(Erschienen in der Berliner Stimme, Nr. 15, S. 8, 18.8.2012)
Organspendebereitschaft durch offensives politisches Handeln stärken
Jeden Tag sterben drei Menschen, weil sie kein lebensverlängerndes Organ erhalten haben. Die Anstrengungen zur Erhöhung der Organspendebereitschaft dürfen nicht nachlassen. Dafür ist es notwendig, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen. Die Kontrollen müssen verschärft werden, aber MedizinerInnen dürfen sich nicht länger alleine selbst kontrollieren. Politik muss den Mut zu einer stärkeren eigenen Verantwortung bei der Vergabe von Organen haben. Nur so wird die Transparenz erhöht, nur so erfolgt eine politische Legitimation.
Auf den Wartelisten für eine Organspende stehen 12.000 Kinder, Jugendliche, Erwachsene, SeniorInnen. Insbesondere für sie ist der Skandal um die illegale Vergabe von Leberspenden ein schwerer Rückschlag. Dass jeden Tag drei Menschen sterben müssen, weil sie ein Leben rettendes Organ nicht erhalten, ist unerträglich. Der grundlegende Skandal liegt im Mangel an Organen in Deutschland.
Die gegen Recht und berufsständische Regeln verstoßenden Fälschungen von PatientInnendaten und die illegale Vergabe von Leberorganen in den Transplantationszentren der Universitätskliniken Göttingen und Regensburg wiegen schwer. Zu Recht ermitteln die Staatsanwaltschaften.
Trotzdem meine Bitte: Unterzeichnet den Organspendeausweis. Jede und jeder könnte aufgrund eines Unfalls oder einer Erkrankungen schon in naher Zukunft selbst eine Organspende gebrauchen. Jede und jeder kann sich entscheiden: Ich rette Leben!
Vertrauen in Ärzteschaft verloren gegangen
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in das dem PatientInnenwohl verpflichtete Handeln der Ärzteschaft ist durch die Manipulation einzelner Mediziner zerstört worden. Zerstört ist aber auch das Vertrauen in die Gerechtigkeit der Strukturen des Transplantationssystems insgesamt. Die Folge: Angehörige lehnen ihre Zustimmung zur postmortalen Organspende ab.
Auch ich erhielt in den letzten Tagen von TeilnehmerInnen meiner Fraktion vor Ort (FvO)-Veranstaltung „Organspenden rettet Leben“ am 14. Juni besorgte und wütende Reaktionen. Da rund 8000 von den auf der Warteliste Stehenden auf eine Niere warten, fand diese Veranstaltung im St. Josef-Krankenhaus in Tempelhof zusammen mit der Chefärztin der Nephrologie und der Mutter eines ohne Nieren geborenen Kindes statt. Informiert wurde auch über die am 25. Mai vom Bundestag beschlossene Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz (Drs.17/9030) und die Änderungen des Transplantationsgesetzes (Drs. 17/9773). Nun überdeckt der Skandal, dass es überhaupt neue gesetzliche Regelungen gegeben hat.
Die wichtigsten Neuregelungen des am 1. August in Kraft getretenen Transplantationsgesetzes im Überblick:
- LebendspenderInnen erhalten Ansprüche gegenüber der Krankenkasse des Organempfängers. Dazu gehören z.B. die Kosten der Krankenbehandlung, der Rehabilitation und Krankengeld. Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit auch Lohnfortzahlung. Für gesundheitliche Probleme von SpenderInnen im Zusammenhang mit der Organübertragung, steht die gesetzliche Unfallversicherung ein.
- Sogenannte Entnahmekrankenhäuser müssen fortan eine/n Transplantationsbeauftragte/n bestellen. Diese/r soll die Organspenden in seiner Klinik organisieren und überwachen, die Arbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) koordinieren und die Gespräche mit den Angehörigen verstorbenen Spender führen.
- Eine bei der Bundesärztekammer (BÄK) angesiedelte Prüfungskommission überprüft die Abläufe bei einer Organspende, von der Feststellung des Hirntods eines Spenders über die Vermittlung durch die DSO bis hin zur Implantation des Organs. Die Transplantationszentren und die Entnahmekrankenhäuser sind ausdrücklich gesetzlich verpflichtet, der Prüfungskommission Unterlagen über getroffene Vermittlungsentscheidungen zur Verfügung zu stellen.
Am 1. November treten darüber hinaus die Regelungen zur Entscheidungslösung in Kraft:
- Startschuss zur vorgesehenen Befragung der Bürgerinnen und Bürger über ihre Bereitschaft zur Organspende im Todesfall. Die Versicherten sollen ihre Einstellung zu einer Organspende dokumentieren - das soll zukünftig sogar auf der Gesundheitskarte möglich sein.
- Die Krankenkassen und privaten Krankenversicherer werden verpflichtet ihren Versicherten, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, Informationen zur Organspende und einen Organspendeausweis innerhalb von 12 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Entscheidungslösung im Transplantationsgesetz zu übersenden. Später erfolgt alle zwei Jahre ein Anschreiben und die Nennung qualifizierter Ansprechpartner für Fragen zur Organ- und Gewebespende.
Diese gesetzlichen Neuregelungen wurden vor dem Skandal beschlossen. Meiner Meinung nach reichen angesichts der den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zugrunde liegenden Betrugsvorwürfen und der in den letzten Tagen deutlich gewordenen Kritik am beschleunigten Verfahren - eigentlich als Ausnahme zum Standardverfahren über die Wartelisten von Eurotransplant gedacht - Neuregelungen im System selbst nicht mehr aus, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wir brauchen Änderungen des Transplantationswesens selbst. Wir brauchen mehr staatliche Aufsicht.
Ärzteschaft will sich weiterhin alleine kontrollieren
Am 09. August traf sich die Prüf- und Überwachungskommission, der die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft als auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung angehören. Ergebnis dieses Krisentreffens war die Forderung nach schärferen Kontrollen:
- Es soll härtere Strafen bei nachgewiesenem schweren ärztlichen Fehlverhalten bis hin zum Ruhen oder dem Entzug der Approbation geben.
- Ein Mehr-Augen-Prinzip bei der Aufnahme von PatientInnen auf die Warteliste soll eingeführt werden. Die neuen speziellen Transplantationskonferenzen in den Transplantationszentren sollen die Fälschung von Laborwerten vermeiden helfen, PatientInnen kränker zumachen, damit sie nach oben auf die Wartelisten kommen.
- Unter der Voraussetzung, dass zusätzliche Gelder bereitgestellt werden sollen mehr verdachtsunabhängige und unangemeldete Kontrollen stattfinden, die bei Verstößen auch die vorübergehende oder dauerhafte Schließung des Transplantationszentrum bewirken können.
- Prüfberichte sollen veröffentlicht, dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber die Transparenz vergrößert werden.
- Das umstrittene beschleunigte Verfahren soll beibehalten werden, allerdings einer kritischen Analyse unterzogen und die dafür relevanten Vergabekriterien klarer formuliert werden.
Diese durchaus ehrenwerten Vorschläge dienen dazu, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Sie dienen aber auch dazu, das Selbstverwaltungssystem der Ärzteschaft „politikfrei“ zu halten und zu verhindern, dass es ein mehr an staatlicher Regulierung gibt. Ich bin nicht mehr davon überzeugt, dass diese „Selbstverpflichtungen“ ausreichend sind.
Politik muss handeln
Ich begrüße den Vorstoß von Frank-Walter Steinmeier, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, nach einem zügigen Treffen aller Fraktionsspitzen, und unterstütze den Vorschlag unseres gesundheitspolitischen Sprechers Karl Lauterbach, das System der Setzung von finanziellen Leistungsanreizen in den Kliniken kritisch zu durchleuchten. Ich spreche mich auch für die Durchführung einer Sondersitzung des Gesundheitsauschusses aus. Und dennoch: Vor allem in der Pflicht ist Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Als Gesundheitsminister ist er gefordert, nach seinem Spitzentreffen am 27. August mit Akteuren der Transplantationsmedizin wirksame Vorschläge zu unterbreiten.
Politik kann auf den Sachverstand der MedizinerInnen bei der Organspende nicht verzichten. Diese ist mit vielen sehr gravierenden medizinethischen und auch medizinrechtlichen Fragen verbundenen. Keine Politikerin, kein Politiker auf Bundes- oder Landesebene drängt sich nach der Verantwortung dieser über Tod und Leben entscheidenden Herausforderungen. Und dennoch: Um Transparenz herzustellen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen, bin ich der Meinung, dass wir PolitikerInnen den Mut haben müssen, die Organvergabe stärker staatlich zu organisieren. Es bedarf nicht nur einer stärker ärztlichen, sondern auch einer stärker staatlichen Kontrolle. Nur so hat diese auch eine parlamentarische, eine politische Legitimation.
- Es soll härtere Strafen bei nachgewiesenem schweren ärztlichen Fehlverhalten bis hin zum Ruhen oder dem Entzug der Approbation geben.
- Ein Mehr-Augen-Prinzip bei der Aufnahme von PatientInnen auf die Warteliste soll eingeführt werden. Die neuen speziellen Transplantationskonferenzen in den Transplantationszentren sollen die Fälschung von Laborwerten vermeiden helfen, PatientInnen kränker zumachen, damit sie nach oben auf die Wartelisten kommen.
- Unter der Voraussetzung, dass zusätzliche Gelder bereitgestellt werden sollen mehr verdachtsunabhängige und unangemeldete Kontrollen stattfinden, die bei Verstößen auch die vorübergehende oder dauerhafte Schließung des Transplantationszentrum bewirken können.
- Prüfberichte sollen veröffentlicht, dem Parlament und der Öffentlichkeit gegenüber die Transparenz vergrößert werden.
- Das umstrittene beschleunigte Verfahren soll beibehalten werden, allerdings einer kritischen Analyse unterzogen und die dafür relevanten Vergabekriterien klarer formuliert werden.