„Mehr als vier Jahre hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Dialog mit Wohlfahrtsverbänden, Selbsthilfeorganisationen und Fachverbänden der Behindertenhilfe an einer grundlegenden Reform der Eingliederungshilfe gearbeitet. Nun droht das Vorhaben an der Uneinigkeit über die Verteilung der finanziellen Lasten zu scheitern“ - so der Beginn der Einladung zur Fachtagung “Baustelle Eingliederungshilfereform“ des Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. und des Bundesverband evangelische Behindertenhilfe in der Katholischen Akademie, Berlin, am 29. Mai.
Keine Reform der Eingliederungshilfe in dieser Legislaturperiode
Es stimmt: Die Notwendigkeit einer neuen personenzentrierten Ausgestaltung der Eingliederungshilfe ist nach wie vor gegeben. In der Szene rumort es: Zum einen soll es eine umfangreiche Vorlage im Hause von Bundesministerin von der Leyen zur Reform der Eingliederungshilfe geben - welche aber niemandem bekannt ist, und von der angenommen wird, dass sie, sofern tatsächlich vorhanden, auch allen unbekannt bleiben wird, da sich die CDU/CSU/FDP-Regierung in den letzten Monaten ihrer Regierung nicht mehr an ein so großes politisches Projekt heran traut.
Zum anderen steht in dem zumindest öffentlich zugänglichem Antrag des Freistaates Bayern zur Schaffung eines Bundesleistungsgesetzes (Drs. 282/12) vom 16. Mai: „Der Bundesrat fordert deshalb die Bundesregierung auf, unverzüglich die Arbeiten für ein Bundesleistungsgesetz aufzunehmen mit dem Ziel, dass dieses spätestens in der nächsten Legislaturperiode verabschiedet werden kann.“
Der Antrag greift im Wesentlichen die Aspekte der bisherigen Reformdiskussion auf. Mit einem Bundesleistungsgesetz soll u. a.
- eine Loslösung der Leistungen der Eingliederungshilfe vom System der Sozialhilfe erfolgen, verbunden mit dem Ziel, langfristig Menschen mit Behinderung so weit wie möglich vom Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens freizustellen.
- ein bundesweit einheitliches Bedarfsbemessungssystem und -verfahren unter Einbeziehung aller beteiligten Sozialleistungsträger etabliert werden.
- eine Trennung von Leistungen zum Lebensunterhalt und Eingliederungshilfeleistungen vorgenommen werden.
- die Hilfe zur Teilhabe am Arbeitsleben flexibilisiert und personenzentriert ausgestaltet werden.
- die Wechselwirkungen zwischen der (reformierten) Eingliederungshilfe einerseits und der Sozialen Pflegeversicherung andererseits berücksichtigt werden.
Als Bundespolitikerin lehne ich die Forderung der Länder nach alleiniger Kostenübernahme für die Eingliederungshilfe allerdings ab.
Einmischung in den Bundestagswahlkampf ist angesagt
Der Frust unter den Akteurinnen und Akteuren ist groß. Aus diesem Grunde waren die Perspektiven der politischen Parteien für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe gefragt. Von den Parteien stellten sich allerdings nur Bündnis 90/Die Grünen mit Markus Kurth und ich für die Sozialdemokratie den Fragen des Moderators .
Fakt ist, dass sich die Teilnehmenden engagiert und kompetent in den Bundestagswahlkampf einmischen wollen. Ich begrüße es sehr, wenn die Zivilgesellschaft, wenn Bürgerinnen und Bürger sich aktiv für die Hauptanliegen von Menschen mit Behinderungen einsetzen - überall und zu jedem Zeitpunkt - und habe dazu aufgefordert „der Politik Druck zu machen“. (Foto: Büro Rawert)
SPD: Von der Fürsorge zur Teilhabe - von der Eingliederungshilfe zur Inklusion
In einem Positionspapier zur Reform des SGB IX und der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung hat der SPD-Parteivorstand am 08. August 2011 dargelegt, wie wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eine umfassende und uneingeschränkte Teilhabe ermöglichen wollen. Wir wollen den Weg von der Eingliederungshilfe zu einer umfassenden Inklusionsstrategie konsequent gehen, „indem wir die notwendige individuelle Unterstützung bereitstellen und einen inklusiven Sozialraum für jede und jeden schaffen“. Dazu gehört unter anderem:
- Eine konsequente Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit den Grundsätzen Soziale Teilhabe, Selbstbestimmung, Inklusion und Barrierefreiheit.
- Inklusion als uneinschränkbares Ziel aller Sozialgesetzbücher in einem neuen Kapitel „Inklusion“ im SGB IX entsprechen.
- Die Umsetzung des Grundsatzes „Nichts ohne uns über uns“.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen
- eine personenzentrierte Leistungssystematik;
- ein individuelles Teilhabemanagement aus einer Hand;
- ein uneingeschränktes Wahlrecht behinderter Menschen zwischen Leistungen;
- neue Strukturen, u.a. ein geregeltes, transparentes und regional angepasstes Verfahren zur Konversion von (Groß)Einrichtungen. Damit MitarbeiterInnen diesen Wandel in der Gewissheit von „Guter Arbeit“ machen können, überlegen wir, ein Konversionsprogramm für die kommenden 10 Jahre aufzulegen und die Beschäftigten so zu motivieren und zu befähigen, inklusive Sozialräume für alle zu schaffen;
- den Anspruch auf Hilfe zur Inklusion als Anspruch zum Ausgleich von Nachteilen ausgestalten und so den Anspruch auf Teilhabe gewährleisten. Hierzu soll ein neues Finanzierungssystem in gemeinsamer Verantwortung von Bund und Ländern entwickelt werden: Mit einem beim Bund angesiedelten Fonds (Inklusionsfonds) soll gewährleistet werden, dass es keine regionalen Ungleichheiten gibt. In diesen Inklusionsfonds zahlen Länder und Kommunen entsprechend ihrer bisherigen Ausgaben ein.
Wir prüfen
- den zusätzlichen Anspruch auf ein pauschales Teilhabegeld.
Es profitieren alle.
Eine Reform des Leistungsrechts für Menschen mit Behinderung ist dafür da, die Lebenssituation behinderter Menschen spürbar zu verbessern. Diese Reform ist kein Sparprogramm. Der Sozialraum und die Gemeinde gewinnt mit dieser Reform eine höhere Qualität im Sinne eines inklusiven Gemeinwesens für jede und jeden.