Rede am 10. Mai 2012 anlässlich der Ersten Beratung eines Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung - Nutzerorientiert, solidarisch, zukunftsfest“:
Sehr geehrte Damen und Herren!
liebe Kollegen und Kolleginnen!
Pflege ist und bleibt DAS große gesellschaftliche Thema, an dem sich entscheidet, wie solidarisch wir miteinander leben. Wie würdevolles Altern ohne Angst davor, pflegebedürftig zu werden, für ALLE Bevölkerungsgruppen und nicht nur für die Besserverdienen möglich ist. Wir brauchen dazu auch eine nachhaltige, eine solidarische Finanzierung, wir brauchen die solidarische BürgerInnenversicherung.
Pflege geht uns alle an.
Das von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr am 26. April 2012 eingebrachte Pflege-Neuausrichtungsgesetz reicht bei weitem nicht aus. Es richtet nichts neu aus, sondern ist ein Spiel auf Zeit.
Sie können es vielleicht nicht mehr hören; richtig bleibt das Argument trotzdem: Für die Einbringung eines Gesetzes zur Mehrwertsteuererleichterung für Hoteliers hat die CDU/CSU/FDP-Regierung im Jahr 2009 ganze 12 Tage gebraucht.
Für die Vorlage eines Gesetzes für die Pflege hat Schwarz-Gelb dagegen mit Heulen und Zähneklappern, mit gegenseitigen Beschimpfungen, sage und schreibe fast drei Jahre gebraucht.
Wir alle wissen es: Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff für die Pflege ist nötig. Dieser scheitert daran, dass sich CDU/CSU und FDP nicht auf eine adäquate Finanzierung einigen können, sondern mutlos vor sich hin dilettieren. Und das, obwohl die sehr guten Vorarbeiten des Pflegebeirates schon zum Anfang ihrer Regierungszeit 2009 vorlagen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich zum Thema Pflegereform schon klar positioniert und begrüßt deshalb prinzipiell die Intention des hier heute in 1. Lesung eingeführten Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
In der in der nächsten Sitzungswoche stattfindenden Anhörung zum Pflege-Neuausrichtungsgesetz der Bundesregierung wird sich zeigen, dass die Lösung der Probleme in der Pflege mit den Vorstellungen der Bundesregierung nicht gelingen kann.
Um eine würdevolle Pflege in selbstgewählter, in häuslicher Umgebung in Zukunft gewährleisten zu können sind vielmehr grundlegende Weichenstellungen nötig. Einige davon hat meine Kollegin Hilde Mattheis in ihrer Rede bereits benannt.
Ich möchte noch zwei Punkte hinzufügen:
1. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege stärken:
Wir müssen endlich der sogenannten „Sandwich-Generation“ wirksam unter die Arme greifen. Wir wollen den Frauen und Männern die voll im Beruf stehen, für die Ausbildung der Kinder sorgen und gleichzeitig die Pflege ihrer Eltern managen, wirksame und den Alltag auch lebbar machende Rechte geben. Wir wissen, dass sich viele dieser Mittvierziger, Mittfünfziger wegen unzureichenden Regelungen zur Vereinbarkeit familiärer Situationen und Beruf häufig allein gelassen fühlen. Immer mehr fühlen sich von den Belastungen ausgezehrt.
Die SPD möchte hier ansetzen:
Wir wollen Angehörigen Hilfen bei plötzlich eintretender Pflegebedürftigkeit an die Hand geben. Dazu sollen Angehörige analog zum Kinderkrankengeld bei plötzlich eintretender Pflegebedürftigkeit einen Rechtsanspruch auf Lohnersatzleistung erhalten. Mit diesem Rechtsanspruch auf Lohnersatzleistung unterstützt, sollen sie die bis zu zehn Tagen bestehende Freistellungsmöglichkeit nach dem Pflegezeitgesetz für privates Pflegemanagement beanspruchen können.
Das Familienpflegezeitgesetz der Regierung Merkel verbessert die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nicht nachhaltig. Es gibt keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Familienpflegezeit, keinen Kündigungsschutz, noch wird der Anspruch auf alle Betriebe unabhängig von einer bestimmten ArbeitnehmerInnenzahl ausgeweitet.
Wir wollen das Pflegezeitgesetz, das den Anspruch auf eine 6-monatige Freistellung beinhaltet, weiterentwickeln. Dazu wollen wir das Modell eines flexibel handhabbaren Zeitbudgets für Angehörige von pflegebedürftigen Menschen einführen.
Unser Ziel ist dabei, dass mehr Frauen und Männer sich die Verantwortung für Sorgearbeit gleichberechtigt aufteilen.
2. Maßnahmen gegen den Personalmangel in der Pflege:
Neben besseren Arbeitsbedingungen, neben einer besseren Vergütung, gehört für mich in erster Linie auch die Reform der Ausbildungen in der Pflege zu den wichtigsten Maßnahmen. Nur mit einer verbesserten bundeseinheitlichen Ausbildung werden wir mehr junge Menschen in dieses Berufsfeld bekommen und langfristig dort auch halten. Pflege ist ein zukunftsorientiertes Berufsfeld, die Ausbildungsstrukturen sind daher zu modernisieren.
Wir wollen als SPD-Bundestagsfraktion daher:
Im Interesse der jungen Menschen und der überall hohen Anforderungen im Berufsfeld Pflege soll nur noch ein Berufsabschluss am Ende der gemeinsamen Ausbildung stehen. Wir wollen eine generalistische Ausbildung von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege mit einer daran anschließenden weiterführenden Spezialisierung.
Die Ausbildung in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege muss künftig gebührenfrei sein. Das von Auszubildenden selbst zu tragende Schulgeld muss abgeschafft werden.
Nicht-ausbildende Einrichtungen sind künftig an der Finanzierung der Ausbildung und Ausbildungsvergütung über einen Fonds zu beteiligen. Einen Wettbewerbsvorteil von Nicht-ausbildenden Unternehmen gegenüber Ausbildungsbetrieben darf es auch angesichts der notwendigen Fachkräftesicherung im gesamten Bereich nicht geben.
Da Umschulungsmaßnahmen in der Pflege immer wichtiger werden, ist zur Förderung des dritten Ausbildungsjahres für die berufliche Weiterbildung in der Alten- und Krankenpflege mit den Bundesländern eine nachhaltige Grundlage für die Finanzierung zu erarbeiten. Die Förderung durch die Bundesagentur soll nach unserem Willen bis 2013 verlängert werden.
Die Bildungslandschaft Pflege muss grundlegend reformiert werden. Wir wollen horizontale und vertikale Durchlässigkeit, wollen „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Berufserfahrenen Pflegehilfskräften mit Eignung zur Pflegefachkraft müssen Bildungswege zur Weiterqualifizierung eröffnet werden, auch sie sollen Aufstiegsmöglichkeiten garantiert bekommen.
Die Richtlinie zur Heilkundeübertragung muss von den gesetzlichen Krankenkassen und Leistungserbringern schnell in die Praxis umgesetzt werden. Pflegefachkräfte müssen Weiterbildungsmöglichkeiten zur Ausübung der in der Richtlinie aufgeführten Tätigkeiten erhalten.
Und wir wollen weiterhin: Es muss in der Pflegebranche leistungsgerechter bezahlt werden. Die Lohnunterschiede in Ost und West müssen beendet werden. Die Tarifpartner sind aufgefordert, hier einen flächendeckenden Tarifvertrag für eine bessere Bezahlung umzusetzen.
Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Ich halte diese Bundesregierung für sehr schwach bei der Modernisierung der Pflege und dabei drängt es uns allen unter den Nägeln.
Mir macht aber Mut, dass es die vielen guten Beispiele aus der Pflege gibt, die zeigen, dass unser Pflegenachwuchs willens ist, die Anforderungen der Pflege in der Zukunft zu meistern.
Ansporn sind mir die vielen Menschen in der Pflege selbst, die sich mit viel Kompetenz und Engagement für die Pflegebedürftigen - und wir alle können von einem Moment zum anderen dazugehören - einsetzen.
Ich danke deshalb allen Engagierten in der Pflege, in der Pflegeausbildung für ihr tagtägliches Engagement, für ihre Vorbildfunktion. Unsere Gesellschaft des längeren Lebens braucht Sie alle als „MutmacherInnen“ und „AnpackerInnen“.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.