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Anhörung: Ärztliche Zwangsbehandlungen nur als Ultima Ratio

Durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2012 ist der Bundestag aufgefordert, die betreuungsrechtlichen Regelungen zu ärztlichen Zwangsmaßnahmen gesetzlich neu zu regeln. Seit dem Urteilsspruch herrscht erhebliche Rechtsunsicherheit - aber auch die Gelegenheit für die Gesellschaft, sich mit der Fortentwicklung des Systems der psychiatrischen Versorgung intensiv auseinanderzusetzen.

Wie andere OppositionspolitikerInnen und Fachverbände auch, habe ich es strikt abgelehnt, dass die Bundesregierung ihren „Gesetzentwurf zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme“ mit Zustimmung der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und FDP quasi im Schnellverfahren durchs Parlament peitschen. Schließlich wird mit dem Gesetz eklatant in Grundrechte Betroffener eingegriffen.

Ich bin froh, dass es aufgrund des starken Protestes doch zu einem regulären Gesetzesverfahren mit einer Anhörung im Rechts- und Gesundheitsausschuss am 10. Dezember gekommen ist. An dieser nahmen Medizinerinnen und JuristInnen aber auch VertreterInnen von Selbstorganisationen teil. Ergebnis der über dreistündigen Anhörung: Es besteht ein erheblicher Änderungsbedarf im Regierungsentwurf. Wir werden im Gesundheitsausschuss weiter darüber diskutieren und erst dann zu einer 2./3. Lesung kommen.

Gesucht wird der „freie Wille“
Es geht im Kern um die Frage, den Ärztinnen und Ärzten den Weg aus einem ethischen Dilemma zu weisen und Patientinnen und Patienten Zwangsmaßnahmen, wo immer es möglich ist, zu ersparen.

VertreterInnen des Verbandes der Psychiatrie-Erfahrenen und des Bundesverbandes der Angehörigen lehnten jegliche stationäre Behandlung gegen den Willen der Patientinnen und Patienten ab. Für Betroffene seien Zwangsmaßnahmen traumatische Erfahrungen.

Aus Sicht vieler MedizinerInnen ist eine „Zwangsbehandlung als „letztes Mittel nicht nur gerechtfertigt, sondern aus medizinethischen Gesichtspunkten auch geboten“, so Iris Hauth, Chefärztin, Ärztliche Direktorin des St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Weißensee. Es gehöre zu einigen der Krankheitsbilder - psychische Erkrankungen und auch Demenzen - dazu, dass eine Einsicht in die notwendige Behandlung nicht zu jedem Zeitpunkt gegeben sei. Deshalb sei eine ärztliche Zwangsbehandlung als „Ultima Ratio“ unerlässlich. Aber auch die MedizinerInnen verwehrten sich gegen gesetzliche „Schnellschüsse“, obwohl sie aktuell von der gesetzlichen Grauzone betroffen sind: auf der einen Seite der mögliche Vorwurf der Körperverletzung und auf der anderen Seite der mögliche Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung. Interessant die Ausführungen der Juristen, die schon mit konkreten Verbesserungsvorschlägen für die Gesetzesvorlage kamen.

Vereinbarkeit mit UN-Behindertenrechtskonvention und Patientenverfügung
Von besonderem Interesse ist für mich die Klärung folgender Fragen:

  • Ist der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung prinzipiell mit den menschenrechtlichen Grundsätzen, die sich aus der UN-Behindertenrechtskonvention ergeben, vereinbar und bleibt insbesondere Artikel 17 der UN-Behindertenrechtskonvention gewahrt, wonach jeder Mensch mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen das Recht auf Achtung seiner körperlichen und seelischen Unversehrtheit hat?
  • Wie ist der Gesetzentwurf im Lichte des Patientenverfügungsgesetzes und der darin enthaltenen Stärkung der individuellen Selbstbestimmung zu bewerten?
  • Wie kann in dem vorliegenden Gesetzentwurf sichergestellt werden, dass die Vorgabe der UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt wird, wonach das in den verschiedensten Bereichen tätige Fachpersonal hinreichende Kenntnisse von den Rechten der Menschen mit Behinderung hat, und es dafür Sorge trägt, dass diese Rechte von den Menschen mit Behinderung in der Praxis in Anspruch genommen werden können?
  • Welche Erfahrungen zu psychiatrischen Krankheitsbildern und der Anwendung ärztlicher Zwangsmaßnahmen gibt es hinsichtlich der Unterscheidung nach Geschlechtern?

Mit der Anhörung zum Gesetzentwurf ist die Diskussion über den Umgang und die Behandlung von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen nicht vorbei; ganz im Gegenteil.

Wir müssen im Bundestag und in der Gesellschaft ehrlich und offen diskutieren, wie wir in der stationären Gesundheitsversorgung, aber auch im ambulanten und stationären Pflegebereich, mit psychisch Erkrankten und an Demenzen Erkrankten umgehen. Wie wir sie würdevoll begleiten und unterstützen. Und wir müssen die Fragen der betreuungsrechtlichen Regelungen und ihre Auswirkungen für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention diskutieren und beantworten.