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Hilfsbereitschaft und Zusammenhalt im Einwanderungsland Deutschland steigt

Deutschland ist ein Einwanderungsland. Dies bestätigt der mittlerweile 10. „Bericht zur Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland“ der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Der Bericht wurde von Aydan Özoguz (SPD), Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration, am 29. Oktober 2014 im Rahmen einer Pressekonferenz dem Deutschen Bundestag vorgelegt. Ich finde, der Titel des Berichtes sollte umbenannt werden, denn er betrachtet umfassend Daten zu Personen mit Migrationsbiografie, differenziert also nicht nur nach Staatsangehörigkeit. Dargestellt werden die vielfältigen Lebenslagen der Menschen mit Migrationshintergrund, von denen mehr als die Hälfte deutsche StaatsbürgerInnen sind.

Die Vorlage des Lageberichts ist ein gesetzlicher Auftrag der Beauftragten. Mit seinen über 700 Seiten stellt die Langfassung des Lageberichts ein einzigartiges Kompendium der wichtigsten Statistiken, wissenschaftlichen Untersuchungen und demoskopischen Erhebungen der letzten zwei Jahre im gesamten Themenspektrum dar. Im Mittelpunkt des 10. Lageberichts stehen die Bereiche Bildung - von der frühkindlichen Bildung bis zum Studium - sowie der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Er stellt die rechtliche Situation von BürgerInnen der Europäischen Union und von ZuwandererInnen aus Drittstaaten dar. Ausführlich wird die Situation von Menschen mit Aufenthalt aus humanitären Gründen, Asylsuchenden und Flüchtlingen beschrieben. Zudem führt er detailliert auf, wo BürgerInnen mit Zuwanderungsgeschichte diskriminiert werden, wo und in welcher Form ihnen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und gezielte Ausgrenzung entgegenschlägt.

Wir leben in einer Bevölkerung der gesellschaftlichen Vielfalt. Der Anteil der Menschen mit ausländischen Wurzeln nimmt zu: Jeder fünfte in Deutschland lebende Mensch hat einen Migrationshintergrund - 16,3 Millionen Menschen, davon 18,3 Prozent türkischer und 9,4 Prozent polnischer Herkunft. 

Mehr als die Hälfte der 8,9 Millionen MigrantInnen besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. Gestiegen ist die Zahl der Einbürgerungen: von 101 570 im Jahr 2010 auf 112 353 im Jahr 2013. In den einzelnen Bundesländern und Kommunen gibt es zwischenzeitlich sehr erfolgreiche Einbürgerungskampagnen.

Zu Recht nimmt Ausgrenzung und Diskriminierung im 10. Lagebericht in seinen vielen Facetten einen breiten Raum ein: Fremdenfeindliche Straftaten nehmen nach einem Rückgang seit 2011 wieder zu, 2013 im Vergleich zum Vorjahr um 11 Prozent auf 3248. Zu 97 Prozent wurden sie von rechten Straftätern begangen.

Einwanderungsland Deutschland: Versäumnisse beheben

Im Einwanderungsland Deutschland - laut OECD weltweit sogar das zweitbeliebteste Zuwanderungsland -  haben wir immer noch viele aktuelle Herausforderungen, die den Versäumnissen der Vergangenheit geschuldet sind. Andererseits verursachen wir auch heute erneut die integrationspolitischen Probleme von morgen.

Die soziale Herkunft entscheidet in Deutschland immer noch zu oft über Bildungserfolg bzw. -isserfolg. Im Schulabgangsjahr 2012 blieben 11,6 % der ausländischen SchülerInnen an den allgemeinbildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss und 5,4 % der deutschen SchülerInnen. Gefordert sind mehr gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern. Wir brauchen einen quantitativen und qualitativen Ganztagsschulausbau. 11 Prozent der jungen Deutschen bleiben ohne Berufsabschluss, bei jungen Menschen zwischen 20 und 29 Jahren mit ausländischem Pass sind es fast dreimal so viele, nämlich 30,5% Prozent. Viele finden keinen Ausbildungsplatz, weil BewerberInnen mit Einwanderungsgeschichte bei der Ausbildungsplatzsuche diskriminiert werden. Von Armut bedroht sind Menschen mit ausländischen Wurzeln mehr als doppelt so häufig wie Deutsche. Selbst MigrantInnen mit Abitur sind häufiger von Armut bedroht als Deutsche mit Hauptschulabschluss.

Gesundheitliche Lage von MigrantInnen und Flüchtlingen verbessern

Der Lagebericht zeigt: Wir können noch lange nicht von gleichberechtigter Teilhabe im Gesundheitswesen sprechen. Es gibt erheblichen Nachholbedarf, damit wirklich alle Menschen eine gute Gesundheitsversorgung - auch im Alter, und auch ohne gesicherten Aufenthaltsstatus - erhalten. Häufig sind sprachliche und kulturelle Hürden der Grund dafür, dass MigrantInnen zu wenig von der gesundheitlichen Prävention und Versorgung profitieren. Das betrifft besonders ZuwandererInnen ohne ausreichenden Krankenversicherungsschutz sowie Flüchtlinge und Asylsuchende, deren Gesundheitsversorgung auf eine Akutbehandlung beschränkt ist.

Gerade unter den älteren MigrantInnen spricht ein hoher Anteil nicht ausreichend Deutsch, um Informationsmaterialien zu verstehen, sich selbst aktiv zu informieren oder ihre Beschwerden verständlich mitzuteilen und einem Arzt-Patienten-Gespräch vollständig zu folgen. Vielen sind Vorsorgeuntersuchungen und die Behandlung chronischer Erkrankungen unvertraut.

Das Gesundheitswesen steht vor der Herausforderung, zeitgemäße Antworten auf die gesellschaftliche, religiöse, kulturelle und sprachliche Vielfalt zu finden. Menschen mit Migrationshintergrund dürfen nicht nur als PatientInnen, sondern müssen auch als Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der Versorgung von Pflegebedürftigen präsent sein.

Zu stärken ist die interkulturelle Öffnung im Gesundheits- und Pflegebereich. Diese muss fester Bestandteil der Organisationsstrukturen, der Datenerhebung, der Öffentlichkeitsarbeit, der Aus- und Fortbildung sowie der medizinischen und pflegerischen Betreuung werden.

Zusammen mit der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration werde ich für die kommende Zeit der Legislatur einen Schwerpunkt auf diesen Bereich im Gesundheitswesen und in der Pflege legen. Die interkulturelle Ausrichtung ist sowohl im gesetzgeberischen Bereich als auch in der Forschung, in den stationären und ambulanten Einrichtungen und in der Aus- und Fortbildung sowie der Beratung und Selbsthilfe erforderlich.

Einwanderungsland Deutschland: Flüchtlingsrechte ausbauen

Menschenrechtskrisen zwingen derzeit immer mehr Frauen, Männer und Kinder zur Flucht aus ihrer Heimat. Das führt zu einem deutlichen Anstieg der Asylanträge: 2012 wurden 77.651 Asylanträge gestellt, 2013 waren es 127.02, für 2014 werden ca. 200.000 Asylanträge erwartet. Die Anerkennungsquote stieg seit 2011 von 29 Prozent auf nunmehr 44,1 Prozent. Es ist positiv zu vermerken, dass wir heute eine grundsätzlich andere gesellschaftliche Grundstimmung haben als vor 20 Jahren. Eine große Hilfsbereitschaft zur Unterstützung von Flüchtlingen ist vor Ort spürbar. Aktuell nimmt Deutschland knapp 30 Prozent aller Flüchtlinge in der Europäischen Union auf. Das  „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ ist noch keine Realität. Hierüber muss auf europäischer Ebene aber dringend gesprochen werden: Wir brauchen in absehbarer Zeit in Europa ein solidarisches, leistungsfähiges und gerechtes europäisches Asylsystem.

Auch in der Flüchtlings- und Asylpolitik dürfen wir die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen: Gekommen sind Menschen, die sich hier an ihrem neuen Zufluchtsort ein neues Leben aufbauen müssen bzw. wollen. Die allermeisten haben nicht die Chance, nach zwei, drei Jahren wieder in ihr Heimatland zurückzugehen. Es ist daher sehr positiv, dass die Bundesregierung nun beschlossen hat, weite Teile der Residenzpflicht abzuschaffen, genauso wie das Sachleistungsprinzip und die Vorrangprüfung für Asylsuchende und Geduldete, die eine Arbeitserlaubnis haben. Viele der uns gekommenen bzw. bereits anwesenden Menschen sind gut qualifiziert und engagiert. Ihnen allen wird so ein selbstbestimmtes Leben erleichtert. Schneller ermöglicht werden muss der Zugang zu Deutsch- und Integrationskursen, SchülerInnen müssen zügig ins Schulsystem integriert und den Älteren Alternativ-Angebote gemacht werden. Wir brauchen und wir wollen eine gute Willkommens- und Akzeptanzkultur. Wir wollen Chancengleichheit für alle.