Mit ihrem Artikel „Herrenwitz“ über Rainer Brüderles Verhalten entfachte Laura Himmelreich, Stern-Reporterin, eine wahre Sexismus-Debatte. Prompt folgte nach Veröffentlichung des Artikels der „#Aufschrei“ auf Twitter. Frauen sollten sich zu ihren persönlichen Erfahrungen mit Sexismus äußern. Zehntausende Frauen und ebenfalls Männer taten dies auch. Aber wie gelingt die Entwicklung vom „Aufschrei zum Aufbruch“? Was muss getan werden, damit der nächste auf Handlung orientierte Schritt gelingt? Wie wird verhindert, dass diese Debatte nicht nur eine Kurzfristige ist, die schon bald in der Versenkung verschwindet?
Der Kampf gegen Sexismus und für einen gleichgestellten Umgang von Frauen und Männern ist von Beginn an integraler Bestandteil sozialdemokratischer Politik. Auf die spannende Veranstaltung „Wie sexistisch ist unser Gesellschaft?“ am 20. Februar folgte am 27. Februar eine Fortsetzung unter dem Titel „Was heißt hier eigentlich Herrenwitz? - Konsequenzen aus der Sexismus-Debatte“. Beide Veranstaltungen fanden an einem prominenten Ort, dem SPD-Fraktionsvorstandssaal im Deutschen Bundestag statt.
Für diese Veranstaltung wurde eine besondere Diskussionsform gewählt: die Fishbowl-Diskussion. Die Methode bezieht ihren Namen aus der Form der Sitzordnung. Bei der Fishbowl-Methode diskutiert eine kleine Gruppe von TeilnehmerInnen ein Thema im Innenkreis, dem sogenannten „Goldfisch-Glas“, während die übrigen TeilnehmerInnen in einem Außenkreis die Diskussion zunächst mitverfolgen. Je nach Interesse können sich im Laufe der Diskussion einzelne Personen aus dem Außenkreis in den Innenkreis begeben und sich mit einem Redebeitrag beteiligen.
Im Innenkreis diskutierten die HauptakteurInnen:
- Yasmina Banaszczuk, Betriebswissenschaftlerin und Bloggerin
- Dr. Julia Borggräfe, Partnerin autenticon - consulting in context
- Caren Marks, MdB, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion
- Dr. Dag Schölper, Geschäftsführer Bundesforum Männer
- Thomas Sattelberger, Vorstandsvorsitzender Stiftung der Zeppelin Universität, ehemaliger Personalvorstand Deutsche Telekom AG.
Die Moderation führte Tanja Samrotzki, Journalistin.
Bereits 2011 hatte die Deutsche Telekom eine Richtlinie mit dem Titel „Nationale Konzernrichtlinie zum Umgang mit sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz“ eingeführt. Als damaliger Personalvorstand hatte sich Thomas Sattelberger persönlich für die Etablierung einer Betriebskultur eingesetzt, die durch gegenseitigen Respekt zwischen Frau und Mann geprägt ist. Das Bewusstsein für das Thema soll dadurch geschärft und Vorfälle möglichst präventiv vermieden werden. Außerdem wurde eine betriebliche Anlaufstelle eingeführt, die dafür sorgt, dass jeder einzelne Fall von Sexismus, egal in welchem Ausmaß, sachgerecht behandelt und aufgeklärt wird. Dieser von der Konzernspitze gewollte und begleitete Prozess hat zu einem besseren, durch mehr gegenseitigen Respekt zwischen Mann und Frau geprägten, Betriebsklima geführt.
Auch alle anderen TeilnehmerInnen stimmten darin überein, dass es klare Anlauf- und Beratungsstellen in Betrieben und sonstigen Einrichtungen geben muss. Sollten schon welche vorhanden sein, müssten diese gestärkt und ausgebaut werden. Sexismus müsse in neuen Betriebsvereinbarungen aufgegriffen und vorhandene müssten entsprechend angepasst werden.
Wichtig ist, dass jede und jeder offen über Sexismus-Vorfälle sprechen kann. Es gilt zwei Aspekte miteinander zu verbinden: der rechtliche Rahmen mit dem des Kulturellen. Die Verbesserung beider Rahmenbedingungen können so wichtige Grundbausteine für neue Regelungen in unserer Gesellschaft, wie z.B. flexiblere Arbeitszeiten, Schaffung neuer Karrieremodelle und neue Arbeitsplatzregelungen wie Home Office, sein.
Aktivierende Gruppendiskussion
Der Vorteil der Fishbowl-Methode ist es, dass diejenigen, die in einer großen Gruppe sonst nicht zu Wort kommen, jederzeit in den Innenkreis wechseln, ihre Meinung äußern und aktiv mitdiskutieren können. Hat jemand keine Lust zum Weiterdiskutieren, wechselt diese/r in den Außenkreis und kann einfach zuhören. Dadurch und durch die Sitzordnung im Kreis entsteht eine hohe Identifikation aller Teilnehmenden mit dem Thema, die Diskussion bleibt aktiv und verliert sich weniger in Sackgassen.
Die Fishbowl-Methode sorgte auch in dieser Diskussion für neue Ideen und Impulse. Vorschläge waren unter anderem:
- Alle Menschen, insbesondere LehrerInnen und ErzieherInnen, sollen in einem Zusatzsemester zusätzliche Gender- Kompetenzen erwerben. Damit soll verhindert werden, dass Kinder schon früh in ein Rollenstereotyp gezwängt werden.
- Mit dem Werberat müssen Gespräche geführt werden, um „Sexismus in der Werbung“ neu zu definieren. Die Medien zwingen Jungen und Mädchen, Männern und Frauen durch ihre Werbung und durch verschiedene Sendungen/Serien wie z.B. „Der Bachelor“, „Mitten im Leben“ etc., antiquierte Rollen auf.
- Nicht nur der offene Sexismus sondern auch der latente Sexismus ist schädlich und muss als gesellschaftliches Problem thematisiert werden.
Der vorhandene Sexismus ist ein Ausdruck eines deutlichen Ungleichgewichts der Geschlechter in unserer Gesellschaft. Dieses strukturelle Ungleichgewicht ist zu bekämpfen.
Gleichstellungspolitischer Aktionsplan der SPD-Bundestagsfraktion
Die Machtverhältnisse müssen geändert werden! Das will die SPD-Bundestagsfraktion mit ihrem gleichstellungspolitischen Aktionsplan erreichen. Dieser beinhaltet folgende Kernelemente:
- ein Gesetz zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit
- eine Mindestquote von 40 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen
- eine Arbeitspolitik, die „Gute Arbeit“ auch für Frauen schafft und Lohndumping mit der Sozialversicherungspflicht für jeden Job sowie einem gesetzlichen Mindestlohn bekämpft
- ein geschlechtergerechtes Steuerrecht zum Abbau von Fehlanreizen für die Erwerbstätigkeit von Frauen
- Existenz sichernde Erwerbsarbeit für alle.
Fazit: Die Aufschrei-Debatte war und ist notwendig. Alle Mitglieder einer Gesellschaft, auch Nicht-Täter und Nicht-Opfer, sind verpflichtet mit Durchhaltefähigkeit und Kraft gegen Sexismus anzugehen. Nur so wird aus dem Aufschrei auch ein Aufbruch. Die Politik muss sich verpflichten, ministerien- und parteienübergreifend aktiv Maßnahmen gegen Sexismus einzuführen und umzusetzen. Das Wichtigste aber ist und bleibt der gegenseitige Respekt zwischen Mann und Frau. Wir alle sind gleichwertige Menschen mit gleicher Würde.