte Implantate auf dem Markt gewesen sind. Aber erst vor wenigen Wochen hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, eine staatliche Aufsichtsbehörde, die Entfernung dieser Brustimplantate empfohlen. Viele - auch die zuständigen ärztlichen Fachgesellschaften - haben also von einem Risiko für die Frauen gewusst - am wenigsten aber die Frauen selbst, die Trägerinnen dieser Brustimplantate. Staatliche Stellen haben sich hinsichtlich der Aufklärung und des Informationsfluss unter Einbeziehung der Patientinnen also ebenso wenig mit Ruhm bekleckert wie viele Fachgesellschaften.

Nur mehr als zögerlich wird nun auf nationaler als auch auf EU-Ebene über Verschärfungen gesetzlicher Vorgaben für die Zulassung von Medizinprodukten als auch für die entsprechenden Sicherheitskontrollen diskutiert. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert schon seit langem eine bessere, vor der Zulassung von unabhängigen wissenschaftlichen Stellen vorzunehmende Risiko-Nutzen-Bewertung von Medizinprodukten und ein verpflichtendes Register u.a. für Hochrisikoprodukte.

Ich fordere die Bundesregierung, fordere insbesondere den Bundesminister für Gesundheit Daniel Bahr und die Bundesministerin für Verbraucherschutz Ilse Aigner auf,

  • ihr vorgelegtes Patientenrechtegesetz zu überarbeiten, damit dieses tatsächlich zu einer Stärkung der medizinischen aber auch haftungsrechtlichen Rechte von Patientnnen und Patienten führt,
  • auf nationaler und EU-Ebene durch gesetzliche Verschärfungen die Sicherheit von Medizinprodukten vor ihrer Zulassung zu erhöhen und durch schärfere Qualitäts- und Sicherheitskontrollen, u.a. durch zusätzliche unangemeldete Inspektionen, auch den Produktionsprozess besser zu kontrollieren. Ich erinnere noch einmal: Die SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Jahr 2010 in ihrem Antrag „Für ein modernes Patientenrechtegesetz“, Drucksache 17/907, gefordert, das Medizinproduktegesetz weiterzuentwickeln.

Ich hoffe im Interessen der Patientinnen und Patienten sehr, dass die Bundesregierung den Skandal um die Firma PIP zum Anlass nimmt, sich jetzt endlich in diesem Sinn zu engagieren und sowohl nationale als auch europäische Regelungen für Zulassungsverfahren für Medizinprodukte auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!