Rede am 28. Februar 2013 anlässlich der zweiten und dritten Lesung über den „Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“ (Drs. 17/11689):
Sehr geehrte/r Herr Präsident, Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Mit dem „Entwurf eines Gesetzes über den Beruf der Notfallsanitäterin und des Notfallsanitäters sowie zur Änderung weiterer Vorschriften“ erfolgt ein richtiger Schritt zur Professionalisierung von Gesundheitsfachberufen. Das Notfallsanitätergesetz ist ein Baustein auf dem langen Weg zur notwendigen Modernisierung der Zusammenarbeit der Professionen im Gesundheitswesen, ein weiterer Schritt hin zur stärkeren interdisziplinären und kooperativen Zusammenarbeit der Gesundheitsfachberufe und der Medizinerinnen und Mediziner „auf Augenhöhe“.
Geschaffen wird ein neues Berufsbild, von dem alle profitieren: sowohl die im Rettungswesen Tätigen, die neuen Auszubildenden und vor allem die Patientinnen und Patienten. Mit dem Mehr an Wissen und Kenntnissen, mit dem Mehr an Kompetenzen für die künftigen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter erfolgt eine Attraktivitätssteigerung und gesellschaftliche Aufwertung dieses Berufes. Das ist ein wichtiger Schritt zur künftigen flächendeckenden Sicherstellung unseres Rettungswesens, unserer Gesundheitsversorgung und PatientInnensicherheit. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten begrüßen dieses.
Im Vergleich zum Rettungsassistentengesetz von 1989 gibt es deutliche Verbesserungen. Unter anderem hinsichtlich der Ausbildungsfinanzierung, der nun eingeführten Ausbildungsvergütung, der Anhebung von zwei auf eine dreijährige Ausbildungsdauer - womit auch eine stärkere Durchlässigkeit zu anderen Gesundheitsfachberufen verbunden ist -, der Neuformulierung des Ausbildungszieles entsprechend dem allgemeinen Stand rettungsdienstlicher und medizinscher Kenntnisse, des neuen Ausbildungsansatzes und der Ausbildungsstruktur, die nun auch verstärkt geeignete Krankenhäuser einbezieht.
In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit am 30. Januar zum Notfallsanitätergesetz haben die Sachverständigen dennoch auf viele Schwachpunkte des Gesetzentwurfes der Bundesregierung hingewiesen.
Erstens wurde beispielsweise sehr deutlich verwiesen auf die nach wie vor bestehende unklare Rechtslage auch der neuen Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter vor Ort, wenn (noch) kein Notarzt, keine Notärztin anwesend ist. Während die Vertreterinnen und Vertreter des ärztliches Standes eine „viel zu weitgehende Freigabe“ ärztlicher Maßnahmen befürchteten - Äußerungen die im Kontext der Professionalisierung und Aufwertung von Gesundheitsfachberufen immer wieder zu hören sind und wohl dazu dienen, grundsätzliche „rote Linien“ hinsichtlich Delegation und Substitution ärztlicher Tätigkeiten zu ziehen - verwiesen andere Sachverständige auf die im Rettungsdienst längst gegebene Einsatzpraxis.
Es müsse ermöglicht werden, dass NotfallsanitäterInnen Maßnahmen zur Verbesserung des Patientenzustandes beispielsweise bei schwerster Luftnot oder stärksten Schmerzen durchführen, ohne sich im „rechtlichen Graubereich“ zu befinden. Weiterhin wurde zweitens auf dringend gebotene bundeseinheitliche Regelungen der immer noch regional stark unterschiedlichen rettungsdienstlichen Versorgung und drittens auf die Unklarheiten in der Finanzierung verwiesen.
Dass wesentliche Änderungen am Regierungsentwurf dieses Berufszulassungsgesetzes notwendig sind, haben auch meine CDU/CSU und FDP-Kolleginnen und Kollegen erkannt. Folglich haben sie gestern im Gesundheitsausschuss acht Änderungsanträge zur Nachbesserung des Regierungsentwurfs eingebracht. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten arbeiten sachorientiert. Da alle acht Änderungsanträge in die richtige Richtung gingen und damit Bestandteil des heute zu beschließenden Gesetzes sind, haben wir diesen Nachbesserungen zugestimmt. Alle Änderungsanträge greifen angemahnte Änderungsbedarfe aus der Anhörung auf: beispielsweise beim praxisorientierten Einsatz der Auszubildenden auf den Rettungsfahrzeugen, bei der Berücksichtigung der besonderen Belange von Beamtenanwärterinnen und -anwärtern, bei den notwendigerweise zu verlängernden Fristen für den Übergang vom Rettungsassistentengesetz zum Notfallsanitätergesetz.
Folglich ist heute ein guter Tag für das Rettungswesen - er hätte allerdings noch wesentlich besser werden können, wenn Schwarz-Gelb die Änderungsanträge der sozialdemokratischen Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitiker nicht abgelehnt sondern ihnen zugestimmt hätte. Hier hat Schwarz-Gelb wesentliche Verbesserungen und Chancen im Interesse der Tätigen im Rettungswesen, der neuen Auszubildenden und der Patientinnen und Patienten ausgeschlagen.
Unsere Kritikpunkte sind vor allem
- Erstens: Die Widerrufung der Erlaubnis des Führens der Berufsbezeichnung Notfallsanitäterin oder Notfallsanitäter aus gesundheitlichen Gründen
Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist nicht hinnehmbar, dass die Berufsbezeichnung Notfallsanitäterin/Notfallsanitäter, das heißt die Berufszulassung, beim zwischenzeitlichen Wegfall der gesundheitlichen Eignung aberkannt werden soll. Das ist ein Novum. Diese Regelung stößt nicht nur auf unsere Gegenwehr sondern auch auf die der Gewerkschaften. Wir sind der Meinung, dass erworbene und ausgeübte Kompetenzen und Qualifikationen durch gesundheitliche Beeinträchtigungen nicht verloren gehen. Die vorhandenen und anerkannten Qualifikationen sind schließlich Grundlage für einen anderweitigen Einsatz im Rettungswesen oder für eine anderweitige berufliche Neuorientierung. Mit dieser Regelung wird Durchlässigkeit zwischen Gesundheitsberufen verhindert und den Betroffenen werden weitreichende arbeits- und sozialrechtliche Konsequenzen aufgebürdet.
- Zweitens: Klarheit bei der bundeseinheitlichen Befugnis zur Ausübung von Heilkunde
Wir wollen - ebenso wie die Bundesländer es im Bundesrat beschlossen haben - bundeseinheitlich ausgeübte Standards für das eigenständige Durchführen von heilkundlichen Maßnahmen ermöglichen und damit eine in ihren Grundlagen gleichwertige Versorgung aller Notfallpatientinnen und -patienten gewährleisten. Die Durchführung heilkundlicher Maßnahmen soll an die in der Ausbildung erworbenen Qualifikationen gebunden sein. Das den Bundesländern obliegende Rettungswesen ist schließlich nicht nur zwischen den Bundesländern sondern auch zwischen einzelnen Regionen und Kommunen verschieden ausgestaltet. Eine über diesen Standard hinausgehende weitergehende Kompetenzzuweisung liegt dann im Ermessen des/der Ärztlichen Leiters/Leiterin Rettungsdienst oder der entsprechend verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind der Meinung, dass es einer klaren gesetzlichen Regelung bedarf, die die zukünftige Notfallsanitäterin, den zukünftigen Notfallsanitäter ausdrücklich berechtigt, die erlernten und beherrschten Ausbildungsziele bis zum Eintreffen einer Notärztin oder eines Notarztes auch tatsächlich auszuüben. Wir wollen Klarheit. Wir wollen nicht nur mehr Kompetenzen durch eine bessere Ausbildung sondern auch Rechtssicherheit bei der Berufsausübung. In der Einsatzpraxis hat sich gezeigt, dass dieser Beruf wesentlich - und in Zukunft angesichts des demografischen Wandels noch weitaus mehr - von Einsätzen geprägt ist, in denen im Rahmen der Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten Maßnahmen der Akutversorgung durchzuführen sind. Für diese nicht lebensbedrohlichen, das Patientenwohl aber sehr stark beeinträchtigenden Situationen bedarf es im Interesse aller Rechtssicherheit.
- Drittens: Übergangsvorschriften für die Kosten der weiteren Ausbildung von RettungsassistentInnen zu NotfallsanitäterInnen und weitere Mehrkosten der Ausbildung zur NotfallsanitäterIn
Bisherige Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten müssen für die Erlaubnis, die neue Berufsbezeichnung Notfallsanitäterin bzw. Notfallsanitäter führen zu dürfen, an einer entsprechenden Anpassungsqualifizierungs-Maßnahme teilnehmen. Das finden wir auch richtig, umfasst das neue Berufsbild doch sowohl mehr als auch vertiefte Kompetenzen. Es stellt sich aber die Frage nach der Übernahme der weiteren Ausbildungskosten. Keinesfalls sind diese von den Auszubildenden selber zu bezahlen. Hohe und bundeseinheitliche Kompetenzen im Rettungsdienst sind keine Privatsache. Wir wollen, dass diese Kosten der weiteren Ausbildung von den Kostenträgern, der Gesetzlichen Krankenversicherung, zu einem kleineren Teil auch von den privaten Krankenversicherungsunternehmen/Beihilfe, übernommen werden. Wir wollen eine Ungleichbehandlung der beiden Berufsabschlüsse nach Inkrafttreten des Notfallsanitätergesetzes vermeiden.
Niemand ist augenblicklich in der Lage eine seriöse abschließende Schätzung der Mehrkosten vorzunehmen. Fakt ist aber, dass die Verbesserungen im Rettungsdienst wesentlich zur Verbesserung unseres Gesundheitswesens beizutragen. Die Mehrkosten für die weitere Ausbildung der Rettungsassistentinnen und Rettungsassistenten als auch für die grundständige Ausbildung von Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter fließen als Personalkosten in die Transportkosten ein. Wie hoch diese jeweils sind obliegt den Bundesländern, da diese die Höhe der Transportkosten als Gebühren oder Entgelte festlegen und verhandeln.
Zum Schluss noch einige Anmerkungen:
Leider hat die Bundesregierung in allen beschriebenen Punkten die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion abgelehnt. Daher wird die SPD-Bundestagsfraktion bei der Schlussabstimmung für „Enthaltung“ stimmen.
Nun bin ich gespannt auf die noch zu entwickelnde Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Ich erhoffe mir hier noch einige Verbesserungen und Klarstellungen.
Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn die Versorgung von Notfallpatientinnen und Notfallpatienten Bestandteil der Gesundheitsberichterstattung des Statistischen Bundesamtes wird. Das ist einem für die Zukunft bundesweit geregeltem Ausbildungsberuf und der darauf basierenden Berufsausübung angemessen. Das hilft uns auch sicherlich in der Bewertung und Evaluation des Rettungswesen und der Notfallmedizin.
Empört haben mich Äußerungen der Bundesregierung, wonach eine Kompetenzerweiterung für NotfallsanitäterInnen dazu führen könnte, dass diese Notfallärzte und Notfallärztinnen erst später zum Notfallpatienten rufen würden.
Für mich spricht daraus ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber nicht-ärztlichen Gesundheitsfachberufen. Dieses Denken muss im Interesse der vielen Beschäftigten in den Gesundheitsberufen, ganz konkret im Rettungswesen, abgestellt werden! Es ist unangebracht und unangemessen. Sorgen wir gemeinsam für mehr Patientinnensicherheit - jede und jeder an entsprechender Stelle.
Bedanken möchte ich mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion bei den vielen Lebensretterinnen und Lebensrettern, bei den vielen Beschäftigten im Rettungswesen für ihre Tag für Tag und Nacht für Nacht verantwortungsvoll ausgeübte Tätigkeit.
Und als Letztes: Ich appelliere an die jungen Menschen: Ausbildungen im Gesundheitswesen sind spannend und abwechslungsreich. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten arbeiten mit hohem Engagement daran, dass sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen verbessern, dass „Gute Arbeit“ und auch eine höhere Entlohnung möglich wird. Ich ermutige dazu, eine Ausbildung zum neuen Berufsbild Notfallsanitäterin/Notfallsanitäter zu beginnen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.