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Korruptionsbekämpfung im Gesundheitswesen

Aufgrund der festgestellten Beschlussunfähigkeit bei der ersten Lesung des sogenannten "Betreuungsgeldes" im Deutschen Bundestag wurde die Sitzung am 15.06.2012 aufgehoben. Daher konnte die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert ihre vorbereitete Rede zur folgenden Debatte nicht halten:

Rede von Mechthild Rawert am 15. Juni 2012 anlässlich der 2./3. Lesung des SPD-Antrages „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ (Drucksache 17/3685):



Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Es ist leider eine Binsenweisheit:
Da wo es um viel Geld geht, und das ist in unserem Gesundheitssystem mit insgesamt über 250 Milliarden Euro pro Jahr natürlich der Fall, da gibt es Begehrlichkeiten, sich „etwas vom Kuchen abzuschneiden“.

Schätzungen gehen für Deutschland von bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr aus, die nicht effektiv für eine patientenorientierte Gesundheitsversorgung verwendet werden können, weil sie dem System auf die eine oder andere Weise entzogen werden.

Würde nur ein Teil dieses Geldes zur Verfügung stehen, müssten wir uns über die Ausstattung und Bezahlung der Leistungserbringer viel weniger sorgen, als wir es bisher oft taten. Deshalb ist der Antrag „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ meiner SPD-Fraktion so wichtig.

Meine Kollege, Edgar Franke, hat unsere wichtigsten Forderungen bereits dezidiert dargelegt. Edgar, dafür mein herzlicher Dank.

Korruption im Gesundheitswesen ist nicht nur eine finanzielle Belastung.

Erstens:
Korruption ist auch immer ein Betrug an all denjenigen, die die Interessen der Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt stellen. Korruption ist ein Betrug an all denjenigen im Gesundheitswesen, die ihre Aufgaben solide und gesetzestreu erbringen.

Zweitens:
Zu Missbrauch und Korruption führende Strukturmängel im Gesundheitssystem untergraben mittel- und langfristig auch das Vertrauen in die moralische Integrität der Akteure, beispielsweise auch der Heilberufe.

Die SPD-Bundestagsfraktion nimmt Korruption im Gesundheitswesen nicht hin. Wir wollten Korruption in der Öffentlichkeit skandalisieren und haben unseren Antrag bereits Ende 2010 in den Deutschen Bundestag eingebracht und in erster Lesung vor einem Jahr hier im Plenum beraten.

Wir alle sind seitdem sensibler geworden für Unrechtmäßigkeiten. Und doch ist weiterhin viel geschehen, was sich mit Unregelmäßigkeiten, Mauscheleien, Verfehlungen oder schlicht Betrug beschreiben lässt.

Lassen Sie mich dazu zwei Beispiele nennen:

Erstens:
Wir alle haben in den letzten Wochen und Monaten Berichte über sogenannte Fangprämien für Ärzte und Ärztinnen gehört.

Fakt ist: Es ist illegal, wenn Ärzte von Krankenhäusern oder FacharztkollegInnen oder anderen Dritten Geld erhalten, damit PatientInnen quasi zielgerichtet „verschoben“ werden.

Schon 2009 gab es massive Hinweise auf diese „zielgerichteten Verschiebungen“. Die Bundesärztekammer, die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft sahen sich damals genötigt, sogenannte „Clearingstellen“ in den einzelnen Bundesländern einrichten.

Für das jeweilige Bundesland sollten diese „Clearingstellen“ die Verträge zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken prüfen. Gleichzeitig sollten sie Beschwerden etwa von Wettbewerbern annehmen, die illegale Machenschaften vermuten.

Wenn jetzt in einer Studie der Universität Halle-Wittenberg - die im Herbst 2011 bundesweit 1141 niedergelassene Fachärzte, leitende Angestellte von stationären Einrichtungen sowie nicht-ärztliche Leistungserbringer telefonisch interviewt hat - herauskommt, dass ein Viertel der Kliniken Prämien an Ärztinnen und Ärzte für die Einweisung von Patienten und Patientinnen bezahlt, dann ist das ein Skandal.

Dann zeigt es uns aber auch: Die ärztlichen Clearingstellen bringen zu wenig.

Zweitens:
Stichwort Klinikabrechnungen:
Laut Spitzenverband der Krankenkassen waren 2006 34 Prozent der geprüften Klinikabrechnungen fehlerhaft abgerechnet. Es sind leider nicht weniger, nein es sind mehr geworden - nämlich mittlerweile fast 50 Prozent. Der Bundesrechnungshof gibt die fehlerhaften Abrechnungen mit ca. einem Drittel an. Die Wahrheit wird, wie so oft, in der Mitte liegen. Auf jeden Fall sind es aber viel zu viele Abrechnungen, die beanstandet werden.

Für uns als SPD-Bundestagsfraktion heißt das:

Systematische Falschabrechnungen müssen stärker als bisher Konsequenzen haben. Im Augenblick ist es noch so, dass ein fehlerhaft abrechnendes Krankenhaus keine Sanktionen befürchten, sondern lediglich den überzahlten Betrag der Krankenkasse erstatten.

Fazit:
Die SPD-Bundestagsfraktion macht mit diesem Antrag kein Fass auf gegen „die Ärzte“, sie stellt auch keine Berufsgruppe unter Generalverdacht.

Aber: Wir benennen einen Teil der Probleme im deutschen Gesundheitssystem.

Und wir sind damit in guter Gesellschaft:

Seit 2009 beschäftigte sich auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft in ihrer Arbeitsgemeinschaft „„Interessenkonflikte in der Medizin““ mit diesem „Problem“. Sie kommt unter anderem zu der Erkenntnis, dass
         ZITAT „Interessenkonflikte von Ärzten ein allgegenwärtiges und gerade deshalb ein nicht triviales Phänomen sind, dem sich der ärztliche Berufsstand stellen muss“.

Als Beispiel für mögliche Interessenkonflikte stellt die Arbeitsgemeinschaft „„Interessenkonflikte in der Medizin“ selbst heraus:

Die Gelder, die Ärzte für die Durchführung wissenschaftlicher Studien annehmen oder Zuwendungen von pharmazeutischen Unternehmen oder Herstellern von Medizinprodukten.

Unser Antrag „Korruption im Gesundheitswesen wirksam bekämpfen“ soll auch dazu beitragen, dass wir eine gesamtgesellschaftliche Debatte darüber führen:

  • Wohin soll unser Gesundheitssystem generell gehen?
  • Wird Gesundheit zur Ware?
  • Werden LeistungserbringerInnen im Gesundheitswesen mehr zu Kaufleuten als zu Mitgliedern von Heilberufen?
  • Soll Gesundheit ein Markt werden wie jeder andere auch oder soll die Patientenorientierung, der Nutzen für den Patienten, für die Patientin im Mittelpunkt stehen?

Ich halte letzere Haltung für weniger anfällig für Korruption. Dafür setzen wir uns ein.

Ich danke für ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen allen ein gesundes und fröhliches Wochenende.