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Für eine fortschrittliche Flüchtlingspolitik

Ich begrüße die große gesellschaftliche Akzeptanz und Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge. Viele engagierte BürgerInnen und viele Initiativen helfen den Flüchtlingen konkret vor Ort. Das gesellschaftliche Klima unterscheidet sich stark im Vergleich zur Situation Anfang der 90er Jahre. Damals verübten nicht nur Rechtsradikale unzählige Anschläge auf Asylbewerberheime, sondern viele Massenmedien und PolitikerInnen schürten Ängste vor Überfremdung. Ich setze mich dafür ein, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asyl erhalten, dass sie arbeiten dürfen, sich frei bewegen können, dass sie Zugang zu medizinischen Leistungen erhalten.

Es sind vor allem Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, Somalia, Eritrea, Afghanistan oder Irak, die Asyl in Deutschland suchen. Das sind Länder, in den Bürgerkrieg und Verfolgung herrschen. So finden derzeit ca. 48.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland Schutz. Nach Angaben des Präsidenten des Bundesamtes für Flüchtlinge, Dr. Manfred Schmidt, liegt die Anerkennungsquote bei 46 Prozent bei allen Asylsuchenden, bei Flüchtlingen aus Syrien sogar bei 96,3 Prozent. 

Verbesserungen für Flüchtlinge in Deutschland

Die Themen Arbeitserlaubnis, Aufhebung der Residenzpflicht und Abschaffung des Sachleistungsprinzip standen viele Jahre in den Forderungskatalogen von Flüchtlings- und Sozialverbänden. Ausgerechnet die Große Koalition hat diese längst überfälligen Verbesserungen beschlossen, denn die SPD hat diese Punkte in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt!

Asylsuchenden wird endlich der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert. Die Wartefrist, nach der die Ausübung einer Beschäftigung grundsätzlich erlaubt werden kann, soll auf drei Monate verkürzt werden. Zuvor waren es für AsylbewerberInnen neun, für Geduldete zwölf Monate. Für viele dieser Menschen, die arbeiten können und wollen, bedeutet dies eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben, anstatt auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.

Damit dieses Gesetz die erforderliche Zustimmung im Bundesrat erhält, hat die Bundesregierung weitere praktische Erleichterungen für Asylbewerber und Geduldete zugesagt:

  1. Über die bereits im Gesetz vorgesehene Absenkung des absoluten Beschäftigungsverbots hinaus erhalten AsylbewerberInnen und Geduldete eine erleichterte Arbeitserlaubnis. Die Vorrangprüfung entfällt nach 15 Monaten Aufenthaltsdauer. Das bedeutet, dass künftig die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet sein wird - ohne vorherige Prüfung, ob ein Vorrang von deutschen oder BewerberInnen aus EU-Mitgliedstaaten besteht.
  2. Die sogenannte Residenzpflicht wird ab dem vierten Monat nach Aufenthaltsnahme im Bundesgebiet abgeschafft. Also die gesetzliche Pflicht, nach der sich AsylbewerberInnen und Geduldete nur in ihrem zugewiesenen Aufenthaltsbereich bewegen dürfen. Es bleibt für sie eine Wohnsitzauflage, um die Kosten auf Länder und Kommunen gerecht zu verteilen. Sie dürfen sich aber künftig im gesamten Bundesgebiet frei bewegen. Bei StraftäterInnen und Personen, bei denen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bekannt geworden sind oder bei denen aufenthaltsbeendende Maßnahmen konkret bevorstehen, kann eine Residenzpflicht wieder angeordnet werden.
  3. Zudem ist bei der Versorgung der AsylbewerberInnen und Geduldeten eine Umkehr vom Sach- zum Geldleistungsprinzip vereinbart worden. Der bislang vorgesehene Vorrang für Sachleistungen soll nur noch während der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtungen gelten. Sobald die Aufnahmephase abgeschlossen ist, sollen die Leistungen künftig bar ausgezahlt werden.
  4. Schließlich wird der Bund im Rahmen der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen mit den Ländern darüber verhandeln, wie Länder und Kommunen aufgrund der steigenden Zahl von AsylbewerberInnen entlastet werden können. Im Vordergrund stehen dabei vor allem die Kosten der Gesundheitsversorgung.

Diese im Bundesrat gefundenen Verhandlungsergebnisse werden nun in einem eigenständigen Gesetz verabschiedet. Sie bringen aus sozialdemokratischer Sicht erhebliche Verbesserungen für alle Asylsuchenden und Geduldeten mit sich und fördern ihre Integration in unsere Gesellschaft. Mit der Abschaffung der Residenzpflicht haben wir eine Forderung aus unserem SPD-Regierungsprogramm, die wir in abgeschwächter Form schon in den Koalitionsvertrag verhandeln konnten, eins zu eins umgesetzt. Auch die anderen Punkte entsprechen den von uns geforderten Positionen. Deswegen ist das ein großer Erfolg der SPD - aber auch der Grünen.

 „Sichere“ Herkunftsstaaten

Eine Entscheidung schmerzt mich allerdings in diesem Zusammenhang sehr. Künftig sollen die Westbalkanstaaten Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden. Diese Entscheidung war bereits in den Koalitionsverhandlungen gefällt worden. Die Union hatte ihr Entgegenkommen bei den Verbesserungen für Flüchtlinge an diesen Punkt gekoppelt. In der Diskussion über den Gesetzentwurf versuchten CDU/CSU zudem noch Montenegro und Albanien als sichere Drittstaaten zu erklären. Dieses Ansinnen konnten wir SozialdemokratInnen abwehren. 

Die Einstufung als „sicherer Drittstaat“ führt zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der AntragstellerInnen und zu einer verkürzten Ausreisefrist in Asylverfahren. Verkürzt sind auch die Fristen für einstweiligen Rechtsschutz sowie Klage. Eine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht möglich. 

Aber: Materiell erfolgt auch hier eine individuelle Prüfung. Die Betroffenen können tatsächlich drohende Menschenrechtsverletzungen vortragen und gegebenenfalls als schutzberechtigt anerkannt werden.

Leistungen für AsylbewerberInnen werden verbessert

Das Bundesverfassungsgericht hat in einem Urteil vom 18. Juli 2012 die Höhe der Geldleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für zu niedrig und unvereinbar mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum erklärt. Das Gericht fordert vom Gesetzgeber, die Leistungssätze neu zu regeln und sie künftig transparent, realitäts- und bedarfsgerecht zu ermitteln. Seitdem werden die Leistungen bereits auf Grundlage einer Übergangsregelung gewährt.

Die Bundesregierung hat nun einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Sozialgerichtsgesetzes“ (Drs. 18/2592) vorgelegt. Dieser wurde am 09. Oktober im Deutschen Bundestag in 1. Lesung beraten. 

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) legt die Höhe und Form von Leistungen für AsylbewerberInnen und geduldete AusländerInnen fest. Künftig sollen die Leistungen nach dem AsylbLG wie die der Grundsicherung (SGB II) und Sozialhilfe (SGB XII) auf Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt und angepasst werden. Dadurch wird es zu deutlich höheren Leistungssätzen kommen. Die EVS wird alle fünf Jahre in enger Zusammenarbeit zwischen dem Statistischen Bundesamt und den Statistischen Landesämtern erhoben. 

Die Gesetzesänderung regelt außerdem, dass die Wartezeit, bis Leistungen in gleicher Höhe wie die Sozialhilfe (SGB XII) erbracht werden, nicht mehr vier Jahre sondern 15 Monate betragen soll. Kinder und Jugendliche sollen von Anfang an einen Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe, z. B. für ihren persönlichen Schulbedarf, erhalten. 

Darüber hinaus sollen minderjährige Kinder nicht mehr für die Verstöße ihrer Eltern gegen die aufenthaltsrechtlichen Mitwirkungspflichten mit Leistungsminderungen bestraft werden.

Bestimmte Personengruppen mit humanitären Aufenthaltstiteln wie Opfer von Menschenhandel oder Bürgerkriegsflüchtlinge fallen künftig nicht mehr unter das Asylbewerberleistungsgesetz. Sie beziehen bei Bedürftigkeit Grundsicherung oder Sozialhilfe. Diese Neuregelung entlastet Länder und Kommunen im Jahr 2015 um 31 Millionen Euro und 2016 um 43 Millionen Euro. Für den Bund entstehen dadurch Mehrausgaben in Höhe von 27 Millionen Euro im Jahr 2015 und 37 Millionen im Jahr 2016.

Als Reaktion auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom Oktober 2013 wird zudem ein so genannter Nothelferanspruch im AsylLG geregelt. Krankenhäuser und Ärzte bekommen die Behandlungskosten erstattet, wenn sie Asylsuchende in medizinischen Eilfällen behandeln. Gleichzeitig wird die angemessene medizinische Versorgung von AsylbewerberInnen gewährleistet.

Hilfe für Kommunen bei der Unterbringung von Flüchtlingen

Die Kommunen sind durch die ansteigende Zahl von AsylbewerberInnen gefordert. Auch in Tempelhof-Schöneberg sind seit dem 18. September Flüchtlinge im Georg-Kriedte-Haus in Lichtenrade untergebracht. Die Entscheidung dazu fiel von Seiten des Sozialsenators Mario Czaja sehr plötzlich und ohne Vorinformation an den Bezirk. Ich bin Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler und dem ganzen Bezirksamt sehr dankbar, dass sie für den 10. Oktober eine EinwohnerInnenversammlung einberufen haben, um die BürgerInnen in Lichtenrade umfassend zu informieren. Auf der Versammlung wurde deutlich: Die Flüchtlinge sind in Lichtenrade willkommen! 

Wir SozialdemokratInnen wollen die Kommunen gezielt dabei unterstützen, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Im Koalitionsvertrag hat die SPD durchgesetzt, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge personell ausreichend ausgestattet wird, damit zügige und rechtsstaatliche Asylverfahren gewährleistet sind. Diese Forderung haben wir im Haushalt 2014 im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens in einem ersten Schritt umgesetzt. Wir haben 300 neue Stellen geschaffen, die im Laufe dieses Jahres besetzt sein werden. 

Im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes, über das wir derzeit im parlamentarischen Verfahren beraten, wollen wir die Kommunen und die überörtlichen Träger zusätzlich entlasten: Es soll ab dem Jahr 2015 zu Minderausgaben der Länder und Kommunen von 31 Mio. Euro, ab Jahr 2016 von 43 Mio. Euro kommen. Die Hamburger Bundesratsinitiative, den Belangen von Flüchtlingen im Bauplanungsrecht einen größeren Stellenwert einzuräumen, werden wir aufgreifen. Die Kommunen bekommen damit zusätzliche Instrumente, um kurzfristig Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen. Dies soll befristet auch auf unbebauten Grundstücken in unmittelbarer Siedlungsnähe und als Ausnahme in Gewerbegebieten leichter möglich sein. Daneben sehen wir als SPD-Bundestagsfraktion auch die Bundesverwaltung in der Pflicht: Zu prüfen ist, ob und zu welchen Konditionen Liegenschaften unter Bundesverwaltung genutzt werden können. Klar ist: Für uns hat die menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge oberste Priorität. 

Dies sind erste Schritte, um die Kommunen wirksam bei der Unterbringung der Flüchtlinge zu unterstützen.

Situation der Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort

Vergangene Woche hat die AG Migration und Integration der SPD-Bundestagsfraktion mit Staatsministerin Aydan Özoguz, dem Präsidenten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Dr. Manfred Schmidt, sowie mit dem Geschäftsführer der Bundes-SGK Alexander Götz und dem Bevollmächtigten für Integration des Landes Schleswig-Holstein, Norbert Scharbach, im Rahmen der Sondersitzung „Situation der Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort“ am 9. Oktober 2014 über mögliche konkrete Lösungen für Kommunen diskutiert. Besonders hervorgehoben wurde die derzeitige hohe gesellschaftliche Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge. Allerdings wurde davor gewarnt, dass, ohne eine ausreichende Re-Finanzierung der den Kommunen für die Unterbringung der Flüchtlinge entstehenden Kosten, das gesellschaftliche Klima auch wieder kippen könnte. Die einzelnen Bundesländer handhaben die Kostenerstattung für die Kommunen sehr unterschiedlich. Auch die Unterbringung von Flüchtlingen in Gewerbegebieten wurde skeptisch beurteilt. 

Als positives Beispiel wurde das Konzept der Stadt Münster mit einer dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen und flankierenden Angeboten von Sprach- und Orientierungskursen vorgestellt. Die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlichte die Broschüre „Kreative politische Konzepte der Flüchtlingsaufnahme in Münster“ im September 2014.

Auch der SPD-Parteivorstand hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Yasmin Fahimi und Ralf Stegner eingerichtet, die zügig weitere Vorschläge unterbreiten soll.

„Festung Europa“ oder fortschrittliche europäische Flüchtlingspolitik

Die Zielrichtung der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex) besteht vor allem in der Abwehr von Flüchtlingen. Die Strategie der Eindämmung illegaler Zuwanderung hat jedoch fatale Folgen für die Flüchtlinge. Nach Angaben von Pro Asyl starben seit dem Jahr 2000 etwa 25.000 Flüchtlinge auf ihrem Weg in die EU. 

Erinnert wurde auch daran, dass der frühere Ministerpräsident Berlusconi mit Ghaddafi „Freundschaftsverträge“ abgeschlossen hat, damit die Flüchtlinge noch in Libyen in Lagern festgehalten werden. Nach den schrecklichen Vorfällen vor Lampedusa im Herbst 2013, wo hunderte Flüchtlinge ertranken (allein am 11. Oktober 2013 starben 260 Menschen), änderte die sozialdemokratische Regierung diese Politik. Mit der Operation Mare Nostrum eskortiert die italienische Marine die Flüchtlingsboote zum italienischen Festland, während früher die Flüchtlinge zurück nach Afrika gebracht wurden. „Wir dürfen nicht erlauben, dass das Mittelmeer zu einem Friedhof wird. Die EU darf nicht einfach wegschauen“ betonte der neue Ministerpräsident Matteo Renzi. 

Allerdings macht das italienische Beispiel auch deutlich, wie dringend eine Debatte um eine europäische Verantwortungsteilung ist. Die meisten Flüchtlinge nehmen Frankreich, Deutschland, Schweden, Großbritannien und Italien auf. Gemessen an ihrer Bevölkerungszahl sind es vor allem Schweden, Belgien, Griechenland und Österreich, die besonders vielen Asylsuchenden Schutz bieten. Auch bei der Anerkennung des Asylschutzes existieren große Unterschiede innerhalb der EU. Während in Italien 93,7 % der afghanischen Flüchtlinge Asylstatus gewährt wird, sind es in Deutschland 40,2 % und in Dänemark nur 27,6 %. 

Faire Verantwortungsverteilung innerhalb der EU

Einen Vorschlag für eine faire Lastenverteilung innerhalb der EU hat der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hat mit seinem Vorschlag „Europäische Flüchtlingspolitik: Wege zu einer fairen Lastenteilung“ Nachdenkenswertes unterbreitet. Die Aufnahmequote für Flüchtlinge eines jeweiligen EU-Landes soll nach Wirtschaftskraft, Bevölkerungszahl, Fläche und Arbeitslosigkeit berechnet werden. Das Modell könnte auch als Grundlage für einen finanziellen Ausgleich dienen. 

Wichtig erscheint mir, dass ein Wettlauf der Mitgliedsstaaten verhindert wird - ein Wettlauf dahingehend möglichst unattraktiv für Flüchtlinge zu sein. Mich treibt auch der wachsende Rechtspopulismus in Europa um. So unterschiedlich die rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen auch sind, sie alle eint die Ablehnung von Flüchtlingen und die Ablehnung der Europäischen Idee. Für mich gilt: Das Gelingen einer gemeinsamen europäischen Flüchtlingspolitik ist ein hervorragendes Vorhaben zur Umsetzung der europäischen Wertegemeinschaft und der europäischen Integration.