Hauptmenü

Kongress „Armut und Gesundheit“: Wir brauchen ein Präventionsgesetz

Seit 18 Jahren findet der Kongress „Armut und Gesundheit“ statt und zieht regelmäßig Tausende TeilnehmerInnen an. Damit ist er das größte regelmäßige Public-Health-Forum in Deutschland. Das Motto für 2013 lautet: „Brücken bauen zwischen Wissen und Handeln - Strategien der Gesundheitsförderung“. Veranstalter sind die Arbeitsgemeinschaft „Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.“, das Zentrum Technik und Gesellschaft sowie die Technische Universität Berlin.

In der Abschlussdiskussion am 7. März 2013 wurde klar: Obwohl sich alle einig darüber sind, dass Prävention Leben rettet und Lebensqualität sichert, existieren zwischen den Parteien gravierende Unterschiede beim Verständnis. Die einen setzen auf Verhaltensprävention, die anderen vorrangig auf Verhältnisprävention.

Schwarz-Gelb präferiert mehr individuelle Eigenverantwortung und „Prävention auf Rezept“, Angebote, die schon heute von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden und von denen genutzt werden, die ohnehin etwas für ihre Gesundheit tun wollen. SPD, Grüne und Linke wollen dagegen ein umfassendes Gesundheits- und Präventionsgesetz, welches die Gesundheitsförderung in den Lebenswelten der Menschen ändert. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen die Verhältnisse ändern und nicht nur das Verhalten.

Im Mittelpunkt des Kongresses standen die sozialen Ungerechtigkeiten in der Gesundheitsförderung und die Vorstellung kommunalpolitischer Gesundheitsprojekte für Kinder, zugewanderte ältere Menschen, Wohnungslose, Arbeitslose, Suchtkranke. Hinterfragt wurde auch die Präventions- und Versorgungsforschung unter dem Slogan „Welche Daten für wessen Taten?“. Immer wieder wurde deutlich: Die Kritik an den gängigen Präventionsformen bezieht sich vor allem auf die Individualisierung der Prävention und auf das Ausblenden der sozialen Bedingungen im Umfeld.

Ungleichheit von Gesundheit im 4. Armuts- und Reichtumsbericht dokumentiert
Der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht legt den Zusammenhang von sozialer und gesundheitlicher Lage offen: So klagen 13,4 Prozent der Männer mit geringem Einkommen über gesundheitliche Beeinträchtigungen, aber nur 4 Prozent der Gutverdiener.

Auch bei den Frauen existiert ein Unterschied: 12,7 Prozent der Geringverdienerinnen, aber nur 3,5 Prozent der Gutverdienenden, erleben gesundheitliche Einschränkungen. Dazu kommen geringere Möglichkeiten für Zuzahlungen und damit auch eingeschränkte Pflegemöglichkeiten.

Krankheit erhöht ungleich das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung - ein Teufelskreis: Denn EU-weit nehmen Krankheiten zu, die durch frühzeitige Prävention vermieden werden könnten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, Adipositas sowie Rücken- und Gelenkbeschwerden gehen oftmals auf einseitige Ernährung und Bewegungsmangel zurück. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität, können die Lebenserwartung verkürzen und verursachen hohe Kosten für die Gesundheits- und Sozialsysteme. Alleine die Herz-Kreislauf-Leiden verursachen in Deutschland Behandlungskosten von über 35 Mrd. Euro jährlich. Bei Krankheiten des Muskel- und Skelettsystems sind es 25 Mrd. Euro. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, muss die Gesundheitsförderung ausgebaut und verbessert werden. Prävention muss strukturell und institutionell gut verankert werden. Prävention ist eine Investition in die Zukunft.

Schwarz-gelbes Gesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetz absolut unzureichend
Wirklich hilfreich ist nur ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz für Prävention. Alle haben Verantwortung dafür zu übernehmen, dass es neben dem „Reparatur-Angebot“ im Gesundheitswesen auch eine umfassende Gesundheitsförderung gibt.

Der Mitte Januar vorgelegte Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention im Gesundheitswesen (Gesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetz)“ ist absolut unzureichend, um den gesamtgesellschaftlichen Herausforderung wirksam zu begegnen.

So kritisierte Dr. Ellis Huber, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Präventologen: „Die lang angekündigte Nationale Präventionsstrategie will Ärzte als Präventionslotsen etablieren und für die Lieblingswähler der FDP neue Einnahmequellen erschließen. Ob das reicht, um die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland zu stärken? Besser wäre es, die Ärzte erst mal zu Präventologen weiterzubilden.“

Zwar ist in diesem Entwurf immerhin eine Erhöhung der Finanzmittel der Krankenkassen auf sechs Euro pro Versichertem sowie eine Verstärkung des Setting-Ansatzes, ein Bezug auf Lebenswelten vorgesehen. Trotz vorgesehener Präventionskonferenzen wird eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung aber abgelehnt. Nach wie vor sollen ausschließlich die Krankenkassen für Gesundheitsförderung zuständig sein. Sehr problematisch ist die „Prävention auf Rezept“. Ärzte und Ärztinnen sollen eine Extra-Vergütung dafür erhalten, wenn ihrer Aufgabe zur Gesunderhaltung nachkommen.

Problematisch ist auch, dass die Bundesregierung keine Kooperation mit dem Bundeskinderschutzgesetz - Frühe Hilfen im SGB VIII - vorsieht, obgleich sie dieses Gesetz selber etabliert hat. Hier wird es zu massiven Schnittstellenproblem kommen. Die Frage, wer die Lebenswelten der Kinder und der Jugendlichen am besten kennt, bleibt unbeantwortet.

Problematisch ist auch, dass die mitverantwortlichen Bundesländer nicht in ein Konzept einbezogen werden. Die Länderstrukturen, Öffentliche Dienste oder Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung finden dort nicht statt. Auch die vielen bereits vorhandenen Strukturen des zivilgesellschaftlichen Engagements werden ausgeblendet. Dieser Entwurf eines Gesundheitsförderungs- und Präventionsstärkungsgesetzes ist somit blind für die tatsächlichen Lebenswirklichkeiten. Er ist blind für vorhandenen Wissen, vorhandene Strukturen und vorhandenes gesundheitsförderndes Potential.

Dieses Gesetz kann beruhigt der Diskontinuität anheim fallen.

SPD-Konzept für eine umfassende Gesundheitsförderung und Prävention
Nach sozialdemokratischer Vorstellung muss ein Präventionsgesetz ein für alle Sozialversicherungszweige praktikables Verständnis von Prävention und Gesundheitsförderung zum Ausdruck bringen. Hierbei sind Maßnahmen der primären Prävention auf die Beseitigung ursächlicher krankmachender Faktoren gerichtet.

Die sekundäre Prävention zielt auf die Früherkennung und die tertiäre Prävention auf die berufliche und medizinische Rehabilitation ab.

Daneben ist die Präventionsforschung auszubauen. Diese ist eine unerlässliche Voraussetzung, um Erkenntnisse über den gesundheitlichen Zustand der Bevölkerung zu erhalten. Mit präventiven Handlungsfeldern müssen Frau und Mann, Jung und Alt, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen erreicht werden. Es muss eine ausreichende Finanzierung zur Verfügung unter Beteiligung aller Sozialversicherungsträger sowie des Bundes und der Länder zur Verfügung gestellt werden.

Antrag der SPD-Bundestagsfraktion: Ausbau der Prävention in der Gesundheitsversorgung
Bereits im April 2011 haben wir uns für eine deutliche Aufwertung der Prävention in der Gesundheitsversorgung stark gemacht. In unserem Antrag „Potenziale der Prävention erkennen und nutzen - Prävention und Gesundheitsförderung über die gesamte Lebensspanne stärken“ (Drs. 17/5384) fordern wir die Bundesregierung auf, eine umfassende Präventionsstrategie für den Bund zu entwickeln. Gesundheitsförderung ist als vierte Säule neben Kuration, Pflege und Rehabilitation zu etablieren. Notwendig ist zudem ein Präventionsgesetz, in dem die Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen geregelt wird. Die Ausgaben der Krankenkassen für Prävention sind zu erhöhen, pro versicherter Person soll ein Mindestausgabenrichtwert von zehn Euro festgelegt werden. Wir wollen auch eine Stiftung Prävention und Gesundheitsförderung als neue gemeinsame Organisationseinheit der Sozialversicherung, des Bundes und der Länder errichten.

Auch die SPD-geführten Bundesländer arbeiten darauf hin. So hatte das SPD-geführte Bundesland Hamburg im Dezember 2012 die „Entschließung des Bundesrates - Schaffung eines Bundespräventions- und Gesundheitsförderungsgesetzes“ (Drs. 753/12) vorgelegt.