(Erschienen in der Berliner Stimme, 4.10.2014, S. 8, Nr. 19, 64. Jahrgang)
Mechthild Rawert: Beratungsstrukturen schaffen
Pflege geht uns alle an. Die parlamentarischen Beratungen zum sogenannten 1. Pflegestärkungsgesetz (PSG) laufen. Am 24. September fand dazu eine große Anhörung im Deutschen Bundestag statt.
Rund 50 ExpertInnen aus Wohlfahrtsverbänden, Pflegekassen und Sachverständigen haben umfangreiche Stellungnahmen abgegeben. Mit dem Gesetz soll die Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe der pflegebedürftigen Person gestärkt und pflegende Angehörige unterstützt werden.
Obwohl die im Koalitionsvertrag vereinbarte CDU-Idee eines Pflegevorsorgefonds heftig kritisiert wurde, werden wir diesen mitbeschließen müssen. Das 1. PSG wird voraussichtlich am 17. Oktober beschlossen und am 1. Januar 2015 in Kraft treten, damit auch die 0,3 Prozent Beitragserhöhungen. Eine weitere Beitragserhöhung um 0,2 Prozent erfolgt mit dem 2. PSG.
Das Recht auf ein würdevolles Leben in der Pflege. Angesichts des demografischen Wandels ist eine Reform der sozialen Pflegeversicherung unverzichtbar. Unsere Gesellschaft wird bunter und wir werden gesünder älter. Doch viele Menschen haben Angst davor, pflegebedürftig zu werden und schieben das Thema daher lange weit weg. Dabei werden tatsächlich jeder zweite Mann und zwei von drei Frauen irgendwann pflegebedürftig sein. Es ist deshalb wichtig, dass die ganze Gesellschaft über die Pflege redet, für Selbstbestimmung und Teilhabe streitet, sich für ein Recht auf ein würdevolles Leben in der Pflege einsetzt. Dafür gilt es die richtigen Weichen zu stellen.
Mit dem 1. PSG packen wir viele der anstehenden Herausforderungen an, die auch von den ExpertInnen für richtig gehalten werden. Dabei wissen wir, dass noch etwas sehr Wichtiges aussteht: der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff, der sich nicht mehr an den Defiziten sondern an den Ressourcen eines Menschen, am Grad der Selbstständigkeit im Alltag ausrichtet. Erst das 1. Und das 2. PSG zusammen werden eine „große Reform“ darstellen.
Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wird es ab 2017 fünf Pflegegrade statt der drei bisherigen Pflegestufen geben. Endlich wird dann nicht mehr zwischen körperlichen, geistigen und psychischen Beeinträchtigungen unterschieden. Jede Beeinträchtigung gilt gleichberechtigt als Bedarf an Leistungen durch die soziale Pflegeversicherung. Davon profitieren Millionen Menschen, vor allem an Demenz Erkrankte.
Nur rund sechs Milliarden Euro - Konflikte sind programmiert. Noch wird über die Ausgestaltung der einzelnen Leistungsverbesserungen gestritten, weil die zur Verfügung stehenden sechs Milliarden Euro nicht für jeden Wunsch reichen werden.
Einige der wichtigsten Neuerungen:
- 1,4 Mill. Euro mehr für Leistungen für die häusliche Pflege,
- größere Flexibilität zwischen der Verhinderungs-, Kurzzeit-, Tages- und Nachtpflege,
- mehr niedrigschwellige Betreuungs-und Entlastungsangebote in der häuslichen Pflege,
- Erhöhung von zusätzlichen 20.000 auf 45.000 Betreuungskräfte,
- Absenkung auf einen Personalschlüssel auf 1:20 in vollstationären Einrichtungen,
- Erhöhung der Zuschüsse für Umbaumaßnahmen und Pflegehilfsmittel sowie für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen,
- Ausbau von alternativen Wohngruppen auch für Menschen mit Demenz. Betreuungs- und Entlastungsleistungen erhalten künftig auch körperlich beeinträchtigte Pflegebedürftige.
Eine große Aufgabe wird es sein, eine entsprechende Informations- und Beratungsstruktur zu schaffen. Nur wer weiß, dass es viel Unterstützung vor Ort gibt, kann Selbstbestimmung und gesellschaftliche Teilhabe auch wirklich leben.