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Rede zur Sozialen Pflegeversicherung

Meine Rede am 04.04.2014 zum Antrag der Fraktion DIE LINKE "Deckungslücken der Sozialen Pflegeversicherung schließen und die staatlich geförderten Pflegezusatzversicherungen - sogenannter Pflege-Bahr - abschaffen" (Drucksache 18/591).

Ich habe deutlich gemacht: "Die Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft und muss noch viel mehr Gegenstand der Diskussionen des Deutschen Bundestages sein. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten viel von uns. Packen wir es an! Machen wir daraus: gesagt, getan, gerecht!"

 


27. Sitzung vom 04.04.2014

Mechthild Rawert (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Im Mai 1994 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflege-bedürftigkeit. Die soziale Pflegeversicherung als fünfte Säule der Sozialversicherung in Deutschland ward geboren. Dieser Beschluss war ein sozialpolitischer Meilenstein; er war aber auch keine einfache Geburt. Dieser Geburt gingen damals 20 Jahre intensive und breite Diskussionen voraus. Es wurden debattiert die Situation der Pflegebedürftigen, die Folgen des demografischen Wandels und auch die finanziellen Belastungen der Kommunen – heute immer noch aktuelle Themen. Kurz vor dem 20. Geburtstag dieses Gesetzes sei es erlaubt, hier schon einmal zu gratulieren: Happy Birthday, liebe SPV, liebe soziale Pflegeversicherung! Du hast dich trotz schwerwiegender struktureller Reformstaus zu einer in der Bevölkerung akzeptierten Sozialversicherung entwickelt.


Die soziale Pflegeversicherung war von Anfang an als Teilleistungssystem, als Teilkaskoversicherung, wie sie in der Bevölkerung häufig genannt wird, konzipiert. Ja, es ist richtig: Es sind notwendige Leistungsverbesserungen vorzunehmen. Die bisherigen Verbesserungen durch die verschiedensten Gesetze in der ambulanten und stationären Pflege reichen noch nicht aus. Darauf hat die Expertenkommission, darauf haben aber auch die ambulanten Träger und viele andere aufmerksam gemacht. Wir selber erleben dies tagtäglich, wenn wir in die entsprechenden Einrichtungen gehen.

Wir wollen die eng richtungsbezogene Definition der Pflegebedürftigkeit überwinden und natürlich sehr viel mehr für Menschen tun, die an Demenz erkrankt sind, und vor allen Dingen für Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden. Wir brauchen hier mehr Leistungsansprüche. Das ist uns als Großer Koalition aber sehr bewusst. Deshalb werden wir dafür sorgen, dass in dieser Legislaturperiode nachhaltige strukturelle Reformen erfolgen werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Dann müssen Sie als Erstes den Pflege-Bahr abschaffen!)

Wir haben in der Koalitionsvereinbarung für den Bereich Pflege sehr viele Maßnahmen vereinbart; denn wir wollen, dass Pflege als gesamtgesellschaftliche Aufgabe von allen gesehen und auch wahrgenommen wird.

Wir wollen die zügige Neuordnung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Wir wollen eine Dynamisierung der Leistungssätze, um so den überproportionalen Eigenfinanzierungsanteil nicht weiter steigen zu lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Berufstätigkeiten und Pflegetätigkeiten. Wir wollen eine Aufwertung der Pflegeberufe. Wir wollen ein Pflegeberufegesetz mit einheitlicher Grundausbildung und darauf aufbauender Spezialisierung. Wir wollen die Kostenfreiheit der Ausbildung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Die so gewonnenen Mehreinnahmen bei der Pflege dienen uns allen. Wir wollen eine gute Pflegeinfrastruktur, und weil wir das wollen, sagen wir allen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen: Dazu gehört eine Dynamisierung der Leistungssätze. Ich verspreche Ihnen, Frau Zimmermann, sie wird kommen.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann, Mechthild, wann? – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Gucken wir mal!)

Wir haben in der Diskussion vorhin schon gehört, dass die Pflegeversicherung auf der Leistungsseite eine Bürgerversicherung ist; denn jede und jeder bekommt, unabhängig davon, ob sie oder er bei einer privaten oder in der gesetzlichen Pflegeversicherung versichert ist, die gleichen Leistungen.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann macht doch die Finanzseite auch zu einer Bürgerversicherung!)

Ja, es stimmt: Am liebsten wäre uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zur Bekämpfung der chronischen Unterfinanzierung der gesetzlichen Pflegeversicherung eine Bürgerversicherung auch auf der Finanzierungsseite gewesen. Wir haben für diese Legislaturperiode aber andere Modelle verabredet.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht definitiv nicht voran!)

Das heißt jetzt nicht, dass wir gegen eine Bürgerversi¬cherung sind;
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch nicht dafür!)

wir verschieben sie.
(Erwin Rüddel [CDU/CSU]: Wird ins Archiv verschoben!)

Ich denke, das ist geklärt zwischen uns. Jetzt haben wir einen Koalitionsvertrag zu erfüllen. Unser Bürgerversicherungskonzept bleibt aber nach wie vor aktuell.
(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Ach ja? – Hört! Hört!)

Die in dem Antrag der Linken gewünschte langfristige Abschaffung des Teilleistungsprinzips ist keine Lösung; das lehnen wir ab.
(Beifall des Abg. Heiko Schmelzle [CDU/CSU])

Vorhin ist schon darauf hingewiesen worden: Es gibt Konzepte für eine Vollkaskoversicherung, die aber teilweise noch auf unzureichenden Annahmen beruhen, und die Berechnungen sind auch nicht positiv, einmal abgesehen davon, dass ich mich frage, wer das finanzieren soll.

Doch kommen wir zum Pflege-Bahr. Erinnern Sie sich noch? Im Rahmen des am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes hat die damalige schwarz-gelbe Regierung begonnen, private Pflegezusatzversicherungen zu fördern. Zumindest in der FDP hat mensch sich darüber gefreut, wie ich heute gehört habe: Herr Rüddel persönlich auch.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Er freut sich jetzt!)

– Ja, er freut sich und findet das toll. – Das war aber, wie gesagt, mehr ein FDP-Kind. Der damalige FDP-Generalsekretär, Christian Lindner, hatte auch gleich einen passenden Namen dafür: Das ist der Pflege-Bahr, den wir jetzt einführen. – Dieser Pflege-Bahr ist für alle Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer unabhängig vom jeweiligen Einkommen gleich hoch. Sie müssen mindestens 180 Euro zahlen; davon werden 60 Euro staatlich gefördert.

Es blieb kein Geheimnis: Die SPD, Sozialverbände, Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützer, Fachinstitute, Linke, Grüne, sie alle lehnten die Einführung des Pflege-Bahrs ab.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Die SPD auch!)

– Habe ich gesagt; ich habe sie sogar als Erste genannt. – Mit der Einführung des Pflege-Bahrs waren nämlich zwei Botschaften verbunden: Zum einen sollte damit laut Begründung im Gesetzentwurf ein Anreiz zu zusätzlicher Pflegevorsorge geschaffen werden, quasi ergänzend zum Teilleistungssystem. Es gab aber auch noch eine zweite Botschaft – die lag schon ein bisschen zurück –: Die Einführung einer einkommensunabhängigen privaten Pflegezusatzversicherung wurde, beispielsweiseim Koalitionsvertrag von Schwarz-Gelb von 2009, mit einer substitutiven Wirkung begründet. Das heißt, damit ist eine Verlagerung von Finanzierungsverantwortung von der umlagefinanzierten Sozialversicherung zur kapitalgedeckten Privatversicherung intendiert. Glauben Sie mir: Das will die SPD nicht. Wir sind nach wie vor für starke Umlagefinanzierungssysteme.
(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Produkt ist das gleiche, die Erklärung ist eine andere!)

Vielleicht zur Aufklärung: Durch die Finanzkrise sind am besten die Versicherungen gekommen, die ein umlagegefördertes System hatten.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Die Mischung macht’s!)

Es war viel sicherer, das Geld dort angelegt zu haben, als bei privaten, profitorientierten Unternehmen. Infolgedessen werden wir in Zukunft sicherlich auch noch einmal darüber reden – das gilt auch in Bezug auf andere Bereiche –, was gute Formen der Förderung sind.

Die Linke fordert in ihrem Antrag auch, den Pflege-Bahr rückabzuwickeln, und einen Stopp der Pflegeversicherung. Alle Verbraucherschützerinnen und Verbraucherschützer – das sind auch Rechtsschutzexperten – sagen aber: Das ist leider gar nicht möglich; denn diejenigen, die einen Vertrag abgeschlossen haben, bauen darauf, dass es die Förderung weiterhin gibt.

All diejenigen, die jetzt sagen: „Es waren 1,5 Millionen Verträge geplant; herausgekommen sind allerdings nur 400 000“, haben recht.
(Erwin Rüddel [CDU/CSU]: Bis jetzt!)

– Es waren schon bis 2013 1,5 Millionen Verträge angedacht.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie beziehen sich auf die Zukunft!)

Das wurde auch bei der Aufstellung des Haushalts berücksichtigt. In der mittelfristigen Finanzplanung für die Jahre 2014, 2015 und 2016 waren für diese staatliche Zusatzversicherung nämlich noch jeweils 100 Millionen Euro vorgesehen. In den Haushalt 2014 eingestellt – ich finde, diese Bundesregierung ist hier klüger als die vorherige – werden aber nur 33 Millionen Euro. Es hat hier eine gute Kooperation zwischen den Fach- und Finanzpolitikern gegeben. Das muss man hier gar nicht weiter kommentieren. Wir werden uns sicherlich spätestens in einem Jahr noch einmal darüber unterhalten. Dass ich persönlich – das sage ich als Sozialdemokratin – keine Anhängerin der Privatisierung von Vorsorge bin, ist, denke ich, unbestritten: Es schadet auch nicht dem Koalitionsfrieden, wenn ich das hier so deutlich sage.
(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist aber wichtig!)

Meine Bitte an alle ist: Die Pflege gehört in die Mitte der Gesellschaft und muss noch viel mehr Gegenstand der Diskussionen des Deutschen Bundestages sein. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten viel von uns. Packen wir es an! Machen wir daraus: gesagt, getan, gerecht!
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann verplempert nicht so viel Geld für falsche Sachen!)