Hauptmenü

Das Tabu Sexismus zerbricht

(Kolumne von Mechthild Rawert im Tempelhofer Journal, Ausgabe März/April 2013)

Ein bisher tabuisiertes Alltagsphänomen beherrscht plötzlich die Medien: In Talkshows wird heftig über „Sexuelle Belästigung“, über Sexismus und Herrenwitze diskutiert. Zehntausende Frauen schildern auf Twitter unter #Aufschrei ihre persönlichen Erlebnisse von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Öffentlichkeit. Es scheint, als wären weite Teile der Gesellschaft endlich bereit, das Ausmaß und die individuellen Verletzungen sexueller Belästigung wahrzunehmen.

Ich begrüße diese überfällige Debatte, zeigt sie doch deutlich: Wir haben in Deutschland noch keine Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Wir alle - Politik und Gesellschaft - sind weiterhin gefordert, uns für Geschlechtergerechtigkeit stark zu machen!

„Herrenwitze“, „Schlüpfrigkeiten“, körperliche Anmache sind keine „Kavaliersdelikte“ - und keine harmlosen Flirts. Sie sind Grenzüberschreitung, (Amts-)Missbrauch, Gewalt. Ich will auf keinen Fall, dass betroffene Frauen sich wegen „Prüderie“ oder „Spielverderberei“ verteidigen müssen, während „tolle Hechte“ in ihrer Herablassung dem anderen Geschlecht gegenüber bestätigt werden.

Frauen müssen ermächtigt werden, NEIN zu Übergriffen zu sagen, ohne Angst um ihren Arbeitsplatz oder sonstige Positionen haben zu müssen. Wir brauchen einen verbindlichen gesellschaftlichen Konsens über die Grenze, die rote Linie.

Sexismus ist eine Demonstration von Macht
Sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt ist die Demonstration von Macht - und niemals „Schuld“ des Opfers. Sexuelle Belästigung wird eingesetzt, um ein Ungleichgewicht der Geschlechter zu verdeutlichen. Dieses Ungleichgewicht widerspricht einem respektvollen Umgang zwischen Männern und Frauen. Sexuelle Belästigung ist Zeichen für eine noch nicht gleichgestellte Gesellschaft. Sexuelle Belästigung, Sexismus gibt es in allen Einkommens- und Bildungsschichten.

Sexuelle Belästigung ist gesetzlich verboten
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbietet sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Konkret verboten sind „unerwünschte sexuelle Handlungen“, „die Aufforderung zu unerwünschten sexuellen Handlungen“, „sexuell bestimmte körperliche Berührungen“, „Bemerkungen sexuellen Inhalts“, „unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen“. Das AGG schützt Frauen und Männer gleichermaßen. Opfer sexueller Belästigung sind aber zumeist Frauen.

Jeder Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über ihre Rechte bei Diskriminierung aufzuklären. Es ist auch seine Pflicht, (betroffene) Beschäftigte umfassend vor Belästigungen zu schützen.
Zusammen mit Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten und mit Gewerkschafterinnen werde ich eine Veranstaltung durchführen: Frauen haben das Recht darauf, angstfrei und ohne sexuelle Belästigungen erwerbstätig zu sein! Ich lade Sie ein.