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„Besatzungskinder“ - Vater gesucht

Noch immer suchen mittlerweile über Mitte 50 Jahre alt gewordene Kinder von Besatzungssoldaten nach ihren Vätern. Diese Suche nach den eigenen Wurzeln und ihre Bedeutung für die weitere Lebens- und Identitätsentwicklung sowie die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für dieses immer noch tabuisierte Thema waren zentrale Anliegen der Veranstaltung „Besatzungskinder“ - Vater gesucht.

Zu dieser emotional stark aufrührenden Konferenz habe ich am 26. Oktober 2013 in den Fraktionssaal der SPD-Bundestagsfraktion im Reichstagsgebäude eingeladen. Ich danke Frau Ute Baur-Timmerbrink, Repräsentantin der GI transatlantic Children´s Enterprise (GI trace) in Deutschland und Österreich, für die ausgezeichnete Zusammenarbeit.

Mehr als 80 TeilnehmerInnen - Besatzungskinder, WissenschaftlerInnen und HistorikerInnen, RepräsentantInnen diplomatischer Vertretungen, von Behörden und aus Vereinen - beleuchteten verschiedene Aspekte des Themas und zeigten so die Komplexität, Vielschichtigkeit wie auch die andauernde Aktualität dieses Themas auf.

Die Klärung der Rechte von Kindern von - aus welchen Gründen auch immer - ins Land entsandten Soldaten und einheimischen Frauen ist nicht nur eine Frage von Vergangenheit, sondern auch von Gegenwart und Zukunft. Ich glaube einfach nicht, dass es auch heute an keiner Stelle zu Kontakten zwischen Militärangehörigen und Zivilbevölkerung kommt.

Schon 2010 habe ich mich mit dem Thema Kinder deutscher Wehrmachtssoldaten im Ausland - sogenannter Kriegskinder - und das Schicksal der hiesigen rund 200.000 Besatzungskinder beschäftigt. Von den Kriegskindern waren rund 70 Prozent bei den Müttern und rund 30 Prozent in Heimen großgeworden. Mein Engagement führte dazu, dass 2010 im interfraktionellen Antrag „Opfern von Unrecht und Misshandlungen in der Heimerziehung wirksam helfen“ (Drs. 17/6143) die Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag aufgefordert worden ist, „für andere Opfergruppen in Abstimmung mit den betroffenen Ländern Regelungen zu finden“.

Viele der Fragen zur persönlichen Identität, der politischen Rechten bzw. nicht umgesetzten Aktenzugangs usw. sind auch heute bedauerlicherweise noch aktuell. Ich wage zu behaupten, sind solange aktuell, wie es Konflikte und Kriege auf der Welt gibt. Wir müssen an die Rechte der Kinder denken, müssen nationale und internationale Regelungen finden. Über diese Themen muss meines Erachtens öffentlich debattiert werden, denn das Schweigen ist für die Betroffenen keine Lösung, Schweigen ist aber auch keine politische Lösung. Ich plädiere auch für eine Änderung des Staatsbürgerrechts und die Einführung  einer doppelten Staatsbürgerschaft.

Ute Baur-Timmerbrink, selber Tochter eines amerikanischen GI-Soldaten, berichtete, dass die amerikanische Regierung die Suche nach dem Vater sehr unterstützt. Leider ist den „Kindern“ der vollständige oder auch richtige Name des Vaters nicht immer bekannt, was die Suche natürlich sehr erschwert. Die Kinder von französischen, sowjetischen und britischen Vätern fänden allerdings gar keine Unterstützung der jeweiligen Regierungen. Hier besteht großer Handlungsbedarf. Sie ist Ansprechpartnerin für GI trace im deutschsprachigen Raum.

Bericht über die GI trace Organisation

John Munro, Vorsitzender GI trace Großbritannien, stellte die Gründung von GI trace im Jahre 1986 als gemeinnützige Organisation und ihre umfangreiche und erfolgreiche Arbeit bei der Zusammenführung von Kindern ehemaliger Besatzungssoldaten mit ihren amerikanischen Vätern und Familien vor. Als Verantwortlicher für die GI trace Website ist er bestens mit den Formen des Suchens und Findens vertraut.

Präsentation des The National Personnel Records Center (NPRC)

Dr. Niels Zussblatt vom „National Personnel Records Center“ in St. Louis, USA, stellte dieses NPRC-Archiv vor. Dieses ist eine wichtige Anlaufstelle für alle, die Angehörige der US-Truppen suchen, da sich hier u.a. die Akten zum militärischem Personal befinden. Die allermeisten Anfragen von Besatzungskindern aus Deutschland und Österreich und all den Ländern, in denen amerikanische Soldaten stationiert waren bzw. sind, landen auf seinem Schreibtisch und werden von ihm bearbeitet.

„Am I am American?“
Sehr informativ war auch der Vortrag von Frau Lindsay Henderson, Konsulin im US-Konsulat Frankfurt a.M.. Dieses amerikanische Konsulat unterstützt die Suche nach dem amerikanischen Vater sehr: Täglich kommen neue Anfragen ans Konsulat, viele Freudentränen habe es hier schon gegeben, weil ein Vater gefunden und entsprechend ein amerikanischer Pass ausgestellt wurde. Frau Henderson hat mit ihrer Kollegin Sabine Kotz den Workshop „Bin ich Amerikaner?“ ins Leben gerufen, der bereits mehrmals durchgeführt wurde. Hier geht es überwiegend um die Klärung der Voraussetzungen für den Erhalt der amerikanischen Staatsbürgerschaft.

In der Diskussion wurde deutlich, dass die Frage, ob mensch nach dem Finden des Vaters ein Recht auf die US-Staatsbürgerschaft hat und welche Anforderungen zu erfüllen sind, von hohem Interesse ist. Konsulin Henderson betonte, dass aus ihrer Sicht jede Person ein Recht hat, zu erfahren, wo die eigenen Wurzeln liegen. Deshalb ist die Hilfe für die Besatzungskinder ihr auch ein Herzensanliegen.

GI trace - Selbsthilfegruppen
Dass viele Besatzungskinder oft keine leichten Lebensverläufe (gehabt) haben, wurde in verschiedenen Biographien und Interviews berichtet. Ilona Laudien Gasch fand mit der Unterstützung von GI trace 2010 ihre US-Familie. Sie gründete 2011 für den Kasseler Raum eine Selbsthilfegruppe für Besatzungskinder. Zur Zeit nehmen 20 Besatzungskinder an den Treffen teil, die alle 2-3 Monate stattfinden.

Raimund Briechle aus München, ebenfalls erfolgreich bei der Suche nach seinem US-Vater, hat 2012 eine Selbsthilfegruppe in Bayern ins Leben gerufen. Die Gruppe besteht zur Zeit aus rund 40 Personen und trifft sich vierteljährlich.

Zwischenbericht zur Studie zu den psychischen Folgen des Aufwachsens als "Besatzungskind" in Deutschland

Obwohl inzwischen bekannt ist, dass sowohl Besatzungs- wie auch Wehrmachtskinder in ihren Heimatländern Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt waren, hat diese Thematik im Gegensatz zu anderen Aspekten der Kriegs- bzw. Nachkriegsgeschichte bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen. Ein ForscherInnenteam um PD Dr. Heide Glaesmer und Dipl.-Psychologin Marie Kaiser von der Universität Leipzig arbeiten mit der Studie „Besatzungskinder“ - die „Kinder des Zweiten Weltkrieges“ in Deutschland: Psychosoziale Konsequenzen, Stigmatisierung und Identitätsentwicklung“ daran, dieses zu ändern. Befragt werden ca. 100 deutsche Besatzungskinder mit amerikanischen, britischen, russischen und französischen Vätern, nach ihren Erfahrungen zwischen Integration und Ablehnung, zur Stigmatisierung, Identitätsentwicklung und den psychosozialen Konsequenzen des Aufwachsens als „Besatzungskind“ in Deutschland. Erste Ergebnisse auch zu den Unterschieden hinsichtlich des Zeugungshintergrundes und Herkunftsland des leiblichen Vaters wurden vorgestellt. Die ausführlichen Analysen werden 2014 vorliegen. Frau Glaesmer und Frau Kaiser bedankten sich ausdrücklich bei den Anwesenden, von denen einige auch an der Befragung teilgenommen haben.

International Network for Interdisciplinary Research on Children Born of War
Frau Prof. Dr. Ingvill C. Mochmann, GESIS und CBS, Köln, die Arbeit des „International Network for Interdisciplinary Research on Children Born of War“ vor. Das von ihr 2008 gegründete Netzwerk hat inzwischen über 100 Mitglieder weltweit: WissenschaftlerInnen, Betroffene, JournalistInnen und Mitglieder von Organisationen. Das Ziel des Netzwerkes ist es, die Wissensbasis zu „Kindern des Krieges“ zu erweitern. Für diese Kinder - seien es die Amerasians, die Wehrmachts- oder Besatzungskinder in Europa und Japan oder von Kindern der Vergewaltigungen im bosnischen, ruandischen oder kongolesischen Bürgerkrieg - scheinen in vergleichender und historischer Perspektive folgende Punkte wichtig zu sein:

  • sozio-ökonomische, psychosoziale, medizinische/biologische und politische/juristische Faktoren,
  • Armut, fehlende Bildung, Vernachlässigung, gesundheitliche Probleme,
  • Schamgefühle, Tabuisierung der Herkunft, Lügen, Identitätskrisen, Trauma, fehlender Zugang zu Informationen über biologische Herkunft, Staatsangehörigkeitsfragen u.v.m.

Die Ergebnisse sollen die Rechte der Kinder in heutigen und zukünftigen Konflikten verbessern helfen.

Fragen und Antworten
In der Diskussion wurden viele unterschiedliche Aspekte angesprochen. Auf die Bedeutung des Erhalts der amerikanischen Staatsbürgerschaft für das eigene Leben wurde mehrfach verwiesen - auch in den Fällen, wenn der Vater nicht mehr lebt. Für viele ist der neue Kontakt zum amerikanischen Vater und seiner Familie sehr wichtig. Konsulin Henderson und andere betonten jedoch auch, dass mensch einen Kontakt mit dem Vater und seiner Familie nie erzwingen könne und dass die Erwartungen bei der Suche nicht zu hoch geschraubt werden sollten, „um die eigenen Gefühle zu schützen“. Thematisiert wurden vielfach auch die in der Kindheit erlebten Probleme und Diskriminierungen: als uneheliches Kind bzw. auch mit dem Stigma als Kind eines GI´s aufzuwachsen, die ökonomische Notlage der Mutter, etc.. Viele haben als Kinder Schuldgefühle entwickelt. Nach Meinung der ForscherInnen beeinflusst eine solche Familiengeschichte mindestens drei Generationen. So suchen zunehmend auch Enkelkinder nach ihren Großvätern.

Abschließend trafen sich die Besatzungskinder zum Austausch in nach den amerikanischen Herkunftsstaaten der Väter sortierten Gruppen, da die einzelnen US-Staaten sehr unterschiedliche Gesetze, Rechte, Regeln usw. haben.

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J.Munro_.pdf6.55 KB
Nils_Zussblatt.pdf1.61 MB
Studienteilnahmeaufruf_.pdf8.49 KB
Biechle_Selbsthilfegruppe.pdf9.2 KB