(Erschienen in der Berliner Stimme, 8.11.2014, S. 7, Nr. 22, 64. Jahrgang)
Mechthild Rawert zur Reform des Paragraphen 177
Ein wirklicher Fall: Eine Frau trennt sich von ihrem Freund, zieht aus der gemeinsamen Wohnung aus. Nach einiger Zeit taucht der Ex-Freund in der neuen Wohnung auf, in der sie sich mit dem neuen Lebensgefährten befindet. Er zieht eine Schusswaffe und erschießt ihren Partner. Der Ex-Freund zwingt die Frau ihm in die alte Wohnung zu folgen. Dort verlangt er den Beischlaf. Die Frau wehrt sich nicht, lässt die sexuellen Handlungen über sich ergehen. Der Mann wird festgenommen. Es kommt zur Anklage wegen Mordes und Vergewaltigung. Verurteilt wird der Täter „nur“ wegen Mordes, im Fall der Vergewaltigung wird er frei gesprochen. Denn, so das Urteil: Es liegt keine fortgesetzte Gewalt oder Drohung vor.
In Deutschland werden Vergewaltigungen kaum angezeigt. Bei den angezeigten Taten kommt es nur zu wenigen Anklagen und zu noch weniger Verurteilungen. Dies ist ein Skandal.
Durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird der § 177 Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung des Strafgesetzbuches sehr eng ausgelegt: eine Drohung oder Gewaltanwendung muss bis zur sexuellen Handlung fortgesetzt werden. Im konkreten Fall wusste die Frau, dass der Täter seine Waffe nutzt und hat sich aus Angst nicht gewehrt. Da der Täter sie aber nicht direkt bedroht sondern „nur“ Gewalt gegen den Partner ausgeübt hatte, reichte rechtlich Drohung oder Gewaltanwendung für eine Verurteilung nicht aus.
Rechtsschutzlücken schließen
Das deutsche Strafrecht muss beim § 177 StGB Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung und beim § 179 Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen dringendst geändert werden. Hier existieren rechtliche Schutzlücken, die nur durch eine gesetzliche Neufassung geschlossen werden können. ExpertInnen aus Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt, RechtsanwältInnen und StaatsanwältInnen fordern ebenso wie die ASF auf ihrer letzten Bundesfrauenkonferenz klare Rechtsnorm, die es bewirken, dass strafwürdiges Verhalten angeklagt und verurteilt wird.
Voraussetzung zur Ratifizierung der Istanbul Konvention schaffen
Gelegenheit ist jetzt: Deutschland hat bereits 2011 das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt - kurz Istanbul-Konvention - unterzeichnet. Wir müssen sie nun ratifizieren. Als engagierte ASF-Frau, als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und dort Mitglied des verantwortlichen Ausschusses für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung will ich: Wie von der Istanbul-Konvention gefordert muss unser Strafrecht abstellen auf Nichteinvernehmlichkeit von sexuellen Handlungen. Sexuelle Gewalt, einschließlich sexuelle Nötigung und Vergewaltigung, liegt als Straftat immer dann vor, wenn „nicht einvernehmliche sexuelle Handlungen“ geschehen.
Nein ist nein
Wir brauchen in Deutschland klare Rechtsnormen. Eine Strafrechtsnorm, die für die Menschen nicht nachvollziehbar ist, weil sie Handlungen, die als verwerflich und strafwürdig empfunden werden, nicht ahndet, wirkt nicht handlungsanleitend für das eigene Verhalten. Wir brauchen außerdem eine gesamtgesellschaftliche Debatte über die Verwerflichkeit von sexuellen Nötigungen und Vergewaltigungen. Ziel dabei ist die gesellschaftliche Ächtung dieser Taten.
Zur beidseitig einvernehmlich Sexualität gehört die sprachliche Verständigung, gehört die vorherige Kommunikation. Erst wenn beide sich geäußert haben, besteht für diese Situation beidseitig Klarheit.