Beschwingt und programmatisch zukunftsweisend wurde das Jubiläum „10 Jahre Selbst Aktiv“ am 4. Juli unter der stringenten Moderation von Ralph Büsing, Aktivist der deutschen Behindertenbewegung, und den wunderbaren Klängen der Blind Foundation im Leineschloss Hannover gefeiert. Über 100 Teilnehmende mit mehr oder weniger erkennbaren Handicaps aus ganz Deutschland ließen es sich nicht nehmen, dabei zu sein. So auch Franz Müntefering, als SPD-Generalsekretär 2002 Mitbegründer von „Selbst Aktiv“, und Stephan Weil, Oberbürgermeister der Stadt Hannover und unserem Wunsche nach der künftige Ministerpräsident Niedersachsens.
Politik von morgen wird von Selbst Aktiv mitentschieden
In seiner unnachahmlichen Art machte Karl Finke, Bundessprecher von „Selbst Aktiv“, gleich zu Beginn selbstbewusst deutlich, dass „Selbst Aktiv“ als Markenzeichen selbstbestimmter Behindertenpolitik auf allen politischen Ebenen nicht mehr wegzudenken sei: nicht in der SPD, nicht als Netzwerkpartner in der Gesellschaft. Das aktive menschenrechtliche Engagement in der SPD habe das Bewusstsein für die Belange von Menschen mit Behinderungen geschärft, habe die SPD und ihre Fraktionen in den Parlamenten politisiert und zu positiven Ergebnissen geführt. Als Beispiel nannte er: in das Antidiskriminierungsgesetz wurden die Menschen mit Behinderungen aufgenommen, es wurde ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass Menschen mit Behinderungen ein eigenes Teilhabegesetz bräuchten und nicht eine lebenslange Sozialhilfeabhängigkeit. Ein historisches Ereignis sei der Erhalt des Status „Arbeitsgemeinschaft in der SPD“ auf dem Bundesparteitag 2011 gewesen. Nun bereite „Selbst Aktiv“ die Gründungen in den SPD-Landesverbänden vor. Einige Landesverbände, wie in Berlin, sind bereits gegründet worden.
Teilhabe behinderter Menschen - ein zentrales Anliegen der Politik der SPD
Im Namen aller 500.000 Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gratulierte Franz Müntefering „Selbst Aktiv“ zum 10jährigen Jubiläum. Er würdigte noch einmal alle Aktivisten und Aktivistinnen, die ihn 2002 überzeugt hätten, „Selbst Aktiv - das Netzwerk behinderter Menschen in der SPD“ mit zu gründen. Sie alle hätten Recht gehabt, nicht nur weil das Netzwerk jetzt zu einer SPD-Arbeitsgemeinschaft mit statutarischen Rechten geworden sei, sondern vor allem, weil von den Aktivistinnen und Aktivisten sehr viel für die Selbstbestimmung und Autonomie, für selbstbestimmte Teilhabe erreicht worden wäre. Ein solidarisches Zusammenleben in unserer Gesellschaft sei nur in einer inklusiven Gesellschaft möglich.
„Selbst Aktiv“ - Nichts über uns ohne uns
Wir alle unterstützen Stephan Weil, niedersächsischer SPD-Landesvorsitzender und sozialdemokratischer Spitzenkandidat für die kommenden Landtagswahlen, darin, dass Niedersachsen endlich wieder sozialdemokratisch regiert wird. In seiner Rede kritisierte Stephan Weil, dass die CDU/FDP Landesregierung in der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention viel zu langsam voranschreite. Er versprach größere politische Anstrengungen und wirklich zukunftsorientierte Schritte in jedem gesellschaftlichen Bereich, insbesondere aber für ein inklusives Bildungs- und Gesundheitswesen, für einen inklusiven Arbeitsmarkt. Stephan Weil sprach Karl Finke direkt in seiner Funktion als Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen in Niedersachsen an, dass in der neuen Politik selbstverständlich die ExpertInnenschaft in eigener Sache von Anbeginn an eine herausragende Rolle spielen werde. Was ist das anderes als die Forderung „Nichts über uns ohne uns“. Es macht Freude, für die SPD in Niedersachsen Wahlkampf zu machen.
Im Rahmen einer Fotodokumentationsshow zur Geschichte von „Selbst Aktiv“ und der sich anschließenden Talkrunde mit „Selbst Aktiv“-SprecherInnen aus den Regionen Nord, Süd, West und Ost, wurde einem das schon Erreichte bewusst. Berlin wurde in der Runde durch Gerd Miedthank vertreten. Dabei wurde in der Diskussion deutlich: Vieles ist aber noch zu tun.
Warum und wie wir Selbst Aktiv unterstützt haben
In der Talkrunde wollte es Ralph Büsing noch einmal genauer wissen und stellte die Frage, was wir, Alptekin Kirci, Mitglied der SPD-Ratsfraktion Hannover, Olaf Lies, SPD-Parteivorstandsmitglied, Franz Müntefering, Bundestagsabgeordneter, und Mechthild Rawert (SPD, MdB), also ich, denn persönlich mit den Anliegen von „Selbst Aktiv“ zu tun hätten. Einen Tag zuvor hatte ich - ebenfalls in Hannover - an der Tagung „Selbst.Bestimmt.Entscheiden“ teilgenommen. Mir war hier sehr deutlich geworden, welcher gesellschaftliche Druck auf schwangere Frauen mittlerweile ausgeübt wird, eine „perfekte Schwangerschaft“ zu haben, ein „perfektes Baby“ zur Welt zu bringen. Auch in meiner Familie hatte ich erlebt, wie sich ein Arzt ungefragt mit diagnostischen Aussagen viel zu weit vorgewagt hatte und diese dann mit vermeintlich moralischer Bewertung versehen hatte. Ich forderte, dass wir alle Verantwortung dafür tragen, dass Frauen wieder in Ruhe schwanger sein können. Darüber hinaus müssen wir noch vehementer für ein solidarisches Leben in einer Gesellschaft der Vielfalt kämpfen.
10 Jahre „Selbst Aktiv“ - Hannoveraner Erklärung
„Selbst Aktiv“ wäre nicht „Selbst Aktiv“ und der Bundesvorstand nicht der Bundesvorstand, wenn dieses Jubiläum nicht mit einer „Hannoveraner Erklärung“ zu Ende ginge. In diesem Handlungsprogramm wird vor allem gefordert, „an Stelle weiterer Spezialgesetze die spezielle Perspektive behinderter Menschen einbringen“ und behinderte Menschen als „politische Mitentscheider“ überall dabei zu haben.
Zusammen mit der SPD will Selbst Aktiv
- ein Teilhabesicherungsgesetz im Rahmen des SGB IX sofort umsetzen,
- in Solidarität mit anderen unterrepräsentierten Zielgruppen die Menschenrechte umsetzen und für eine demokratische humane Bürgergesellschaft streiten,
- die knapp 13 Millionen Menschen mit einer Behinderung als eine zunehmend selbstbewusste Wählergruppe stärken und für nichtbehinderte Menschen politisch bewusstseinsbildend wirken.
Packen wir es gemeinsam an! Auf die nächsten erfolgreichen 10 Jahre.
V.l.n.r.: Alptekin Kirci, Mitglied der SPD-Ratsfraktion Hannover; Mechthild Rawert, MdB; Franz Müntefering, MdB