Sich teilen können, wäre manches Mal die Lösung. Sowohl der Deutsche Bundestag als auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates tagten zwischen dem 23. und 27. Juni 2014, die einen in Berlin, die anderen in Straßburg. Highlights meiner daher nur zweitägigen „Europawoche“ waren zweifellos die Wahl einer neuen GeneralsekretärIn, die Sitzung des Parlamentarischen Netzwerkes „Gewaltfreies Leben für Frauen“, an dem ich als sogenannte Kontaktparlamentarierin für die deutsche Delegation teilnehme sowie der Unterausschuss Behinderung und Inklusion, dessen Vorsitzende ich bin.
Bewegend war die Plenardebatte über die Situation der Flüchtlinge in Italien und die Gedenkfeier zum 100. Jahr des Beginns des Ersten Weltkrieges. Eindrücklich wurde geschildert, wie innerhalb weniger Wochen der „Große Krieg“ ausgelöst wurde, wie die Franzosen den Ersten Weltkrieg nennen. Der Erste Weltkrieg war eine Tragödie für den gesamten europäischen Kontingent, dessen lange Linien sich bis zum Mauerfall nachweisen lassen. Eine der Lehren ist, dass Gedemütigte keinen Frieden aufrechterhalten können, eine andere, dass Menschenrechte vor staatlicher Macht geschützt werden müssen.
Regen Diskussionsstoff bot auch die Rede des Präsident von Aserbaidschan, Ilham Alijev, am 23. Juni 2014 vor der Parlamentarischen Versammlung. Er behauptete, dass es in seinem Land keine politischen Gefangenen gäbe und die Presse- und Versammlungsfreiheit gewährleistet sei. Dezidiert anderer Ansicht ist aber der Beauftragte für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, Christoph Strässer, der bis vor kurzem dem Europarat angehörte. Am Beispiel Aserbaidschans wurde in informellen Runden viel darüber diskutiert, ob der Europarat nicht viel stärker Flagge bei Menschenrechtsverletzungen zeigen muss und sich nicht „weichspülen“ lassen darf.
Zur Situation in der Ukraine
Zusammen mit Christoph Strässer konnte ich ein Gespräch mit VertreterInnen der Maidan-Bewegung aus der Ukraine führen. Sie klagten über die andauernde Korruption, die Außendarstellung der Ukraine durch „Putin-Freunde“ vom extremen rechten und linken Lager. Es müsse eine stärkere Menschenrechtsdebatte sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Sektor geführt werden. Die Ukraine brauche unser aller Unterstützung. Der Europarat ist willens, diese auch zu geben, was sich an den vielen Stellungnahmen und Beschlüssen der Parlamentarischen Versammlung auch nachweisen lässt.
Die Parlamentarischen Versammlung hatte den ukrainischen Präsident Petro Poroshenko am 26. Juni 2014 eingeladen. Er betonte in seiner Rede, dass nur friedliche Dialoge die Konflikte in der Ukraine lösen und nur eine De-Eskalation den Osten des Landes befrieden könnten. Sein Friedensplan erfahre eine große internationale Unterstützung - auch Russland solle dieses tun. Die Beendigung der militärischen Einsätze entlang der ukrainischen Grenzen habe absolute Priorität. Poroshenko dankte dem Europarat für seine klaren Positionierungen und versprach weiterhin eine enge Kooperation. Mit zahlreichen Maßnahmen wolle er die Korruption im Lande bekämpfen und versprach eine Justizreform, mit der eine größere Transparenz und das Vertrauen der BürgerInnen in den Rechtsstaat gestärkt werde. Außerdem werde die Verwaltung in der Ukraine entsprechend der europäischen Regelungen zur Selbstbestimmung von Kommunen und Regionen dezentralisiert. Dies sei ein wichtiger Schritt im Hinblick auf anstehende Kommunalwahlen.
Wahl der Generalsekretärin /des Generalsekretärs des Europarates
Mit Spannung wurde am 24. Juni 2014 der Wahl der Generalsekretärin /des Generalsekretärs durch die 318 ParlamentarierInnen, die 820 Millionen BürgerInnen aus den 47 Mitgliedsländern des Europarates repräsentieren, entgegengesehen. Die KandidatInnen waren die ehemalige deutsche Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und der amtierende Amtsinhaber, der norwegische Sozialdemokrat Thorbjörn Jagland. Zusätzlich zu ihren persönlichen Profilen haben beide KandidatInnen für jeweils Ungewöhnliches gestanden: Die für ihren Einsatz für Bürgerrechte bekannte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wäre erst die zweite Generalsekretärin seit Gründung des Europarates vor 65 Jahren überhaupt gewesen. Und Thorbjörn Jagland der erste Generalsekretär, dem eine zweite Amtszeit ermöglicht wird.
Von 249 abgegebenen Stimmen entfielen 156 auf Thorbjörn Jagland und 93 auf die von der deutschen Bundesregierung benannte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Während die von der SPD-Bundestagsfraktion entsandten ParlamentarierInnen geschlossen für Leutheusser-Schnarrenberger votierten, haben sich die meisten CDU-KollegInnen gegen Leutheusser-Schnarrenberg ausgesprochen, da diese als „Bundesjustizministerin nicht immer einfach gewesen sei“. Als deutsche Kandidatin stieß Leutheusser-Schnarrenberger aufgrund der Merkelschen Sparpolitik bei vielen südeuropäischen ParlamentarierInnen auf Widerstand. Keine Unterstützung fand sie auch bei einigen osteuropäischen Staaten. Deren VertreterInnen erinnerten sich noch gut an das Engagement von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen Menschenrechtsverletzungen. Während ihrer siebenjährigen Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates hatte sie wichtige Beschlüsse zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Rechtsstaatsproblemen in einigen osteuropäischen Ländern initiiert.
Parlamentarisches Netzwerk „Gewaltfreies Leben für Frauen“
Ich bin dankbar seitens der sozialistischen Fraktionsfamilie im Europarat für die deutsche Delegation zur sogenannten Kontaktparlamentarierin für das Parlamentarische Netzwerk „“Gewaltfreies Leben für Frauen“ bestimmt worden zu sein. Als aktive ASF-Frau freue ich mich auf die damit verbundenen Herausforderungen auf europäischer und nationaler Ebene.
Dass die Istanbul-Konvention von 2011 am 1. August in Kraft tritt, ist auch ein Erfolg des parlamentarischen Netzwerkes „Gewaltfreies Leben für Frauen“. Dieses wurde im Kontext der Kampagne zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen (2006-2008) gegründet. Das Netzwerk setzt sich aktuell aus 51 Mitgliedern der parlamentarischen Delegationen der Mitglieds- und Beobachterstaaten der Parlamentarischen Versammlung sowie den Delegationen der Partner für Demokratie zusammen.
Ich werde den im Ausschuss für Gleichstellung und Nichtdiskriminierung gemachten Vorschlag aufgreifen, am 1. August besonders relevante Organisationen zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zu besuchen. Außerdem wurde vorgeschlagen, dem Beispiel Portugals zu folgen, wo im Auftrag des portugiesischen Parlaments eine Evaluation der möglichen „Lücke“ zwischen den Anforderungen der Istanbul-Konvention und der bestehenden nationalen Gesetzgebung stattfindet.
Istanbul-Konvention lückenlos umsetzen
Die Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Meilenstein im europaweiten Kampf gegen Gewalt an Frauen und hat das Ziel, Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt zu beenden. Mit dem Inkrafttreten der Konvention müssen die unterzeichnenden Staaten die Gleichstellung der Geschlechter in den Verfassungen und Rechtssystemen verankern. Sämtliche diskriminierenden Vorschriften müssen abgeschafft werden. Auch für den Opferschutz sieht die Konvention zahlreiche Verbesserungen vor. Die Istanbul-Konvention ist bislang von 25 Staaten (Albanien, Andorra, Österreich, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Island, Italien, Litauen, Luxemburg, Malta, Monaco, Montenegro, Niederlande, Norwegen, Polen, Portugal, Rumänien, San Marino, Serbien, Slowakei, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Mazedonien, Türkei, Ukraine, Großbritannien) unterschrieben und von 11 Mitgliedsländern ratifiziert worden.
Die Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul Convention) bekennt sich zu Null-Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen. Sie soll als „Goldener Standard“ in der Prävention und Bekämpfung gegen Gewalt an Frauen dienen. Die Konvention nimmt Bezug auf Prävention, Schutz, Strafverfolgung und Monitoring und fordert von den Mitgliedsländern, die sie unterschrieben bzw. ratifiziert haben, entsprechende Maßnahmen.
So soll Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt im Bereich Prävention bekämpft werden durch professionelle Beratungsangebote und durch bewusstseinsfördernde Kampagnen, durch eine enge Kooperation des Staates mit zivilgesellschaftlichen Gruppierungen (NGOs) und durch Aufklärung über geschlechtsspezifische Vorurteile. Jede und Jeder ist aufgefordert, den Wandel der Geschlechterstereotypen, tradierte Aufgabenzuteillungen und Diskriminierungen gegen Frauen zu beenden.
Versagt die Prävention, müssen die Opfer als auch die ZeugInnen geschützt werden, unter anderem durch spezialisierte und sensibilisierte Einheiten bei der Polizei, durch wohnortnahe Frauenhäuser oder 24-Stunden-Telefonhotlines mit spezialisierten Hilfsangeboten. Besonders betont wird, dass alle Frauen den Zugang zu entsprechenden Informationen haben müssen. Hierzu sind mehrsprachige Angebote notwendig. In den meisten Staaten fehlen niederschwellige Angebote nach Vergewaltigungen, die eine sofortige medizinische Behandlung als auch eine gerichtsfeste rechtsmedizinische Dokumentation ermöglichen.
Die Konvention verurteilt jegliche Gewalt an Frauen, verurteilt physische und psychische Gewalt, sexuelle Gewalt und Vergewaltigung, Stalking, Genitalverstümmelung, Zwangsheirat, erzwungene Adoption ebenso wie Zwangssterilisationen. Kultur, Tradition oder „Ehre“ dürfen bei der Strafverfolgung keine Rolle spielen.
Da keine gesetzgeberische, staatliche oder gesellschaftliche Instanz all dieses allein bewältigen kann, sollte in jedem Mitgliedsstaat ein nationaler Aktionsplan aufgelegt werden.
Staaten sollen sich hinsichtlich ihrer Fortschritte bei der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen einem Monitoringverfahren unterziehen. Ab dem 1. August wird deshalb die ExpertInnengruppe (the Group of experts on action against violence against women and domestic violence, GREVIO) zügig etabliert.
Behinderung, eine Frage des BürgerInnenrechts
Eine Gesellschaft, die Menschenrechte und Vielfalt achtet, bedeutet, dass Menschen mit Behinderungen so agieren können, wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger auch. Das Ministerkomitee des Europarats hat einen Aktionsplan des Europarats zugunsten von Menschen mit Behinderungen verabschiedet, der von 2006 bis 2015 gilt. Der Aktionsplan definiert nicht den Begriff „Behinderung“; das ist Sache der nationalen Politik eines jeden Staates. Er fordert aber, dass die Bestimmungen zur Achtung der Menschenrechte in einschlägigen europäischen und internationalen Texten „ohne aus irgendwelchen Gründen abzuleitende Unterschiede“ für alle gelten, „einschließlich behinderter Menschen“.
Der bereits drei Jahre vor dem Inkrafttreten der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen verabschiedete Aktionsplan beruht auf zwei zentralen Prämissen:
- Derzeit findet ein Übergang vom rein medizinischen Begriff der Beeinträchtigung hin zu einem Fähigkeitsbegriff, der auf die Talente und Begabungen des Einzelnen abstellt, statt. Die Gesellschaft hat die moralische Pflicht, die Auswirkungen einer Behinderung auf ein Minimum zu reduzieren. Behinderung ist Teil der menschlichen Vielfalt.
- Es ist legitim, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ihren Platz als BürgerIn unter BürgerInnen einfordern. Es ist die Pflicht der Behörden den Zugang von Menschen mit Beeinträchtigungen zum politischen und öffentlichen Lebens auf allen Ebenen und in allen Bereichen zu fördern.
Menschen mit Behinderungen sollen Zugang zu materiellem Besitz erhalten. Ihr individuelles Wohlergehen ist zu sichern. Die gesellschaftliche Solidarität für diese besonders schützenswerte Personengruppe sollte selbstverständlich sein. Menschen mit Behinderungen sind im Europa der 47 Staaten die bei weitem größte Bevölkerungsgruppe. Etwa 15 % der 820 Millionen EinwohnerInnen haben irgendeine Form von Behinderung. Aufgrund der Verlängerung der Lebenserwartung durch den medizinischen Fortschritt nimmt die Zahl der Behinderungen, die durch Krankheiten verursacht werden, zu. Behinderung kann jede und jeden jederzeit treffen.
Bis Ende 2015 möchte der Aktionsplan des Europarates zugunsten von Menschen mit Behinderungen eine kohärente Politik verwirklichen, die auf den Grundsätzen des vollen BürgerInnenrechts und der möglichst autonomen Lebensweise beruht. Das ist bei insgesamt 41 Zielen und 163 spezifischen Maßnahmen ein sehr ehrgeiziges Ziel. Der Aktionsplan stützt sich auf zwei Europaratexte, die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Sozialcharta. Der Aktionsplan liegt in 30 Sprachen, auch in Blindenschrift und in einfacher Sprache, vor. Europa steht für sozialen Zusammenhalt und für Inklusion.
Kampf gegen Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen
Zum Themenkomplex Kampf gegen Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen führte der Ausschuss Gleichstellung und Nichtdiskriminierung in dieser Sitzungswoche eine Anhörung von ExpertInnen aus Großbritannien und Spanien durch.
ExpertInnenanhörung zur Situation von Frauen mit Beeinträchtigungen
In der Anhörung wurden wir von zwei Expertinnen Ana Peláez Narváez aus Spanien und Professorin Gill Hague aus Großbritannien über die jeweilige nationale Situation informiert.
Frauen mit Behinderung sind vier mal häufiger von sexueller Gewalt betroffen
So berichtete Ana Peláez Narváez, Expertin aus Madrid, Spanien:
Mehr als 50 Prozent aller Menschen mit Behinderungen sind Frauen. 16 Prozent der Frauen mit einer oder mehreren Behinderungen leben in den Industriestaaten, 20 Prozent in den sogenannten Entwicklungsländern. Es sei keine Doppeldiskriminierung, worunter Frauen mit Behinderungen leiden. „Wir leiden als Frauen mit Behinderungen unter der Nichtanerkennung, unter dem Nichtsichtbarsein in Schule, Ausbildung und Erwerbsleben, leiden unter den prekären wirtschaftlichen Situationen, in denen wir leben und die uns abhängig von Dritten machen, leiden unter einem Mangel an sexuellen und reproduktive Rechten, leiden am mangelnden Zugang zur Gesundheitsversorgung.“
Frauen sind vier mal häufiger von sexueller Gewalt betroffen. Die Schwierigkeit sei, dass den Frauen zu wenig geglaubt werde, zumal die Täter häufig aus dem engsten Umfeld kommen. Häufig sei Inzest die Folge. Vielen Frauen, u.a. die, die als geschäftsunfähig gelten, fehle auch das Bewusstsein, ein Opfer zu sein. Andere stecken in Abhängigkeitsstrukturen und sehen keine Möglichkeit, sich hierzu zu äußern. Mit dem Thema Zwangssterilisation seien mehrere Probleme verbunden: zum einen, wenn eine Sterilisation ohne Einwilligung erfolge und zum anderen seien sterilisierte Frauen einer noch größeren Gefahr der sexuellen Gewalt ausgesetzt, das das Risiko einer Schwangerschaft ja nicht mehr bestehe.
Ana Peláez Narváez schlägt daher vor, dass das Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen in eigenen Artikel formuliert werden soll. Sie fordert, dass Frauen sehr viel stärker an Entscheidungsprozessen beteiligt werden müssen. Den Mädchen und Frauen muss mehr Glauben geschenkt werden.
Großbritannien: Mehr Hilfsangebote für Frauen mit Behinderungen nötig
Professorin Gill Hague aus Bristol begrüßte die Istanbul-Konvention als wichtigen europaweiten Standard zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. In Großbritannien existiere zum Thema Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen und der ihnen zur Verfügung stehenden Infrastruktur nur eine einzige Studie „Disabled Women, Domestic Violence and Social Care: The Risk of Isolation, Vulnerability and Neglect”. Danach sind auch in Großbritannien Frauen mit Behinderungen stärker von häuslicher Gewalt betroffen als Frauen ohne Behinderungen. Trotzdem stehen ihnen weniger entsprechende Hilfsangebote zur Verfügung. So fehlt es an ansprechenden Schutzmöglichkeiten, wie z.B. Frauenhäuser, die auch Frauen mit Behinderungen aufnehmen. Das Thema sexuelle Gewalt werde nicht ausreichend wahrgenommen, in der Gesellschaft fehle ein Bewusstsein darüber, dass Frauen mit Behinderungen auch sexuelle Wesen seien und keineswegs in ihrer Persönlichkeit ausschließlich durch die Behinderungen bestimmt sei. Lösungen seien nur dann zu finden, wenn der Grundsatz “Nichts ohne uns über uns” eingelöst wird.
Es entspann sich zu beiden Inputs eine rege Diskussion:
Aus Palästina wurde gefordert, dass das Familiensystem zu unterstützen ist, wenn in diesem Menschen mit Behinderungen leben. Ich hatte darauf verwiesen, dass eine Studie in Deutschland erbracht hat, dass gerade blinde bzw. gehörlose Frauen überproportional häufig von Gewalt betroffen sind. Dem sei in Spanien nicht so, hier wären diese Betroffenenorganisationen sehr gut organisiert. Auch Frauen mit Behinderungen wollen als Frauen, als sexuelle Wesen wahrgenommen werden. Dieses geschehe häufig nicht, hier liegt eine besondere Verletzlichkeit behinderter Frauen. Innerhalb der Familien müsse intensiver über Verhütung diskutiert werden. Ein großes Problem sei die Zwangssterilisation. Frauen, die nicht mehr schwanger werden können, hätten ein höheres Vergewaltigungsrisiko.
Für Großbritannien gelte: Es fehlen Ressourcen, der Kampf ums Geld und um entsprechende Angebote sei heftig. Die Barrierefreiheit in Frauenhäusern müsse ausgebaut werden, es müsste ein entsprechender Fachaustausch zwischen Frauen mit Behinderungen und dem entsprechenden Fachpersonal muss stattfinden, damit Alarmzeichen als solche auch wahrgenommen werden. Die Familienplanungscenter sind auch auf die Belange von Frauen mit Behinderungen einzustellen. Es müsse mehr Aufklärungsangebote für Mädchen mit geistigen Behinderungen geben. Die primäre Gesundheitsversorgung ist für Frauen mit den differenzierten Beeinträchtigungen unzureichend. Die Ausbildungsstrukturen müssen entsprechend geändert werden.
Sitzung des Unterausschusses Behinderung und Inklusion
Im erst im April konstituierten Unterausschuss Behinderung und Inklusion, war ich in der April-Sitzung zur Vorsitzenden (Chairwomen) gewählt worden. In der Juni-Sitzung informierte uns Irena Kowalczyk-Kedziora, Sekretärin des Expertenausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CS-RPD), Europarat, über die bisherigen Aktivitäten des Europarates. Bezüglich der Rechte behinderter Frauen und Mädchen liegt die Empfehlung CM/Rec (2012)6 des Ministerkomitees des Europarates vom 13. Juni 2012 vor. Diese befasst sich mit dem Schutz und der Förderung der Rechte behinderter Frauen und Mädchen und bezieht sich auf die Themen Gleichheit und Nichtdiskriminierungsgesetze, Forschung und Statistik, Teilhabe am politischen Leben und an der Entscheidungsfindung, Ausbildung und Erziehung, Beschäftigung und wirtschaftliche Lage, Gesundheitsversorgung und Rehabilitation, Zugang zum Sozialschutz und zu sozialen Leistungen, Sexualrechte, Mutterschaft und Familienleben, Zugang zur Justiz und zum Schutz gegen Gewalt und Missbrauch, Teilhabe an kulturellen, sportlichen und an Freizeitmaßnahmen sowie am Tourismus und Bewusstseinsbildung und Abbau von Vorurteilen. Die Empfehlung fordert, dass die Anliegen und Rechte behinderter Frauen und Mädchen eine viel stärkere Berücksichtigung finden. Zwar gibt es hier Fortschritte, es bestehen aber noch viele Defizite für Frauen und Mädchen mit Behinderung.
Die Mitglieder des Unterausschusses beschlossen, für die 4. Parlamentarische Versammlung Ende September/Anfang Oktober, ein sogenanntes „side-event“, eine für alle Mitglieder des Europarates öffentliche Veranstaltung, durchzuführen. Schwerpunkte dieser Veranstaltungen sollen sein die De-Institutionalisierungsprozesse, die Notwendigkeit einer ausreichenden finanziellen Förderung, die Ausgestaltung unserer jeweiligen Sozialsysteme. Eingeladen werden sollen auch ExpertInnen gemäß „Nichts über uns ohne uns“.
Die Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in Deutschland“ hat deutlich gezeigt, dass Frauen und Mädchen auch in Deutschland besonders gefährdet sind. Die Gewalt gegen Frauen mit Behinderungen ist sehr erschreckend. Neben der direkten personalen Gewalt gegen Frauen mit Behinderung sind sie vielfältigen Formen von Diskriminierung und struktureller Gewalt ausgesetzt. Für diese Studie wurden über 1500 Frauen im Alter von 16 bis 65 Jahren in Privathaushalten und in Einrichtungen der Behindertenhilfe befragt.
Der Europarat „ist Europas führende Organisation für Menschenrechte. Er hat 47 Mitgliedsstaaten, von denen 28 auch Mitglied der Europäischen Union sind. Alle Mitgliedsstaaten des Europarates haben die Europäische Menschenrechtskonvention gezeichnet, ein Vertrag zum Schutz der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überwacht die Umsetzung der Konvention in den Mitgliedsstaaten. Einzelpersonen können Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen beim Gerichtshof in Straßburg einreichen, wenn sie alle innerstaatlichen Rechtsmittel in dem betroffenen Staat ausgeschöpft haben. Die Europäische Union bereitet die Unterzeichnung der Europäischen Menschenrechtskonvention vor, wodurch ein gemeinsamer europäischer Rechtsraum für über 820 Millionen Bürger geschaffen wird.“ Seinen Sitz hat der Europarat in Straßburg, Frankreich. Er beschäftigt 2 200 Angestellte und unterhält externe Büros und Verbindungsbüros zu anderen internationalen Organisationen. Die Europäischen Jungendzentren in Straßburg und Budapest bieten jungen Menschen Schulungen in den Bereichen Demokratie und Menschenrechte an. 2013 belief sich der Gesamthaushalt des Europarates auf 404 Millionen Euro, die vor allem von den Mitgliedsstaaten finanziert werden.