(Erschienen in der Berliner Stimme, 17.03.2012,Nr.06 S.8)
Mechthild Rawert: Weiterentwicklung der Pflegeberufe unabdingbar
Derzeit ist eine Flucht aus dem Berufsfeld Pflege zu beobachten. Wer wie ich viel mit PatientInnen und Betreuten in der Altenpflege und Behindertenhilfe zu tun hat weiß, dass die Angst vor einem Versorgungsnotstand groß ist. Wer wie ich viel mit Auszubildenden und mit Beschäftigten im Gesundheitswesen zu tun hat, weiß, dass der Berufsfrust hoch ist.
Junge Menschen, vor allem auch viele junge Frauen, entscheiden sich aufgrund der gesellschaftlich geringen Anerkennung der Pflegeberufe nicht mehr für eine Ausbildung und Tätigkeit in dieser zukunftssicheren und wachsenden Dienstleistungsbranche. Viele frisch Ausgebildete verlassen die Pflege bereits nach wenigen Berufsjahren, da sie sich in ihren nach pflegewissenschaftlichem Standard erworbenen eigenständigen Handlungskompetenzen in der Praxis nicht ausreichend respektiert und anerkannt fühlen. Viele langjährig Beschäftigte verlassen die Pflege vor Erreichen des Rentenalters aufgrund von belastenden Rahmenbedingungen.
Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Pflegeberufe“
Ein Schritt zur Modernisierung und Professionalisierung der Pflegeausbildungen in Deutschland sind die Anfang März vorgelegten „Eckpunkte zur Vorbereitung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufegesetzes“. Die auf Fachebene im März 2010 eingerichtete Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Weiterentwicklung der Pflegeberufe“ steht unter gemeinsamer Federführung der zuständigen Bundesministerien Gesundheit sowie Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Obwohl vier VertreterInnen der CDU/CSU/FDP geführten Bundesregierung in diesem Gremium sitzen, ist die SPD an der Neugestaltung der Pflege durch ihre Landesregierungen beteiligt, steht also in der Mitverantwortung für zukunftsorientierte Weichenstellungen. Für die Länder sind jeweils vier VertreterInnen für Gesundheit (Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg und Niedersachsen) sowie vier für Arbeit- und Soziales (Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen bzw. Sachsen (Wechsel erfolgte in 03/2011) vertreten.
Gesetzliche Ausgangslage
Schon lange bevor 2003 das Gesetz über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz - AltPflG) und 2004 das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege (Krankenpflegegesetz - KrPflG) in Kraft trat, wurde über die Modernisierung und Professionalisierung der Ausbildungen für die Altenpflege und die Gesundheits-und Krankenpflege debattiert.
Mit dem AltpflG wurde die Altenpflegeausbildung erstmals bundeseinheitlich geregelt und die Berufsbezeichnung geschützt. Absicht war die Sicherstellung eines einheitlichen Ausbildungsniveaus und eine Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes. Die im Unterschied zur Gesundheits- und Krankenpflege auf die Versorgung einer altersmäßig umschriebenen Bevölkerungsgruppe orientierte Ausbildung wurde auf eine ganzheitliche Pflege ausgerichtet, umfasst neben der Vermittlung psychosozialer Kenntnisse auch verstärkt medizinisch-pflegerische Kompetenzen.
Das KrPflG regelt ebenfalls die Ausbildungen aber auch die Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnungen sowie Regelungen zur Anerkennung gleichwertiger Ausbildungen im Europäischen Wirtschaftsraum. Pflege wird als eigenständiger und umfassender Aufgabenbereich gesehen. Die praktische Ausbildung findet nicht mehr nur in Krankenhäusern sondern auch in ambulanten oder stationären Pflege- oder Rehaeinrichtungen statt.
Eckpunkte für ein neues Pflegeberufegesetz
Vorgeschlagen werden grundlegende Weichenstellungen:
1. Die Schaffung eines einheitlichen Pflegeberufegesetz, welches das Altenpflege- und Krankenpflegegesetz ablöst.
2. Die berufliche Ausbildung soll als generalistisch ausgerichtete Pflegeausbildung stattfinden und die bisherigen drei Berufsausbildungen zusammengeführen.
3. Neu geregelt wird eine bundesweit einheitliche neue akademische Ausbildung.
Die Finanzierung der neuen beruflichen Ausbildung soll grundsätzlich bundesweit einheitlich erfolgen. Das an einigen Ausbildungsstätten zu zahlende Schulgeld soll abgeschafft werden. Annahme der Arbeitsgruppe ist, dass auch „zukünftig die - auf der Grundlage des mittleren Bildungsabschlusses zugelassenen - dreijährig an den Pflegeschulen ausgebildeten Pflegefachkräfte die stärkste Säule im Berufsfeld der Pflege bleiben müssen“. Die generalistische Ausbildung und die Zusammenführung erfordern neue Curricula, erfordern die Vermittlung von Kenntnissen in präventiven, kurativem, rehabilitativem, palliativem und sozial-pflegerischem Handeln. Gesamtverantwortung für die generalistisch orientierte Ausbildung und die unterschiedlichen Lernorten haben die Pflegeschulen. Angeboten werden individuelle Vertiefungsgebiete. Die Ausbildungsziele orientieren sich an einem umfassenden Pflegebegriff.
Ziel der mindestens vierjährigen mit praktischen Ausbildungsanteilen versehenen akademischen Pflegeausbildung sind „reflektierende Praktikerinnen und Praktiker“, die übergeordnete hochkomplexe Pflegeprozesse eigenverantwortlich steuern und koordinieren. Auch sie haben Anspruch auf Ausbildungsvergütung.
Beide Berufsausbildungen sollen nicht in Konkurrenz zueinander stehen. Gestärkt werden soll die Durchlässigkeit in einem gestuften Bildungsweg Pflege.
Zwischenfazit: Ich begrüße die allerdings noch sehr viele Fragen offenlassende Arbeitsvorlage. ine einheitliche und schulgeldfreie Finanzierung für politisch durchzusetzen ist angesichts der Vielfalt der Ausbildungsstrukturen auf bzw. zwischen den föderalen Ebenen eine Riesenherausforderung. Es geht um viel Geld, geht darum, welche föderale Ebene zu den Gewinnern bzw. Verlierern gehört, geht um Steuer- und Versichertengelder. Die Arbeitsgruppe hat zwar vier Modelle gemacht, der Politik aber keinen Vorschlag vorgelegt.
Relevante Aktivitäten in der SPD-Fraktion
ich habe fünf Fachgespräche mit VertreterInnen u.a. von Pflegeschulen, Berufsfachverbänden, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, der Deutschen Krankenkassengesellschaft, Krankenkassen sowie SPD-geführten Bundesländern durchgeführt. Die Ergebnisse werden in einem Antrag zusammengefasst, den wir in Kürze in das parlamentarische Verfahren einbringen. Unter anderem fordern wir ebenfalls
- eine einheitliche und generalistisch ausgerichtete Pflegeausbildung,
- einen bundesweiten Ausbildungsfonds, damit alle Einrichtungen an den Kosten der Ausbildung beteiligt werden,
- die Abschaffung des Schulgelds.
Auftakt der öffentlichen und weiteren politischen Fachdiskussion ist die Anhörung der Fachverbände auf Bundesebene am 19. März. Am 20. März sind alle SPD-Bundestagsabgeordneten zu einem Informationsgespräch eingeladen. Viele Fragestellungen sind offen:
Politische Diskussion und Mitmachen erwünscht
Unsere Gesellschaft braucht Nachwuchskräfte in der Pflege und Assistenz. Uns allen ist klar: Um diese zu gewinnen, müssen die Rahmenbedingungen, müssen die Arbeitsfelder in der Pflege, in der Kranken-, Alten- und Behindertenhilfe für junge Menschen und QuereinsteigerInnen attraktiver werden. Wir brauchen zeitgemäße zukunftsorientierte Ausbildungsgänge, qualifizierte Arbeitsfelder mit einer angemessenen Bezahlung, Durchlässigkeit und Karriereperspektiven im Bildungs- und Arbeitsbereich, mehr Fort- und Weiterbildung. Ohne Investitionen in die gesellschaftliche und politische Aufwertung der Pflegeausbildung und Pflegetätigkeiten wird uns das nicht gelingen. Bildungs-, Gesundheits- und Arbeitspolitik stehen an einem Scheideweg.
Ich lade alle interessierten Genossinnen und Genossen zu einem Gesprächskreis „Pflegeausbildung“ ein, um die allgemeinen aber auch Berlinspezifischen Herausforderungen zu diskutieren. Entsprechende Anträge für den Landesparteitag sind das Ziel. Bitte melden unter: mechthild.rawert.Ma02@bundestag.de oder 227 75730.