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Rede zum Thema künstliche Befruchtung

Es gibt enormen politischen Handlungsbedarf, um den Einsatz der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland für die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten. Die Betonung einer selbstbestimmten Fortpflanzung fordert traditionelle Werte und Vorstellungen über die Gestaltung und Bedeutung von Familie heraus. Aber Familie findet in Deutschland längst in bunter Vielfalt statt – und das ist gut so.

Meine Rede zum ersten Beratung des von Bündnis 90 / Die Grünen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung (Drucksache 18/3279).

 

eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstellung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung
Drucksache 18/3279 

76. Sitzung am 18. Dezember 2014

Mechthild Rawert (SPD): 

Frau Präsidentin!

Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne und vor den Fernsehern!

Gesetzliche Krankenkassen dürfen den Kreis der Berechtigten für die Kostenübernahme bei einer künstlichen Befruchtung nicht eigenmächtig erweitern; das ist Aufgabe des Gesetzgebers, also unsere. Berechtigte auf teilweise Übernahme der Kosten einer künstlichen Befruchtung sind derzeit ausschließlich Ehepaare in einer bestimmten Altersspanne - und das auch nur bei einer homologen Insemination, also einer Befruchtung mit Samen- und Eizelle dieser Ehepartner.

Seit Jahren diskutieren wir über die Erweiterung des § 27 a SGB V „Künstliche Befruchtung“ und der dort festgelegten Bestimmungen. Ich mache es mir einfach und verweise Sie alle auf meine Website und hier die Stichworte „künstliche Befruchtung“, „Fortpflanzungsmedizin“ und Ähnliches.

- Ja , wir kommen noch darauf. - Insbesondere lade ich Herrn Hüppe ein, sich einmal auf meiner Website umzusehen;

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Sie haben noch gar nicht die Adresse genannt!)

denn dann wird er feststellen, dass wir dieses Thema schon in der letzten Großen Koalition intensiv behandelt haben. Man kann also nicht sagen: „Das ist ein rot-grünes Projekt; Schwarz hat damit nichts zu tun“ oder so ähnlich. Wir alle waren in den unterschiedlichsten politischen Konstellationen auf Länderebene und auf Bundesebene beteiligt, in welcher Form auch immer.

(Hubert Hüppe (CDU/CSU): Aber 2003 waren Sie dran!)

Liebe Katja Dörner, gerade angesichts der Historie bin ich ob des vorgelegten Gesetzentwurfes enttäuscht. Er greift inhaltlich wesentlich zu kurz.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich teile Ihr Ansinnen auf eine solidarische Finanzierung vonseiten der gesetzlichen Krankenkasse und/oder aus dem Bundeshaushalt. Ich finde es aber unlauter, dass Sie sich vor einer Bezifferung der Größenordnung in Euro drücken.

(Hubert Hüppe (CDU/CSU): Das ist allerdings richtig!)

Wer eine solidarische Finanzierung will, muss hier Transparenz vorlegen.

(Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dann freuen wir uns auf Ihren Vorschlag!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stellen wir uns der gesellschaftlichen Herausforderung, die ich pointiert beschreiben möchte mit „Kinderwunsch trifft Politik“. Dabei gilt: Ein Kinderwunsch ist weder an Geschlecht noch an Trauschein noch an sexuelle Identität noch an Einkommen, Bildungsabschluss oder sonst was gebunden. Alle diese Kriterien spielen aber eine Rolle, wenn es um die Chancen der tatsächlichen Realisierung geht. Dafür, dass es gerecht zugeht, sind wiederum wir hier verantwortlich.

Der Deutsche Ethikrat hat sich auf seiner diesjährigen Jahrestagung intensiv mit der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland auseinandergesetzt. Er hat individuelle Lebensentwürfe und auch Familienbilder debattiert. Ein Blick auf die entsprechende Website lohnt ebenfalls.

Zu den verschiedenen Formen assistierter Reproduktionstechniken wurden medizinische, rechtliche, soziale und ethische Fragen diskutiert. Es ging auch um die grundlegende Frage: „Welchen Stellenwert hat der Kinderwunsch in unserer Gesellschaft?“, bzw.: „Welchen Stellenwert sollte er haben?“. Es ist gut, dass der Deutsche Ethikrat diese Fragen immer wieder automatisch mit dem Aspekt der solidarischen Finanzierung in Verbindung setzt.

„Kinderwunsch trifft Politik“ heißt, sich in einem breiten gesellschaftlichen Spannungsfeld zu bewegen. Fakt ist, dass sich die rechtlichen Grundlagen in Deutschland in den letzten 20 Jahren kaum geändert haben. Dagegen haben aber spürbar die gesellschaftlichen Erwartungen einen Wandel vollzogen, und zwar hinsichtlich der Frage, ob und wie Fortpflanzungstechnologien angewendet werden dürfen. Diesen gesellschaftlichen Wandel machte zuletzt auch die Debatte zum Social Freezing deutlich.

Nicht thematisiert wurden in dieser Debatte allerdings wichtige Aspekte, so ging es nämlich nicht um die jungen Männer und Frauen, die in jungen Jahren an Krebs erkranken und denen mitgeteilt wird, dass sie nach einer Chemotherapie keine Kinder mehr bekommen können. Sie können heute schon ihre Eizellen oder ihren Samen einfrieren lassen, müssen dies aber privat bezahlen. In einem mir bekannten Fall musste eine Frau 2 500 Euro dafür aufbringen. Und das kann nicht jede, schon gar nicht in einer solchen Situation von heute auf morgen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wissen um die Notwendigkeit der Klärung einer Vielzahl von abstammungsrechtlichen Folgefragen der verschiedenen Methoden assistierter Fortpflanzung. Zu klären sind sowohl die Beziehungen der bei den Reproduktionstechnologien beteiligten Erwachsenen ebenso wie die im Sinne des Kindeswohls zu klärenden Rechte des Kindes. Ich begrüße es daher sehr, dass unter der Ägide von Heiko Maas ab Februar 2015 der Arbeitskreis Abstammung tagen wird.

Die Bundesregierung hat am 2. Dezember - ich dachte, darauf würde hingewiesen - die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke zum breiten Feld „Sexuelle und reproduktive Rechte und Gesundheit“ beantwortet. Ich finde, insbesondere die Antworten auf die Fragen 49 bis 51 können noch nicht das Ende der politischen Fahnenstange dieser Legislaturperiode sein.

So wird erstens festgestellt, eine Erweiterung der Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung auf unverheiratete Paare sei im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Allerdings prüfe das Bundesfamilienministerium derzeit eine Öffnung der 2012 geschaffenen Förderrichtlinie für die ergänzende finanzielle Unterstützung auch für nichtverheiratete Paare. Hier bitte ich natürlich um baldige Aufklärung, wie es mit dieser Förderrichtlinie weitergeht.

Zweitens wird festgestellt, eine Erweiterung des § 27 a SGB V auf eingetragene Lebenspartnerschaften sei „derzeit nicht beabsichtigt“. Werte Kollegen und Kolleginnen, ich bin dankbar für das Wörtchen „derzeit“, meint es doch sicherlich wohl Stand 2014.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

In dem auch von der Union unterzeichneten Koalitionsvertrag steht ausdrücklich ‑ ich zitiere ‑:

Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften schlechter stellen, werden wir beseitigen.

Unterschriften: Die Koalitionspartner.

(Hubert Hüppe (CDU/CSU): Das ist aber etwas anderes!)

Selbst wenn wir als Gesetzgeber dabei bleiben würden, nur verheiratete Paare zu unterstützen, müssen wir zumindest verpartnerte lesbische Paare wegen der Gleichbehandlung ebenso unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gebieten mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts. Wo gleiche Pflichten, da auch gleiche Rechte.

Ich finde es außerdem unsäglich, dass ein lesbisches Paar, welches durch ärztliche Unterstützung ein Kind bekommt, vor und nach der Geburt keine Sorgeerklärung abgeben kann. Sollte der gebärenden Frau ‑ was niemand wünscht ‑ bei oder nach der Geburt etwas Schreckliches zustoßen, stünde das Kind alleine da und das, obwohl es doch ‑ ich zitiere Jens Spahn ‑ in eine „gefestigte Beziehung“ von zwei Frauen hineingeboren wird. Das widerspricht dem Kindeswohl.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss: Es besteht enormer politischer Handlungsbedarf, um den Einsatz der Fortpflanzungsmedizin in Deutschland für die Zukunft verantwortungsvoll zu gestalten. Ich habe nicht alle Beispiele angeführt, weil ich dachte, dass drei Mitglieder meiner Fraktion zu diesem Thema sprechen würden. Ich empfehle deshalb die Durchsicht der Fragen 49 bis 54. Dort steht zum Beispiel, dass wir klären wollen - übrigens in dieser Legislaturperiode! -, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft gesetzlich zu regeln, die durch eine Samenspende gezeugt werden. Diese Aufgabe ist auch noch einmal schriftlich fixiert worden bei der Beantwortung dieser Fragen.

Mir ist bewusst, dass die Betonung einer selbstbestimmten Fortpflanzung traditionelle Werte und Vorstellungen über die Gestaltung und Bedeutung von Familie herausfordert. Aber Familie findet in Deutschland längst in bunter Vielfalt statt; und das ist auch gut so.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche uns allen nach diesem arbeitsreichen Jahr ein frohes Weihnachtsfest, einen guten Rutsch und erholsame Urlaubstage. Bleiben Sie gesund! Ich freue mich schon auf die Fortsetzung dieser sicherlich spannenden Debatte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)