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„Blitzlichter“ aus der letzten Sitzungswoche

 „Pflege-Bahr“ und Pflegereform, Intersexualität, „Pille danach“, Medizinprodukte - Beispielhaftes an „Gesundheit“ in der Sitzungswoche vom 25. bis 29. Juni:
Jede letzte Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause ist voll, diese war aber wahrlich prall gefüllt. Die Abende wurden länger, dafür ging´s morgens früher los.



Montag, der 25. Juni:

Anhörung Pflege-Neuorientierungsgesetz:  „Pflege-Bahr“
Bevor der Deutsche Bundestag mit den Mehrheitsstimmen von CDU/CSU und FDP den von der Bundesregierung vorgelegten „Entwurf eines Gesetzes zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung (Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG) (Drs. 17/9369) mit einigen Änderungen in 2./3. Lesung am 29. Juni verabschiedete, wurde noch intensiv in einer Anhörung debattiert und im Gesundheitsausschuss Änderungen beschlossen. Das Gesetz tritt Anfang 2013 in Kraft.

Thema der öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses am Montagmorgen war ein einzelner Punkt: die Einführung des sogenannten „Pflege-Bahr“.

Diese privat zu zahlende Pflege-Zusatzversicherung wird von SozialdemokratInnen strikt abgelehnt ebenso wie von Gewerkschaften, Sozialverbände und VerbraucherschützerInnen. Vorgesehen ist, dass mindestens 180 Euro zu zahlen sind, davon werden 60 Euro staatlich gefördert. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) bemängelte zu Recht, dass mit dem „Pflege-Bahr“ das „Solidarsystem mit den Füßen getreten“ werde. Vor allem Geringverdienende würden mit einer monatlichen Förderung von fünf Euro nicht in die Lage versetzt, sich diese private Pflegevorsorge zu leisten. Auch Gernot Kiefer vom Vorstand des Spitzenverbandes Bund der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bemängelte die Rücksichtslosigkeit der Koalition hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Einzelnen. Kiefer glaubt, dass nur relativ wenige Menschen die neuen Versicherungspolicen attraktiv finden werden. Gleiches vertritt ver.di. Der Bund der Versicherten befürchtet, „dass die durch das Zulagensystem entstehenden zusätzlichen Verwaltungskosten die Zulagen vollständig“ verbrauchen würden. Ich teile diese Haltung.

Für PKV-Verbandsdirektor Volker Leienbach ist die Einführung der privaten Pflegezusatzversicherung und die Form der staatlichen Förderung „ein Schritt in die richtige Richtung“ - allerdings möchte er bei den Regierungsfraktionen weitere Änderungen des Regierungsentwurfes durchsetzen. Er will einen „Pflegepool“ für „Hochrisikofälle“, um die unternehmerischen Risiken für die Versicherungsunternehmen zu minimieren. Er reagiert damit auf die Absicht der Koalitionsfraktionen, keine AntragstellerIn aufgrund gesundheitlicher Risiken ablehnen zu dürfen (so genannter Kontrahierungszwang).

Noch mögen die Förderkonditionen für die private Versicherungswirtschaft nicht so spannend sein, sie sind aber der Einstieg in die private Vorsorge auch im Bereich Pflege. Wir SozialdemokratInnen lehnen die daraus resultierende Ungleichheit in der Leistungserbringung strikt ab.

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Öffentliche Anhörung zum Thema "Intersexualität"
Als Berichterstatterin der Arbeitsgruppe Gesundheit nahm ich dann direkt im Anschluss an die Anhörung „Pflege-Neuorientierungsgesetz“ an der Anhörung "Intersexualität" des federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend teil. Intersexualität war auch ein großes Thema auf meinem Sommerfrühstück mit VertreterInnen der LGBBTI-Community.

Ich bin sehr froh, dass das Thema Intersexualität mittlerweile im Deutschen Bundestag einvernehmlich unter dem Blickpunkt „Intersexualität ist keine Krankheit“ diskutiert wird. Auf ca. 2000 Geburten wird ein intersexuelles Kind geboren, ein Kind, welches nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen ist. Bis dato wurden zumeist sehr schnell Operationen zur Geschlechtsfestlegung durchgeführt. Der Deutsche Ethikrat (Drs. 17/9088) ist der Meinung, dass dieses Vorgehen einen Verstoß gegen das Menschenrecht auf körperliche Unversehrtheit darstellt und zukünftig unterbunden werden sollte. Ich teile diese Haltung und bin erfreut, dass dieses auch für die geladenen ExpertInnen gilt. Zu klären sind in den kommenden Sommerwochen weitere medizinische und juristische Fragestellungen.

Ich selbst werde mich in der parlamentarischen Sommerpause noch in einigen Krankenhäusern erkundigen, wie der bisherige Umgang mit intersexuellen Kindern, wie aber auch die Beratung für die Eltern erfolgt. Mich hat der Bericht einer Mutter mit einem nunmehr sechsjährigen - nicht operierten - intersexuellen Kind sehr berührt. Sie habe erlebt, wie Eltern nach der Geburt mit einer solchen Situation völlig überfordert sind, forderte aber auch vehement, dass Eltern weder von ÄrztInnen noch Behörden zu einer schnellen Entscheidung gedrängt werden dürften. Die Gesellschaft müsse lernen, dass es neben den beiden „klassischen“ Geschlechtern auch ein drittes Geschlecht gebe.

Dienstag, den 26. Juni:

Arbeitsgruppe Gesundheit
Aufgrund der sehr vielen Top´s (Tagesordnungspunkte) wurde die Arbeitsgruppe Gesundheit verlängert - durch einen früheren Beginn.

Mir hat meine Initiative besonders am Herzen gelegen, einen Antrag zur Abschaffung der Rezeptpflicht für die "Pille danach“ auf den Weg zu bringen - und es ist mir gelungen. Mit meinem Antrag, der nach der Sommerpause im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mitberaten wird und dann hoffentlich bald seinen weiteren parlamentarischen Gang gehen kann, setze ich, setzen wir als Arbeitsgruppe Gesundheit einen Beschluss der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) um. Diese hatte auf ihrer Bundesfrauenkonferenz nach einer sehr lebendigen Debatte am 19.-21. Mai 2012 beschlossen: „Die ASF-Bundeskonferenz fordert die Fraktion der SPD im Bundestag auf, sich dafür einzusetzen, die Verschreibungspflicht für die so genannte „Pille danach“ auch in Deutschland aufzuheben und sich damit an der Empfehlung des Sachverständigenausschusses beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zu orientieren.“

Hintergrund:

Schon seit Jahren existiert die Forderung nach einer rezeptfreien Abgabe der „Pille danach“ mit dem Wirkstoff Levonorgestrel (LNG). Es ist an der Zeit, dass auch in Deutschland eine Befreiung der „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht erfolgt und diese wie in mindestens 79 anderen Staaten weltweit rezeptfrei in der Apotheke verfügbar ist. Die Forderung nach Rezeptfreiheit bezieht sich dabei ausschließlich auf die „Pille danach“ auf LNG-Basis. Mit der „Pille danach“ auf LNG-Basis kann eine ungewollte Schwangerschaft nach einem Anwendungsfehler einer Verhütungsmethode oder nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr mit großer Sicherheit vermieden werden. Das Medikament wirkt nicht, wenn sich die befruchtete Eizelle bereits eingenistet hat. Es ist demnach kein Präparat, das einen Schwangerschaftsabbruch zur Folge hat. Es hat auch keinen Einfluss auf eine bestehende Schwangerschaft. Die „Pille danach“ ist ein wichtiges Mittel zur Prävention ungewollter Schwangerschaften und Schwangerschaftsabbrüche. Die rot-grüne Bundesregierung gelangte schon 2004 nach gründlicher Prüfung zu der Auffassung, dass keine besonderen gesundheitlichen Risiken für die Frauen vorliegen. Auch seien keine besonders leichtfertigen Verhütungspraktiken zu erwarten, wenn die Notfallkontrazeptiva aus der Verschreibungspflicht herausgenommen werden. Auch die CDU/CSU/FDP-geführte Bundesregierung kommt im Dezember 2011 hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Risiken für die Frauen oder eines risikoreicheren Verhütungsverhaltens zu gleichen Erkenntnissen (Vgl. meine schriftlichen Fragen Nr. 12/246 -248).

PL-Mittagstisch
Herta Däubler-Gmelin (SPD), Bundesjustizministerin a.D., war Gast beim PL-Mittagstisch. Sie ist Prozessbevollmächtigte der Bürgerinitiative "Mehr Demokratie", für die sie eine Verfassungsklage vorbereitet, um sowohl den Fiskalpakt als auch den ständigen Rettungsschirm ESM zu stoppen. Es geht um die Frage: Wie viel Kompetenzverlagerung nach Brüssel gibt das Grundgesetz her? - eine Frage, über die seit Wochen auch in der SPD-Bundestagsfraktion kontrovers gerungen wird.

Obgleich keine ParlamentarierIn gerne eine Entscheidung trifft, von der sie weiß, dass sie sofort vor dem Bundesverfassungsgericht landet, bin ich froh über diese spezielle Klage von „Mehr Demokratie“. „Mehr Demokratie“ ist nicht antieuropäisch eingestellt wie manch andere der augenblicklichen Kläger. „Mehr Demokratie“ spricht sich dezidiert für ein rechtsstaatliches und für ein demokratisches Europa aus. „Mehr Demokratie“ will für den Fall, dass Hoheitsrechte des Bundestages übertragen werden müssen, diese an eine demokratisch gewählte Vertretung, nämlich an das Europäische Parlament, übergeben. Außerdem könne dieses erst nach einer Volksabstimmung erfolgen. Angestrebt wird eine entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes.

Der verfassungsrechtliche Streit muss geklärt werden, denn augenblicklich haben weder BefürworterInnen noch AblehnerInnen des ESM und des Fiskalpaktes verfassungsrechtliche Rechtssicherheit angesichts der sich total widersprechenden Darlegungen unter den StaatsrechtlerInnen.

VolksvertreterInnen können aber nicht nur abwarten, bis sich die entsprechende „Wissenschaft“ unter sich geeinigt hat, sondern diese müssen politisch entscheiden. Ich kann im Augenblick nur hoffen, dass sich meine nach reiflicher Überlegung und nach bestem Wissen und Gewissen getroffene Entscheidung am 29. Juni auch nachträglich im Einklang mit unserem Grundgesetz und den bisherigen Verfassungsgerichtsurteile befindet.

Von all dem ist unabhängig, dass es - gelinde gesagt - eine Unverfrorenheit von der Bundesregierung war, das ganze Ratifizierungsverfahren so Holterdipolter durchzuexerzieren. Aber dafür hat die schwarz-gelbe Regierung vom Bundesverfassungsgericht schon am 19. Juni Schelte bezogen: Wir sind als Parlament nicht ausreichend und frühzeitig genug informiert worden, das steht schon mal höchstrichterlich fest.

Mittwoch, den 27. Juni:

AG Demografie
Der Zeitdruck machte trotz des wunderschönen „Hoffestes“ der Fraktion auf der Terrasse des Haus der Kulturen der Welt am Dienstagabend leider nicht davor halt, dass die Sitzung der AG Demografie schon um 07.30 Uhr begann. Wir haben unseren Ergebnisbericht des Projekts „Miteinander der Generationen im Demografischen Wandel“ fertiggestellt. In dieser Querschnittsarbeitsgruppe bin ich als Vertreterin der Arbeitsgruppe Gesundheit Mitglied. Als solche konnte ich die Bereiche Prävention, Gesundheit und Pflege gut platzieren.

Die AG Demografie ist eine der sieben Zukunftsprojektgruppen, mit denen wir unser Politikkonzept „Deutschland 2020“ entwickeln. Wir wollen mit einem umfassenden und überzeugenden Politikkonzept dafür Sorge tragen, dass unser Land auch unter sich völlig verändernden demografischen Bedingungen nicht nur nicht auseinander fällt. Wir wollen vielmehr den solidarischen Zusammenhalt sicherstellen.

Ausschuss Gesundheit
Auch der Gesundheitsausschuss begann 1 1/2 Stunden früher als sonst und umfasste nicht nur die Vorbereitung der Plenarsitzung sondern gleich zwei ExpertInnengespräche, zum einen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Achten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (8. GWB-ÄndG) (Drs. 17/9852) und zum anderen ein Gespräch mit Mitgliedern des Vorstands und des Stiftungsrates der Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen.

Mit den Stimmen der CDU/CSU und FDP- GesundheitspolitikerInnen wurden leider die beiden schwarz-gelben Gesetzentwürfe der Bundesregierung zum Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz - PNG (Drs. 17/9369 und eine Novellierung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften Drs. 17/9341) in geänderter Fassung beschlossen.

Nun ist es keineswegs so, dass OppositionspolitikerInnen mit jeder Entscheidung der Regierung bzw. der Koalitionsfraktionen uneins sind. Gegen Ende aller Einzelabstimmungen zu Änderungsanträgen steht aber die Abschlussfrage zur Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung des Gesamtvorhabens. Und das Gesamtgesetzvorhaben entspricht keineswegs unseren sozialdemokratischen Vorstellungen. Wir SozialdemokratInnen sind der Auffassung, dass die Regierung mit ihrem sogenannten Pflege-Neuausrichtungsgesetz die entscheidenden Aufgaben in der Pflege nicht angeht. Sie drückt sich vor einer wirklichen Pflegereform. Der „Pflege-Bahr“ ist der Ausstieg aus der solidarischen Absicherung des Pflegerisikos. Von dem neuen Gesetz profitiert die private Versicherungswirtschaft. Mehr noch: Statt die soziale Pflegeversicherung langfristig auf eine nachhaltige Finanzierung umzustellen, wird mit dem „Pflege-Bahr“ begonnen, das Pflegerisiko zu privatisieren. Wir haben zum wichtigen Thema Pflegereform einen eigenen Antrag vorgelegt.

12.30 Uhr: Beginn der Plenarsitzung
Auch die Plenardebatten begannen diese Woche vorzeitiger. Gleich zu Beginn hielt Bundeskanzlerin Merkel eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat am 28./29. Juni 2012 in Brüssel. Wir haben noch einmal sehr deutlich unsere Erwartungen an ein Verhandlungspakt geäußert.

Anhörung zu Medizinprodukten
Grundlage der ab 15.00 Uhr stattfindenden Anhörung des Gesundheitsausschusses war auch unser Antrag „Mehr Sicherheit bei Medizinprodukten“ (Drs. 17/9932). Im Mittelpunkt stand das Zulassungsverfahren für Medizinprodukte. Ebenso wie die Grünen fordern wir für bestimmte Medizinprodukte wie Implantate und Herzschrittmacher die Einführung eines staatlichen Zulassungsverfahrens, fordern eine verpflichtende Haftpflichtversicherung für Hersteller bestimmter Medizinprodukte. Positiv unterstützt wurde die Forderung nach der Einrichtung eines verpflichtenden Registers von implantierbaren Medizinprodukten. Wir wollen - und das nicht erst seit dem sogenannten „Brustimplantate-Skandal“ - die Qualität der Medizinprodukte insgesamt verbessern.

Parlamentarischen Abend des Zentralverbandes Orthopädieschuhtechnik
Am Abend habe ich am Parlamentarischen Abend des Zentralverbandes Orthopädieschuhtechnik teilgenommen, um meine Kontakte und Kooperationen auch mit Gesundheitsberufen im Handwerk weiter auszubauen. Leider war es mir dadurch nicht möglich, am Sommertreffen des ASF-Landesvorstandes teilzunehmen - manches Mal ist es schade, sich nicht klonen zu können.