Viel ist in der letzten Zeit vom neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und einem neuen Begutachtungsverfahren für die Pflege die Rede. Ich werde häufig gefragt: Was ist damit gemeint und welche Konsequenzen sind mit den Änderungen ab wann für die Bürgerinnen und Bürger verbunden?
Definition Pflegebedürftigkeit jetzt
Derzeit gelten nach Sozialgesetzbuch XI - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) Menschen dann als pflegebedürftig, wenn sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder einer Behinderung im erheblichen oder höheren Maße der Hilfe bedürfen. Die auf der Grundlage des SGB XI bewilligten unterstützenden Hilfeleistungen beziehen sich bisher aber fast ausschließlich auf den Bereich der Körperpflege, der Ernährung, der Mobilität und der hauswirtschaftlichen Versorgung für die Dauer von mindestens sechs Monaten.
MDK prüft im Auftrag der Pflegeversicherung
Die Pflegebedürftigkeit wird durch ein streng festgelegtes Begutachtungsverfahren geprüft. Versicherte, die längerfristig auf Hilfe bei der Pflege angewiesen sind, können einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung bei ihrer Pflegekasse stellen. Diese beauftragt den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK), ein Beratungs- und Begutachtungsdienst der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen. Der MDK ist regional gegliedert. In einem Hausbesuch beurteilt eine MDK-GutachterIn anhand dieses standardisierten Erhebungsbogens die Stufe der Pflegebedürftigkeit. Das so erstellte Gutachten wird als Empfehlung an die Pflegekasse gesendet. Die Pflegekasse legt auf dieser Grundlage die Pflegestufe fest und informiert die/den Versicherte/n. Selbstverständlich kann die versicherte Person dieses Gutachten erhalten, wenn sie es wünscht.
Ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff ist notwendig - warum?
Augenblicklich orientiert sich die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit vor allem an den körperlichen Einschränkungen der betroffenen Person und am Zeitaufwand für die Pflege, zum Beispiel bei der Unterstützung zur Körperpflege oder beim Ankleiden. Sowohl die einseitige Ausrichtung an die körperlichen Beeinträchtigungen als auch die „Pflege im Minutentakt“ stehen seit langem in der Kritik. Die Orientierung der Begutachtung ist zu eng gefasst. Seit langem wird kritisiert, dass damit Menschen mit Demenz, die beispielsweise eine allgemeine Betreuung benötigen, oder an psychischen Erkrankungen leidende Menschen nicht ausreichend Hilfeleistungen erhalten.
Neues Begutachtungsverfahren
Die neue Perspektive auf die pflegebedürftige Person stellt den Begriff der Pflegebedürftigkeit auf eine neue Grundlage. Daher bedarf es auch eines neuen Begutachtungssystems: Künftig wird darauf geschaut, was die Menschen noch können, welche Fähigkeiten noch vorhanden sind - unabhängig davon, ob körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigungen vorliegen. Viel stärker in den Fokus kommt somit der Bedarf für eine notwendige Betreuung der Pflegebedürftigen. Es entfällt das Zählen von Minuten. Neuer Maßstab für die Beurteilung ist der Grad der Selbstständigkeit. Das ist ein lang ersehnter Paradigmenwechsel - alles in allem ein großer Fortschritt in der Pflegebegutachtung.
Seit April 2014 laufen zwei Modellprojekte zur Erprobung des neuen Begutachtungsverfahrens. In der ersten Studie geht es um die Alltagstauglichkeit des Verfahrens. In allen Bundesländern werden bei den Hausbesuchen insgesamt rund 2.000 Begutachtungen nach dem alten und dem neuen Verfahren durchgeführt. Ich selber habe an einer solchen „Doppel“- Begutachtung teilgenommen. In der zweiten Studie wird bundesweit bei nochmals rund 2.000 Pflegebedürftigen aus etwa 40 Pflegeheimen ermittelt, welcher Versorgungsaufwand die neuen Pflegegrade in stationären Pflegeeinrichtungen auslösen. Überprüft wird die Praxistauglichkeit folgender Begutachtungs-Module, die wiederum in differenzierte Items unterteilt sind:
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung (Nahrungsaufnahme, Sich-Kleiden, Körperpflege, Ausscheidungen)
- Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen
- Gestaltung des Alltagslebens und soziale Kontakte
- Außerhäusliche Aktivitäten
- Haushaltsführung.
Statt der augenblicklichen drei Pflegestufen gibt es künftig fünf Pflegegrade. Der Grad der Pflegebedürftigkeit wird über die Beeinträchtigungen in den ersten sechs Modulen ermittelt. Die Ergebnisse der einzelnen Begutachtungsbereiche werden gewichtet und zu einem Gesamtergebnis zusammengeführt. Beeinträchtigungen bei den letzten zwei werden als Hilfebedürftigkeit verstanden, da der daraus resultierende Bedarf primär hauswirtschaftlichen oder sozialen Charakter hat. Die ausgewerteten Studienergebnisse liegen Anfang 2015 vor.
Messen Sie die große Koalition am „neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff“
2015 müssen die entsprechenden gesetzlichen Änderungen der Sozialen Pflegeversicherung im Parlament beraten werden. Da es vor der flächendeckenden Umsetzung der neuen Begutachtungssystematik noch eines Vorbereitungszeitraumes von über einem Jahr bedarf, muss das Gesetz schon 2016 in Kraft treten. Angesagt ist also weiterhin intensives gesetzgeberisches Arbeiten. Ich verspreche Ihnen: Ich bleibe am Ball!