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Fairer Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung

Rede am 28. Juni 2012 anlässlich der Beratung des Antrages der Fraktion der SPD „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“ (Drucksache 17/9931) Tagesordnungspunkt 41 a+b 187. Sitzung des Deutschen Bundestages:

 


Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kollegen und Kolleginnen!

Wir alle wollen, dass Menschen mit Behinderung volle und wirksame gesellschaftliche Teilhabe erhalten. Zur umfassenden Teilhabe gehört selbstverständlich der vollständige Zugang zum Arbeitsmarkt.

In der UN-Behindertenrechtskonvention steht auch das Recht auf Arbeit. Im Artikel 27 heißt es, die Arbeitsaufnahme von Menschen mit Behinderung ist durch staatliche Maßnahmen zu fördern.

Wir als SPD-Fraktion nehmen die UN-Behindertenrechtskonvention sehr ernst. Deswegen bringen wir heute den Antrag „Ausgleichsabgabe erhöhen und Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen“ ein. Mit der Umsetzung unserer Forderungen wird Menschen mit Behinderung ein fairer Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht.

Fakt ist aber: Obwohl die Arbeitslosenzahlen in Deutschland insgesamt sinken, finden immer mehr Menschen mit Behinderung keine Arbeit. Im Mai diesen Jahres waren über 175.000 schwerbehinderte Menschen sind arbeitslos.

Dieser Trend des Ausgrenzens von Menschen mit Behinderungen muss gestoppt werden. Es kann nicht sein, dass einerseits über Fachkräftemangel geklagt wird und andererseits Menschen nicht eingestellt werden, weil sie eine Behinderung haben.

Wir müssen uns auch immer vor Augen führen: Viele der rund 9,6 Millionen Behinderungen sind durch einen Unfall oder eine chronische Krankheit verursacht. Von Geburt an sind nur 4 Prozent betroffen.

In Deutschland haben die Arbeitgeber eine gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen - und das ist gut so. Unternehmen, die mindestens 20 Vollzeitarbeitsplätze haben, müssen wenigstens 5 Prozent schwerbehinderte Menschen beschäftigen. Also von 20 MitarbeiterInnen mindestens eine oder einen.

Die Unternehmen, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen, haben eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Die Praxis zeigt, dass die Abgabe oft als eine Art „Freikauf“ von der Pflicht zur Beschäftigung genutzt wird.

Folge dieses „Freikaufs“ ist, dass mittlerweile fast jeder dritter Arbeitgeber die gesetzliche Beschäftigungspflicht gar nicht oder völlig unzureichend erfüllt.

Folge dieses „Freikaufs“ ist auch, dass wir in Deutschland nur einen prozentualen Anteil von 4,5 % schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben.

Während die öffentlichen Arbeitgeber ihrer Pflicht mehr als nachkommen, macht das die private Wirtschaft nicht.

Sicher: Wir müssen darüber aufklären und dazu beraten, was die Einstellung eines Menschen mit Behinderung bedeutet. Dafür haben wir hervorragende Dienste und Einrichtungen, von der Bundesagentur für Arbeit über die Integrationsämter bis zu den Integrationsfachdiensten.

Aber offenem Unwillen und offener Diskriminierung müssen wir auch mit strengen Maßnahmen begegnen.

Für uns als SPD-Fraktion ist ganz klar: Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Wir wollen, dass die Arbeitgeber ihrer Verpflichtung zur Beschäftigung behinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch in der Wirklichkeit endlich nachkommen.

Getreu nach dem Motto der UN-Behindertenrechtskonvention „Nichts über uns ohne uns“ haben wir zusammen mit den Betroffenen und ihren Verbänden diskutiert, wie wir einen fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen können.

Erstens:
Wir wollen die derzeitige Trennung von Schwerbehinderten Menschen und nicht schwerbehinderten Menschen schrittweise auflösen, weil sie dem Inklusionsgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht. Auch ein geringerer Grad der Behinderung als 20 kann im Arbeitsleben zu Einschränkungen führen und damit Teilhabe verhindern. Das wollen wir ändern.

Zweitens:
Die bestehende Gesetzeslage privilegiert Unternehmen, die viele geringfügig Beschäftigte einsetzen, denn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die weniger als 18 Stunden arbeiten, werden nicht gezählt. Wir setzen uns dafür ein, dass dieser Paragraf gestrichen wird. Unternehmen dürfen nicht dafür belohnt werden, dass sie einerseits massenhaft prekäre Beschäftigungsverhältnisse anbieten und dann aufgrund der statistischen Zählweise sich noch um gesetzliche Regelungen zur Beschäftigungspflicht herumdrücken können.

Drittens:
Die Beschäftigungspflichtquote muss auf 6 % erhöht werden. Mehr Menschen mit Behinderung brauchen eine reale Perspektive auf dem Arbeitsmarkt.

Ich möchte nochmal erinnern: Wir hatten die Quote schon einmal von 6% auf 5% abgesenkt und haben der Wirtschaft damit ein Angebot gemacht. Dies ist nicht angenommen worden, darauf müssen wir reagieren.

Dem „Freikaufen“ der Unternehmen von ihrer Beschäftigungspflicht muss ein Riegel vorgeschoben werden. Deswegen treten wir für eine gestaffelte Erhöhung der Ausgleichabgabe ein.

  • Bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 % sollen die Arbeitgeber pro Monat 750 € statt bisher 290 € als Ausgleich zahlen.
  • Unternehmen, die 2 bis weniger als 3 % Menschen mit Behinderung beschäftigen, sollen monatlich 500 € statt bisher 200 € zahlen.
  • Bei einer Beschäftigungsquote von 3 bis weniger als 6 % soll dann eine Ausgleichsabgabe von monatlich 250 € statt bisher 115 € pro fehlendem Arbeitsplatz gezahlt werden müssen.

Viertens:
Wir wollen die Inklusion auf dem ersten Arbeitsmarkt fördern. Deswegen sollen mehr Mittel aus der Ausgleichsabgabe für die Förderung von Integrationsunternehmen und Inklusionsprojekten verwendet werden. Hier arbeiten 25 bis 50 % Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Integrationsunternehmen leisten echte Inklusion. Sie müssen stärker gefördert werden. Nach eigener Aussage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsunternehmen könnten in den bestehenden Projekten sehr schnell mindestens 10.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Dafür sollte die Bundesregierung alle Ressourcen aktivieren, denn dies kommt den Menschen direkt zugute.

Es kommt darauf an, dass die Menschen gefördert werden und nicht die Institutionen, daher ist die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in Integrationsunternehmen und –abteilungen so wichtig. Dafür gibt es viele gute Beispiele.

Diese Bundesregierung muss nur endlich mal tätig werden anstatt sich auf einem Aktionsplan auszuruhen, der den Namen nicht verdient!

Fünftens:
Wir möchten die Schwerbehindertenvertretungen nach dem SGB IX zu Behindertenvertretungen weiterentwickeln. Die gewählten Vertrauensleute haben sich zu einem Motor für eine bessere Inklusion in Arbeit, Beruf und Gesellschaft entwickelt. Für die Durchsetzung von mehr Teilhaberechten gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention ist die Stärkung der Behindertenvertretungen nötig.

Sechstens:
Die SPD-Fraktion tritt für mehr Transparenz ein. Daher fordern wir, dass die Bundesagentur für Arbeit eine jährliche Übersicht über die Erfüllung der Beschäftigungsquote von Menschen mit Behinderung erstellt und diese dann auch veröffentlicht.

Wir brauchen eine bessere Beratung und Vermittlung von arbeitslosen Menschen mit Behinderung. In allen Agenturen für Arbeit und Jobcentern sind speziell qualifizierte Fachkräfte einzuführen, die Menschen mit Behinderung kompetent beraten und vermitteln. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Benachteiligung von Menschen mit Behinderung abzubauen.

Siebtens:
Bisher werden Verstöße gegen die Beschäftigungspflicht kaum geahndet. Doch die Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit mit empfindlichen Geldbußen dar. Es hat sich gezeigt, dass die Bundesagentur für Arbeit nicht die geeignete Verwaltungsbehörde ist, um diese Ordnungswidrigkeiten zu verfolgen.

Wir schlagen daher vor, dass die Durchsetzung der Beschäftigungspflicht auf die Finanzkontrolle übertragen wird. Diese hat sich bereits bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Schwarzarbeit bewährt.

Sie sehen, wir von der SPD-Fraktion meinen es ernst mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen Menschen mit Behinderung fairen Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglichen. Wir wollen den Menschen Perspektiven geben und volle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Wir sind davon überzeugt, dass alle dabei gewinnen: Menschen mit und Menschen ohne Beeinträchtigung.

 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit