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Papst Franziskus im Europarat: Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat unerlässlich

Im Anschluss an seine Rede vor den ParlamentarierInnen der 28 EU-Länder besuchte Papst Franziskus in Straßburg auch den Europarat. Der Europarat umfasst 47 Mitgliederstaaten, darunter auch Russland und die Ukraine. Auch hier ging seine Heiligkeit nicht direkt auf den Ukraine-Konflikt ein. Er rief zum Engagement für den Frieden auf. Es genüge nicht, die Kriege einzudämmen und die Kämpfe einzustellen. Notwendig sei die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Wahrer Frieden gründe stets auf der „Versöhnung der Menschen” und könne nicht aufgezwungen oder zweckbedingt sein. Mit seinem Besuch folgte der Papst einer Einladung, die der Generalsekretär des Europarates Thorbjørn Jagland während einer Privataudienz im Vatikan ausgesprochen hatte.

An der Sitzung nahmen alle Ratsinstitutionen teil. Seine Heiligkeit wurde von Generalsekretär Thorbjørn Jagland, vom Premierminister Belgiens Charles Michel (im Namen des belgischen Vorsitzes des Ministerkomitees), von der Vorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung Anne Brasseur, vom Präsidenten des Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates Jean-Claude Frécon, vom Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Dean Spielmann, vom Menschenrechtskommissar Nils Muižnieks und dem Präsidenten der Konferenz der internationalen Nichtregierungsorganisationen Jean-Marie Heydt herzlich begrüßt.

Begrüßungsrede von Thorbjørn Jagland, Generalsekretär des Europarates

Thorbjørn Jagland begrüßte Papst Franziskus im Europarat, dem Haus der Demokratie, als Staatsoberhaupt und gleichermaßen als einen spirituellen Führer, dessen Weisheit für viele Millionen EuropäerInnen eine Quelle der Inspiration sei.

Er betonte, dass sich nach den vergangenen schrecklichen Kriegen auf diesem Kontinent die Welt vom Nationalismus Richtung Internationalismus bewegt habe und dass die Souveränität der Staaten auch die Menschenrechte schütze. Zum Schutz eben dieser Menschenrechte sei hier in Straßburg eine regelrechte Maschinerie geschaffen worden.

Dabei stehe der Mensch im Zentrum aller Aktivitäten, so wie es auch der Papst immer tue. Religion, Herkunft, sexuelle Orientierung, Gender, Alter dürften nicht dazu dienen, die Rechte einer Person und seine Menschenwürde zu limitieren. Damit dieses nicht geschieht, kann jeder Europäer, jede Europäerin beim Europäischen Gerichtshof Gerechtigkeit auch gegen den eigenen Staat suchen.

Eine weitere Botschaft des Papstes sei: “Wir müssen die Ausgegrenzten einbeziehen”, denn ausgegrenzte Menschen - seien es arbeitslose junge Menschen, Wohnungslose, ImmigrantInnen, Roma oder andere diskriminierte Minderheiten - seien keine Last oder eine Bedrohung für einen Staat. Sie sind vor allem eine enorme ungenutzte Ressource.

Thorbjørn Jagland richtete eine Botschaft an uns PolitikerInnen: Wenn wir als PolitikerInnen dieser Auffassung sind, sei es auch unsere Pflicht, die Probleme auf unserem Kontinent entsprechend zu lösen. Dafür bräuchten wir Werte und Visionen - und den Mut, hinter die heutigen Realitäten zu schauen.

Bis vor 25 Jahren habe es die Berliner Mauer gegeben, die Familien und FreundInnen trennte. Viele hätten gesagt, die Teilung Europas sei eine unabänderliche Realität. Einige PolitikerInnen jedoch haben das durch die Mauer verursachte Leid der Menschen gesehen und eine das Leid übersteigende Vision entwickelt. Diese habe uns bereit gemacht für die Wiedervereinigung des ganzen Kontinentes. Papst Johannes Paul II sei in diesem Prozess eine große Inspiration gewesen.

Heute - und hier sprach der Generalsekretär Papst Franziskus direkt an - bräuchten wir neue Quellen der Inspiration, um Mauern niederzureißen; Mauern zwischen den Machtlosen und den Mächtigen, zwischen den Armen und den Reichen, zwischen „uns“ und „den anderen“.

Wenn wir uns wie der Papst um andere Menschen sorgten, dann könnten wir besser verstehen, dass die in der Ukraine gezogene Mauer die Integrität des Staates verletze und erneut Individuen und Familien voneinander trennt. Das dürfe weder akzeptiert noch unterstützt werden.

Werte und der Glaube können trennende Mauern niederreißen, so Thorbjørn Jagland und forderte, dass wir uns alle stark machen für ein geeintes auf Gerechtigkeit basierendes Europa.  

Begrüßung von Papst Franziskus durch Anne Brasseur, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung

Auch Anne Brasseur, Präsidentin der Parlamentarischen Versammlung, nahm Papst Franziskus in Empfang. Sie betonte in ihrer Rede, dass in der Parlamentarischen Versammlung Demokratie, Menschenrechte und der Dialog zu Hause seien. Diese Institution mit ihren aus 47 Staaten kommenden Mitgliedern stehe steht für die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und für Europa einende Werte. Die Stärke und der große Erfolg eines geeinten Europas fußen auf diesen gemeinsamen Werten verbunden mit dem Respekt vor unserer Verschiedenheit.

Papst Franziskus spreche sich - wie auch schon in Lampedusa - gegen die „globalisierte Gleichgültigkeit“ aus, die uns in unseren Gesellschaften weniger sensibel für das Leid der anderen machten. Der deutsche Philosoph Karl Jasper habe gesagt, dass Gleichgültigkeit die sanfteste Form der Intoleranz sei. Gegen diese Gleichgültigkeit müssten wir ankämpfen, damit der Prozess der Globalisierung ein menschlicher und demokratischer werde.

Im Namen der Parlamentarischen Versammlung äußerte Anne Brasseur, dass wir das Engagement des Papstes hinsichtlich Migranten und anderer vulnerablen Gruppen begrüßen. Die religiöse Dimension gehöre im Rahmen eines interkulturellen Dialogs mitbeachtet. Begrüßt wird die Absicht des Papstes zur Schaffung einer neuen Agora, einer Plattform für Dialog und Austausch. In Zeiten wie diesen, wo einzelne Gewalt predigen, im Namen des Glauben Gewalttätigkeiten ausübten und ganze Gemeinschaften und Kulturen zerstörten, und die wahre Botschaft von Religion leugneten, sei dieses wichtiger denn je. Sie ruft alle RepräsentatInnen religiöser und säkularer Bewegungen auf, sich jeglichen Formen von Gewalt und Hasse entgegenzustellen. Religion sei keine Rechtfertigung für die Verletzung von Menschenrechten.

Der Wunsch seiner Heiligkeit, bestimmte Traditionen ändern zu wollen, werde von uns ParlamentarierInnen voll unterstützt. Wir alle wissen aber, wie schwierig dies sei: Als Beispiel verwies Brasseur auf ihr aktives Engagement für die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen. Der heutige Internationale Tag gegen die Gewalt gegen Frauen zeige auf, wie lang der Weg sei, den wir noch vor uns haben.

Nur zusammen können wir unsere Werte verteidigen. Vor 25 Jahren habe Papst Johannes Paul II geholfen, die Berliner Mauer niederzureißen. Zwischenzeitlich gibt es auf der Welt neue Mauern, nicht nur aus Stein sondern noch schlimmer in unseren Köpfen. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, diese nieder zu reißen. Alles andere würde unserer Hauptaufgabe widersprechen.

Ansprache von Papst Franziskus an den Europarat

Ich bin zu diesem besonderen Ereignis des Papstbesuches gefahren, um diesen einmal „live“ zu erleben, bin aber auch gefahren, um zu erleben, was der erste nichteuropäische Papst den europäischen Institutionen, zuerst dem Europaparlament und dann dem Europarat, in Straßburg zu sagen hat.

Bereits in seiner Rede im Europäischen Parlament hatte Papst Franziskus Europa vorgeworfen, in eine gewisse Schläfrigkeit verfallen zu sein. Doch wie kommt Europa aus dieser Schläfrigkeit wieder heraus? Dadurch, dass Europa nicht stehen bleibt, sondern überschreitet, aus sich selbst heraus geht. Diese in seinen Predigten und Texten immer wieder genannten geistigen Ratschläge wandte er vor den VertreterInnen des Europarates auf gesellschaftliche, geistige und politische Probleme an.

„Ganz Europa in dieser Aula zugegen“

In Straßburg versammelt waren die Parlamentarische Versammlung des Europarats, die Vertreter der Mitgliedsländer, die Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wie auch die verschiedenen Einrichtungen, die den Europarat als solchen bilden. "Tatsächlich ist fast ganz Europa in dieser Aula zugegen, mit seinen Völkern, seinen Sprachen, seinen kulturellen und religiösen Ausdrucksformen, die den Reichtum dieses Kontinentes ausmachen", so Papst Franziskus.

Anliegen: Frieden

Das erste Anliegen des Europarats und deswegen das erste Anliegen der Rede des Papstes war der Frieden. Der Weg zum Frieden bestehe darin, „im anderen nicht einen Feind zu sehen, der bekämpft werden muss, sondern einen Bruder, der anzunehmen ist. Es handelt sich um einen ständigen Prozess, der niemals als gänzlich vollendet betrachtet werden kann“, so Papst Franziskus. Für den Aufbau des Friedens sei es erforderlich, „die Handlungen zu fördern, die eine neue Dynamik in der Gesellschaft erzeugen und weitere Menschen sowie Gruppen einbeziehen, die diese entwickeln, bis sie in wichtigen historischen Ereignissen Frucht bringen.“ Es bedürfe eines ständigen Weges der Humanisierung. "Um das Gut des Friedens zu gewinnen, muss man vor allem zum Frieden erziehen, indem man eine Kultur des Konfliktes fernhält, die auf die Angst vor dem anderen, auf die Ausgrenzung dessen, der anders denkt oder lebt, ausgerichtet ist. Freilich darf der Konflikt nicht ignoriert oder beschönigt werden; man muss sich ihm stellen. Wenn wir uns aber in ihn verstricken, verlieren wir die Perspektive, die Horizonte verengen sich, und die Wirklichkeit selbst zerbröckelt. Wenn wir in der Konfliktsituation verharren, verlieren wir den Sinn für die tiefe Einheit der Wirklichkeit, halten die Geschichte an und verfallen der inneren Zermürbung durch fruchtlose Widersprüche."

Frieden ist mehr als das Nichtvorhandensein von Krieg

Leider gebe es auch in Europa immer noch Konflikte, Schmerz und auch Tote, so der Papst: "Darum ist das Werk des Europarates auf der Suche nach einer politischen Lösung der gegenwärtigen Krisen wichtig und ermutigend." Friede sei aber nicht bloß das Nichtvorhandensein von Kriegen, Konflikten und Spannungen - der Papst warb hier für ein positives Verständnis von Frieden, wie Europa ihn wünsche.

Wahrheit gibt Raum für Freiheit

Das Europa, welches der Europarat vertrete, habe den Weg der Menschenrechte, der Demokratie und des Rechtsstaates gewählt, um den Frieden zu fördern, würdigte der Papst die Staatengemeinschaft. Damit sie dies auch weiterhin tun könne, müsse sie ihre eigenen Wurzeln kennen und diese auch nutzen. Das lehre zum Beispiel, dass man nach Wahrheit suchen müsse, so Franziskus. Wahrheit, das unbeeinflusste Gewissen und das Erkennen der Würde gehörten zusammen, führte der Papst aus. Nur mit Blick auf die Wahrheit gebe es deswegen den Raum der verantwortlichen Freiheit.

Globalisierung der Gleichgültigkeit

"Man muss sich zudem vor Augen halten, dass ohne diese Suche nach der Wahrheit jeder zum Maß seiner selbst und seines Handelns wird und so den Weg zur subjektivistischen Behauptung der Rechte bahnt. Auf diese Weise wird der Begriff der Menschenrechte, der von sich aus Allgemeingültigkeit besitzt, durch die Idee des individualistischen Rechts ersetzt. Das führt dazu, sich im Grunde für die anderen nicht zu interessieren und jene Globalisierung der Gleichgültigkeit zu fördern, die aus dem Egoismus entspringt und Frucht eines Menschenbildes ist, das unfähig ist, die Wahrheit aufzunehmen und eine authentische soziale Dimension zu leben", so Papst Franziskus. Ein solcher Individualismus mache menschlich arm und kulturell unfruchtbar. Dieser „gleichgültige Individualismus“ entspräche einer Wegwerf-Kultur, in der wir nicht mehr fähig sind, „authentische menschliche Beziehungen aufzubauen, die von der Wahrheit und von gegenseitiger Achtung geprägt sind“.

Müdes Europa

Europa gebe heute „das Bild eines verletzten Europas“ ab. Heute scheine es so, als ob für das europäische Anliegen, den Frieden zu sichern, nicht mehr viel Lebenskraft und Energie da: "Ein etwas müdes und pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von den anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt. Wir können Europa fragen: Wo ist deine Kraft? Wo ist jenes geistige Streben, das deine Geschichte belebt hat und durch das sie Bedeutung erlangte? Wo ist dein Geist wissbegieriger Unternehmungslust? Wo ist dein Durst nach Wahrheit, den du der Welt bisher mit Leidenschaft vermittelt hast?"

Sich im interkulturellen Dialog einschließlich seiner religiösen Dimension engagieren

„Von der Antwort auf diese Fragen werde die Zukunft des Kontinentes abhängen.“ Europa müsse darüber nachdenken, „ob sein gewaltiges Erbe auf menschlichem, künstlerischem, technischem, sozialem, politischem, wirtschaftlichem und religiösem Gebiet ein bloßes museales Vermächtnis der Vergangenheit“ sei. Hier spiele der Europarat eine "primäre Rolle". Die aktuellen Herausforderungen des Kontinentes verpflichteten uns zu ständiger Kreativität, „damit diese Wurzeln … zu Utopien der Zukunft“ werden. Hier könne und wolle die Kirche helfen.

"In dieser Perspektive ist der Beitrag zu verstehen, den das Christentum heute zur kulturellen und gesellschaftlichen europäischen Entwicklung im Rahmen einer rechten Beziehung zwischen Religion und Gesellschaft leisten kann. Aus christlicher Sicht sind Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft berufen, einander zu erhellen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und, falls nötig, sich wechselseitig von den ideologischen Extremismen läutern, in die sie fallen können. Die gesamte europäische Gesellschaft kann aus einer neu belebten Verbindung zwischen den beiden Bereichen nur Nutzen ziehen, sei es, um einem religiösen Fundamentalismus entgegenzuwirken, der vor allem ein Feind Gottes ist, sei es, um einer 'beschränkten' Vernunft abzuhelfen, die dem Menschen nicht zur Ehre gereicht."

Probleme des Kontinents

Er wünsche sich, dass eine neue soziale und wirtschaftliche Zusammenarbeit entstehe, die frei sei von ideologischen Bedingtheiten und die der globalisierten Welt mit Solidarität begegne, so Papst Franziskus weiter. Das brauche es auch mit dem Blick auf die Probleme des Kontinents: Jugendarbeitslosigkeit, Aufnahme von Flüchtlingen, die Armut in Europa und den Umweltschutz - dies seien dringende Themen.

 Fortsetzung der Zusammenarbeit mit dem Europarat

"Es geht darum, gemeinsam eine umfassende Überlegung anzustellen, damit eine Art 'neuer Agora' entsteht, in der jede zivile und religiöse Instanz - obschon in der Trennung der Bereiche und in der Verschiedenheit der Positionen - sich frei den anderen gegenüberstellen kann, ausschließlich bewegt von der Sehnsucht nach Wahrheit und dem Wunsch, das Gemeinwohl aufzubauen. (..) Mein Wunsch ist, dass Europa mit der Wiederentdeckung seines historischen Erbes und der Tiefe seiner Wurzeln (..) jene geistige Jugend wiederfindet, die es fruchtbar und bedeutend gemacht hat."

Nach der Rede des Papstes erhoben sich die Mitglieder des Europarates von ihren Plätzen.

Hintergrund

Der Europarat wurde am 5. Mai 1949 als erste der großen europäischen Nachkriegsorganisationen gegründet. 2014 ist sein 65-jähriges Jubiläum. Dem Heiligen Stuhl wurde am 7. März 1970 der Beobachterstatus erteilt, die Zusammenarbeit besteht allerdings schon seit 1962. Bisher besuchte erst ein Papst den Europarat: Papst Johannes Paul II wurde am 8. Oktober 1988, dem Vorabend der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestags des Rats empfangen.

Für den insgesamt vierstündigen Besuch - zuvor war Papst Franziskus Gast im Europaparlament - wurden die Autobahn und das Europaviertel großräumig abgesperrt. Etwa 1.000 PolizeibeamtInnen sorgten für Sicherheit. 

Ein Video zum Papstbesuch in Straßburg finden Sie hier.