Sehr ernste Themen führen zu ungeahnter Wissensanreicherung - so geschehen am 25. April bei der Anhörung des Antrages der Linkspartei „Opfer des Brustimplantate-Skandals unterstützen - Keine Kostenbeteiligung bei medizinischer Notwendigkeit“. Der sogenannte PIP-Brustimplantate-Skandal und die daraus resultierende Frage, wer denn nun die Kosten für die medizinisch notwendigen Entfernungen, gegebenenfalls aber auch für neue Brustimplantate trägt, haben sowohl Haftungs- als auch gesundheitspolitische Konsequenzen. Müssen die Frauen privat zahlen oder kommen die privaten und gesetzlichen Krankenkassen oder gar Dritte für die entstandenen Kosten auf? Unbestritten ist, dass es sich hier um einen mit viel krimineller Energie vollzogenen vorsätzlichen Betrug eines Unternehmens handelt. Es wurden gesetzliche Vorschriften missachtet und die Aufsichtsorgane, wie Überwachungsbehörden und Prüfstellen, absichtlich getäuscht. Aufrüttelnd und erschreckend ist aber auch der lange Zeitraum, in dem dieser Skandal nicht entdeckt wurde und die sehr hohe Zahl der betroffenen Frauen weltweit. Es gab BefürworterInnen für und gegen die Abschaffung des § 52 Abs. 2 SGB V „Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden“ (beispielsweise keine Kostenübernahme für nicht medizinisch indizierte Schönheitsoperationen wie Tattoos oder Piercings) und die Einrichtung einer Fondslösung. Einzelne Sachverständige forderten vom Gesetzgeber, den § 52 Abs. 2 SGB V in seiner seit dem 01.07.2008 gültigen Fassung aufzuheben, da diese Norm mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen sei. Es stelle sich die Frage, ob nicht das Stechen von Ohrlöchern nicht ebenso herangezogen werden müsse.
Tattoos und Piercings
Persönlich habe ich einiges über Tattoos und Piercings gelernt:
Pro Jahr werden in Deutschland ca. 2 Millionen Tattoos gestochen. Insgesamt sind ca. 15% der deutschen Bevölkerung tätowiert. Der Jahresumsatz aller deutschen Studios liegt bei ca. 50 Millionen Euro. Ca. 6000 gewerbliche Betriebe arbeiten in dieser Branche und stellen ca. 20.000 Arbeitsplätze, davon sind etwa die Hälfte TätowiererInnen (DEUTSCHE ORGANISIERTE TÄTOWIERER e.V.).
Ähnlich wie TätowiererInnen sprechen sich auch die European Association for Professional Piercing (EAPP) und der Europäische Berufsverband Professionelles Piercing e.V. für die Abschaffung der von ihnen als „Selbstverschuldungs-Paragraphen“ bezeichnete Regelung des SGB V aus. Es sei falsch zu behaupten, dass einzig Schönheitsoperationen sowie Tätowierungen und Piercings präzise abzugrenzen sind. Tattoos und Piercings gehörten zu einer Lebensstilentscheidung und hätten somit ein Recht auf Anerkennung und grundgesetzlichen Schutz. Aufgrund der mittlerweile hohen Qualitätsstandards der offiziellen Piercing-Studios komme es grundsätzlich zu immer weniger Komplikationen. Der Berufsverband bezieht sich bei dieser Aussage ausdrücklich auf Bodypiercings und keine Bodymodifikationen.
Der EAPP fordert die Schaffung eines Ausbildungsberufes, um durch standardisierte Abläufe (ähnlich der Schönheits-ChirurgInnen) eine maximale Sicherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten und um einem allgemeinen Ausbildungsstandard eines anerkannten Wirtschaftszweiges gerecht zu werden. Hintergrund dieser Forderung stecken Schätzungen aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre: Jährlich würden in Deutschland zwischen 6-8 Millionen Piercings gesetzt, mittlerweile sei insgesamt die Hälfte der deutschen Bevölkerung gepierct (inkl. Ohrlöcher!). Die rund 7.000 gewerbliche Piercing-Betriebe schaffen ca. zwanzigtausend Arbeitsplätze und erwirtschafteten einen Jahresumsatz von schätzungsweise 50 Millionen Euro. Hinzu kommen ca. 115 Millionen Euro Jahresumsatz durch den Handel mit Hygienematerial bzw. den Großhandel mit Piercingschmuck.