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Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) eindämmen – Patienten transparent informieren

Rede am 10. Mai 2012 anlässlich der Ersten Beratung des Antrages der SPD-Bundestagsfraktion zur Eingämmung von Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL): 

 

 

 

Sehr geehrter Herr Präsident!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Igel sind possierliche Tiere, und eigentlich hat sie jeder trotz ihrer Stacheln gern. Hier reden wir aber über ganz andere Igel. Wir reden über die Individuellen Gesundheitsleistungen, über Geschäftemacherei in ärztlichen Praxen und über einen rasant wachsenden Markt mit einem Umsatz von mittlerweile mehr als 1,5 Milliarden Euro. Wir reden darüber, dass Patientinnen und Patienten, die krank sind, sich elend fühlen und deshalb ihren Arzt oder ihre Ärztin aufsuchen, in der Arztpraxis flugs einen Rollenwechsel erfahren. Sie sind nicht mehr in erster Linie Patient oder Patientin. Nein, Sie sind, wie das Bundesgesundheitsministerium sagt, „mündige Vertragspartner“.

Zu all dem sagen wir als SPD-Bundestagsfraktion entschieden Nein.

(Beifall bei der SPD)

Denn wir wollen, dass Patientinnen und Patienten auf ärztliche Ethik vertrauen können. Schon vor über einem Jahr habe ich hier gestanden und bei der Diskussion des SPD-Antrags „Für ein modernes Patientenrechtegesetz“ auch eine Eindämmung der mittlerweile über 350 Individuellen Gesundheitsleistungen gefordert. Schon damals habe ich bessere Information, mehr Aufklärung, mehr Sicherheit und Transparenz gefordert. Schon damals wollten wir als SPD-Bundestagsfraktion, dass mit der Abzocke mit den sogenannten Selbstzahlerleistungen endlich Schluss gemacht wird.

(Beifall bei der SPD)

Was ist seitdem durch das FDP-Bundesgesundheitsministerium veranlasst worden? Ich verrate es Ihnen gerne: gar nichts. Bundesgesundheitsminister Bahr hat noch nicht einmal dafür gesorgt, dass zur Verhinderung dieser Abzocke eine Regelung im Entwurf des Patientenrechtegesetzes steht.

(Daniel Bahr (Münster) (FDP): Unsinn!)

Hier steht kein einziges Wort dazu. Böse, wer da denkt, die FDP wolle lieber den Ärzten und Ärztinnen gefallen, als etwas zum Schutz der Patientinnen und Patienten zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Daniel Bahr (Münster) (FDP): Das glauben Sie doch selbst nicht!)

Dieses „Gar nichts“, dieses Fehlen im Patientenrechtegesetz, missfällt sogar Ihnen, werte Kolleginnen und Kollegen der Union; denn immerhin wollen Sie, dass schriftliche Verträge zu den Selbstzahlerleistungen abgeschlossen werden und dass die voraussichtlichen Kosten der medizinisch nicht notwendigen Leistungen ausdrücklich aufgeführt werden. Wenn Sie es also ernst meinen, dann stimmen Sie heute unserem Antrag zu.

(Beifall bei der SPD)

Ich wollte aber genauer wissen, was es mit diesem „Gar nichts“ aus dem Bundesgesundheitsministerium auf sich hat, und habe deshalb schriftliche Anfragen gestellt, zum einen zu dem vom Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte Medizin ausgezeichneten Bericht „Individuelle Gesundheitsleistungen“ des DIMDI, übrigens eine Einrichtung im Geschäftsbereich des Bundesgesundheitsministeriums. Das DIMDI kommt zu dem Ergebnis, dass die am meisten verkaufte Individuelle Gesundheitsleistung, nämlich die Glaukomuntersuchung, „keine Evidenz zum patientenrelevanten Nutzen“ aufweist. Mit anderen Worten: erneut Abzocke.

Nun zu einer anderen Leistung. Das interessiert uns Frauen nun wirklich sehr. Wer von uns hätte nicht Angst vor bösartigen Erkrankungen am Eierstock.?Für das VUS-Screening, die vaginale Ultraschalluntersuchung, ist laut DIMDI sogar „ein Schaden zu erkennen“. Nicht nur, dass das Screening nichts nützt, es bringt sogar einen Schaden mit sich. Auch die Fachverbände der Gynäkologen und Gynäkologinnen bestätigen, dass diese Methode zur Früherkennung von Eierstockkrebs nicht zu empfehlen ist, da sie in einem hohen Maß zu Überdiagnosen mit nachfolgenden operativen Eingriffen führt. Aber das Gesundheitsministerium sagt: Mit den vielen IGeLn ist eigentlich alles in Ordnung.

Kennen Sie eigentlich die Realität in den Fachpraxen? Mir erzählen Bürgerinnen und Bürger zunehmend öfter, sie würden am Schalter schon mit IGeL-Angeboten überhäuft. Einige sagen sogar, wenn sie nicht zustimmten, ein IGeL-Angebot anzunehmen, erhielten sie keinen Termin beim Arzt.

(Elke Ferner (SPD): Unglaublich!)

Das ist wirklich unglaublich, danke schön. Das geht eindeutig zu weit. Es geht zu weit, dass die zumeist medizinisch nicht ausgebildeten Patienten und Patientinnen nun plötzlich entscheiden sollen, wie sie sich selbst diagnostizieren, es geht zu weit, von ihnen zu erwarten, dass sie wissen sollen, was medizinisch sinnvoll oder unsinnig ist. Es geht uns mit dem Antrag darum, Patienten und Patientinnen, die krank sind, nicht nur vor Abzocke zu schützen, sondern auch vor Schaden zu bewahren.

(Beifall bei der SPD)

Das WIdO, eine Einrichtung der AOK, hat bestätigt: Individuelle Gesundheitsleistungen werden vorrangig denjenigen angeboten, die über 3 000 Euro verdienen. Sind die Patientinnen und Patienten der gesetzlichen Krankenversicherungen denn weniger wert? Medizinische Dienstleistungen gehen dann nur noch an Gutverdiener? - Das kann es nicht sein.

Vor dem Hintergrund dessen hat die Bundesärztekammer gesagt: Wir brauchen angemessene Informations- und Transparenzrichtlinien; wir wollen sogar eine Zweitmeinung einholen lassen. ‑ Liebe Bundesärztekammer, bitte machen Sie doch ernst! Wir brauchen zunehmend mehr den Schutz des Verhältnisses zwischen Arzt und Patient.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. IGeL, die zu Unrecht das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit unserer gesetzlichen Krankenkassen erschüttern, brauchen wir nicht. Ich erwarte mehr Patientenschutz, mehr Patientenrechte. Wertes FDP-Ministerium, kümmern Sie sich um die Patientinnen und Patienten und weniger um die Ärztinnen und Ärzte!

(Beifall bei der SPD)