Hauptmenü

Mechthild Rawert im Gespräch

Die Praktikantin Nina Priebsch bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages interviewte am 11. Februar 2013 das folgende Interview mit der SPD-Bundestagsabgeordenten Mechthild Rawert aus Tempelhof-Schöneberg:

Wieso haben Sie Sozialpädagogik studiert? Gab es dafür ein „Schlüsselerlebnis“?
An ein besonderes Ereignis oder Erlebnis kann ich mich nicht erinnern. Da ich Abitur gemacht hatte, musste ich sogar vor dem Besuch der Fachhochschule ein mehrmonatiges Praktikum absolvieren. Das habe ich in Haus Hall, einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, getan. Ich hatte den unspezifischen Wunsch, etwas mit Menschen machen, mir aber auch ein breites Feld an Möglichkeiten für spätere Arbeitsplätze offen halten zu wollen.

Was hat Sie dazu bewogen, neben ihren Tätigkeiten in Frauen- und Gleichstellungvereinen, in die Politik zu gehen?
Die Frage der Gleichstellung von Frau und Mann bewegte mich schon in sehr jungen Jahren. Es ist einfach ungerecht, wenn gilt: „Den Männern das Einkommen und die Ehre, den Frauen die Arbeit.“ Das empfand und empfinde ich als etwas „Ungesundes“ für eine Gesellschaft. Wie wir mittlerweile aus Untersuchungen wissen, ist es auch ungut für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, wenn es in der Spitze kein ausgewogenes Verhältnis zwischen Frauen und Männern gibt.
Es ist wichtig, dass in der Politik über Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit gesprochen und auch entsprechend gehandelt wird. Noch lange Zeit nach meinem Eintritt in die SPD hatte ich gar nicht vor, für ein Mandat zu kandidieren. Aber es gut so geworden, denn: Ich will die Gesellschaft verbessern, will gestalten, verändern und Spuren hinterlassen, will der Welt ein Stück weit ein weibliches Gesicht geben.

Bei Wikipedia, in einem Artikel über Gleichstellung, habe ich von einem dritten Geschlecht gelesen. Was bedeutet das?

Wenn wir über Gleichstellung reden, dann meinen wir häufig Verschiedenes. Zum einen geht es um die Gleichstellung von Frau und Mann, wir meinen gleichen Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit, wir meinen gleiche Chancen z. B. bei der Vereinbarung von Beruf und Familie und gleiche Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten, usw..
Es gibt aber auch noch viele andere Felder, in denen es um Gleichstellung geht. Jeder Mensch hat die gleiche Würde. Jeder Mensch hat gleiche Rechte - unabhängig von der sexuellen Identität. Nicht bei jedem Kind kann bei der Geburt gesagt werden ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. Es werden Kinder geboren, die geschlechtsmehrdeutig zur Welt kommen. Wir reden hier von intersexuellen Kindern. Ich arbeite derzeit sehr intensiv an diesem Thema, unter anderem auch, weil ich aus dem Wahlkreis heraus aufgefordert worden bin, mich für einen Rechtsrahmen für intersexuelle Menschen einzusetzen und weil ich für meine AG Gesundheit Berichterstatterin bin. Leider gingen die meisten Medizinerinnen und Mediziner bis weit in die Gegenwart davon aus, dass mensch den Kindern etwas Gutes tue, wenn diese schon als Säugling mit großen Operationen in ein Geschlecht „hineinoperiert“ werden. Meistens wurden die Säuglinge ins weibliche Geschlecht hineinoperiert - bei vielen Kindern und später dann Erwachsenen war es aber das „falsche Geschlecht“. Viele leiden lebenslang, vor allem auch psychisch, darunter.
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen erstens, dass die Operationen an Säuglingen und Kindern verboten werden. Wir wollen, dass Operationen nur mit der Einwilligung von jungen Menschen und von Erwachsenen vorgenommen werden. Sie sollen selbst bestimmen, ob eine Operation stattfinden soll und wenn ja, welches Geschlecht sie annehmen wollen. Wir werden auch neue Regelungen für das Personenstandsregister schaffen.

Sie sind ordentliches Mitglied im Ausschuss für Gesundheit und stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz? Wie hilft Ihnen dabei die Ausbildung zur Sozialpädagogin?

Vor meinem Eintritt in den Deutschen Bundestag habe ich als Sozialpädagogin und als Diplom-Pädagogin mein Geld verdient. Ich habe fünf Jahre beim Sozialdienst katholischer Frauen - Berlin - e.V., 10 Jahre im Prenzlauer Berg, Brüssel und in Mitte in zwei Servicegesellschaften im Bereich der Arbeitsmarktpolitik und ebenso als Zentrale Frauenbeauftragte der Charité gearbeitet. Somit habe ich meine Berufsabschlüsse gut nutzen können. Mein breites berufliches Erfahrungsspektrum hat mir von Anfang geholfen, Informationen im Deutschen Bundestag zu beleuchten und in gute Politik umzusetzen. Ich halte es für wichtig, dass Menschen über Erfahrungen im Erwerbsleben verfügen, bevor sie Mitglied des Deutschen Bundestages werden. Das hilft bei der Reflektion politischer Entscheidungen und bei der Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Arbeitsbereichen hier.

Wieso arbeiten Sie im Bundestag und nicht im Abgeordnetenhaus von Berlin, wo sie vielleicht direkter bei den Menschen sein können und ihnen so auch besser helfen bzw. ihre Sorgen besser erfahren können?
Ich persönlich bin schon sehr nah bei den Menschen. Morgen startet zum Beispiel meine Reihe der Wohnzimmer-Gespräche. Hierzu laden Menschen ihre Nachbarn und Freunde und Freundinnen und mich ein. Wir führen dann ein Gespräch über die Themen, die diesen Menschen wichtig sind. Auch du kannst mich zu dir nach Hause einladen und mir mit deiner Familie und Freunden „auf den Zahn fühlen“. Zwar kann ich so nicht alle 336.000 Einwohnerinnen und Einwohnern aus Tempelhof-Schöneberg treffen, aber doch etliche. Ich bin auch sonst bei vielen Veranstaltungen, die Menschen wichtig sind.

Politisch und gesellschaftlich wird derzeit verstärkt eine Frauenquote diskutiert. Wäre es nicht  sinnvoll, eine Männerquote in Kitas und Grundschulen einzuführen, so dass Kinder von alleinerziehenden Müttern auch eine männliche Bezugsperson haben können? Und wie wird dieser Job für Männer attraktiver?

Sobald die Gehälter steigen, werden auch mehr Männer in diesen Berufen tätig sein. Männer folgen vielfach dem Geld. Ich will, dass in allen personenorientierten Berufen, in den Gesundheits-, den Erziehungs- und den Sozialberufen endlich die Gehälter steigen. Es wäre ein Katastrophe wenn nicht. Wir klagen schon jetzt über einen enormen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen. Wir müssen eine bessere Durchlässigkeit dieser Berufe hinbekommen. Desweiteren braucht es eine bessere und vor allem eine gleichberechtigtere Zusammenarbeit zwischen beispielsweise den Berufsgruppen der Pflege, der Physiotherapie und der Medizin. Wenn wir es nicht schaffen, eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Krankenhäusern und im ambulanten Bereich hinzubekommen, wenn wir es nicht schaffen, die Pflege und die Medizin verstärkt „auf Augenhöhe“ zu bringen, wird dieses den Fachkräftemangel vergrößern. Wir brauchen diesen Wandel im Gesundheitswesen im Interesse der Versorgung der Patientinnen und Patienten. Wir brauchen ihn also im Interesse von uns allen.

Ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch.

Nina Priebsch
Praktikantin bei der Verwaltung des Deutschen Bundestages, Referat ZT 4 -Teilbereich Etagendienst