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Fachgespräch: Notwendigkeit der Novellierung des § 177 Strafgesetzbuch

Am 13. Oktober 2014 hatte ich zu einem Fachgespräch zur Notwendigkeit der Novellierung des § 177 StGB KollegInnen bzw. deren MitarbeiterInnen eingeladen, die in ihren Ausschüssen mit der Novellierung des „Gesetzesentwurf zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ befasst sind. Hintergrund ist die erste Lesung des Gesetzes im Deutschen Bundestag. Ich danke Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), dass hiermit die Rechtsnormen des sexuellen Missbrauchs und der Kinderpornografie geändert werden sollen. 
Als engagierte ASF-Frau und als Mitglied des Ausschusses für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, der verantwortlich für die Erstellung der Istanbul-Konvention ist, fehlen mir in diesem Gesetzentwurf Ausführungen zu einem meines Erachtens sehr wichtigem Punkt: Die Anpassung des § 177 StGB - Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung. Deutschland hat das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, CETS No. 210, im Mai 2011 unterzeichnet. Das verpflichtet.
Alle ExpertInnen sind sich darüber einig, dass für eine Ratifizierung des Übereinkommens, kurz Istanbul Konvention genannt, eine Änderung des Vergewaltigungsparagrafen notwendig ist. 
Durch das Fehlen dieser Änderung wird der Gesetzentwurf seinem eigenen Titel nicht gerecht.
   
ExpertInnen im Deutschen Bundestag
Eingeladen hatte ich Friederike Strack von LARA - Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen in Berlin-Schöneberg und die Rechtsanwältin Christina Clemm, die seit vielen Jahren Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Belästigungen vertritt, aber auch als Strafverteidigerin arbeitet. Zudem ist sie als beratende Rechtsanwältin für den Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) in Deutschland tätig.
   
Schutzlücke des § 177 
Zunächst zeigten beide Expertinnen die Schutzlücke des § 177 anhand zahlreicher Beispiele auf. Die beschriebenen Sachverhalte wurden von allen Anwesenden als strafwürdiges Verhalten wahrgenommen. Allerdings: Alle Sachverhalte endeten im Verfahren mit Freispruch oder wurden erst gar nicht strafrechtlich verfolgt. 
Hier die Darstellung eines realen Fallbeispiels: Eine Frau trennt sich von ihrem Lebensgefährten und geht eine neue Beziehung mit einem anderen Mann ein. Ihr ehemaliger Lebensgefährte findet die neue Adresse der Ex-Freundin heraus, gelangt in die Wohnung, in der sich neben der Frau auch der neue Freund befindet. Er zieht eine Schusswaffe und erschießt den neuen Freund. Die Frau wird gezwungen mit ihm aus der Wohnung zu gehen und ihm in seine Wohnung zu folgen. Dort verlangt er von ihr den Beischlaf. Die Frau wehrt sich nicht und lässt die sexuellen Handlungen geschehen. Der Mann wird von der Polizei festgenommen. Es kommt zur Anklage wegen Mordes und Vergewaltigung. Verurteilt wird der Täter „nur“ wegen Mordes, im Fall der Vergewaltigung wird er frei gesprochen. Denn, so das Urteil: Es liegt keine fortgesetzte Gewalt oder Drohung vor. 
Dieser Fall verdeutlicht das Problem, dass der § 177 StGB darstellt. Durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der § 177 sehr eng ausgelegt, eine Drohung oder Gewaltanwendung muss bis zur sexuellen Handlung fortgesetzt werden. Im konkreten Fall hat die Frau gewusst, dass der Täter eine Waffe hat und sie bereits genutzt hat. Sie hat sich aus Angst nicht gewehrt, sondern das getan was der Täter verlangt hat. Für das Gericht reichte dies für eine Verurteilung nicht. Da der Täter nicht das Opfer der Vergewaltigung direkt bedroht hatte, sondern „nur“ Gewalt gegen den Freund ausgeübte. Die Angst und das Wissen über die vorherige Handlung des Täters reichte für eine Verurteilung wegen Vergewaltigung nicht aus.
   
Neufassung des § 177 dringend geboten
Die Expertinnen waren sich einig, dass die auch durch stetige Rechtsprechung entstandene Schutzlücke nur durch eine Neufassung des Paragrafen geschlossen werden kann. Die Istanbul Konvention, die die Bundesrepublik Deutschland ratifizieren will, gibt die Richtung der Änderung bereits vor. Der einschlägige Artikel ist Art. 36. Dort heißt es: 
Artikel 36 - Sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung
1 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass folgendes vorsätzliches Verhalten unter Strafe gestellt wird:
a) nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper einer anderen Person mit einem Körperteil oder Gegenstand;
b) sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen mit einer anderen Person;
c) Veranlassung einer Person zur Durchführung nicht einverständlicher sexuell bestimmter Handlungen mit einer dritten Person.
2 Das Einverständnis muss freiwillig als Ergebnis des freien Willens der Person, der im Zusammenhang der jeweiligen Begleitumstände beurteilt wird, erteilt werden.
3 Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Absatz7 1 auch auf Handlungen anwendbar ist, die gegenüber früheren oder derzeitigen Eheleuten oder Partnerinnen oder Partnern im Sinne des internen Rechts begangen wurden. 
   
Art. 36 Istanbul-Konvention stellt ab auf nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen. Frau Clemm schlug vor den Grundtatbestand über die nicht einvernehmlichen Handlungen zu definieren - so wie es Art. 36 Istanbul-Konvention vorsieht und einen qualifizierten Tatbestand durch Gewaltanwendung, Drohung oder im schutzlosen Raum zuzufügen. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen der Referentin des Europarates, die bei der Fachtagung Frauenrechte der Friedrich-Ebert-Stiftung dies als einen praktizierten Weg aufwies.
   
Frau Clemm möchte keineswegs jeden sexuell unerfahrenen jungen Menschen, der ausprobiert wie weit seine sexuell motivierten Annäherungen beim Gegenüber akzeptiert werden, sofort der strafbaren Handlung  aussetzen. Deshalb sei die gesellschaftliche Komponente, die eine Neufassung mit dem Inhalt der einvernehmlichen Handlungen vorsieht, eine gute Richtungsweisung. 
   
Jung und gleichgestellt - und dennoch ohnmächtiges Opfer sexualisierter Gewalt?!
An dieser Stelle stellte ich die Frage, wie die anwesenden jungen Frauen und Männer aus den MdB-Büros diese Erläuterungen wahrnehmen. Ob sie von sexuellen Übergriffen im Freundes- und Bekanntenkreis wüssten und wie damit umgegangen wird. Die Antworten waren unisono erschreckend: Denn sexuelle Übergriffe hatten alle selbst erlebt oder aber von FreundInnen und Bekannten erfahren. Geahndet wurde nichts. Vor allem finde ich die Aussage erschreckend, dass man sich in frühester Jugend bereits damit abgefunden habe, dass dies in der Gesellschaft passiere und man, besser frau, sich wohl damit abzufinden müsse. 
   
FES-Fachkonferenz Frauenrechte 
Immer wieder wurde Bezug genommen auf Statements von der Fachkonferenz Frauenrechte, die in der vergangenen Woche durch die Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt worden war. Auch dort waren sich die eingeladenen Fachfrauen aus der Praxis einig, dass der § 177 zu reformieren sei. Nur dann könne die Istanbul-Konvention ratifiziert werden. 
Auf dieser Konferenz, so Frau Strack und Frau Clemm, traf die Aussage des Abteilungsleiters Strafrecht des Bundesjustizministeriums, auf sehr geteilte Meinung, als er feststellte, dass es eine Neukonzeption des Sexualstrafrechts geben soll. Für die einen schien es als ob nach vielen Jahren die Forderung der Reformierung des § 177 in greifbare Nähe rücken könnte. Andere waren der Meinung, dass die Reformierung des § 177 damit auf die „lange Bank“ geschoben werde.
   
Das Fazit einer Frauen- und Gesundheitspolitikerin
Für mich hat dieses Fachgespräch gezeigt, dass es notwendig ist den § 177 StGB zu verändern, damit eine Ratifizierung der Istanbul-Konvention möglich ist. 
Ich ermuntere meine mit dem Gesetzentwurf befassten Kolleginnen und Kollegen in den Ausschüssen für  Recht und Verbraucherschutz, im Auswärtigen Ausschuss, im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Ausschuss für Digitale Agenda und in meinem Ausschuss für Gesundheit sich für eine Änderung des „Gesetzentwurfs zur Änderung des Strafgesetzbuches - Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht“ einzusetzen. Die Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht umfasst auch die rechtlichen Regelungen der Istanbul-Konvention. 
   
Erfahrungen von S.I.G.N.A.L. e.V., Intervention im Gesundheitsbereich gegen häusliche und sexualisierte Gewalt zeigen, dass die meisten Opfer von sexualisierter Gewalt zu irgendeinem Zeitpunkt im Gesundheitswesen ankommen. Es darf nicht sein, dass rechtliche Schutzlücken die Ursache dafür sind, dass Frauen mit körperlichen und vor allem auch psychischen Erkrankungen aufgrund von sexueller Nötigung oder Vergewaltigung PatientInnen des Gesundheitswesens werden.
Die Frauen und Männer in Deutschland brauchen eine klare Rechtsnorm - auch damit sich eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Verwerflichkeit der sexuelle Nötigungen und Vergewaltigungen mit dem Ziel der gesellschaftlichen Ächtung dieser Taten entwickelt. Hier besteht dringender Handlungsbedarf!
  
Die Frauen und Männer in Deutschland brauchen aber auch eine klare Rechtsnorm um eigenes Handeln zu hinterfragen. Eine Strafrechtsnorm, die für die Menschen nicht nachvollziehbar ist, weil sie Handlungen, die übereinstimmend als verwerflich und strafwürdig empfunden werden, nicht ahndet, kann nicht handlungsanleitend für das eigene Verhalten wirken. 
Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier haben mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit zur Neufassung. Lassen wir diese Chance JETZT nicht ungenutzt verstreichen.