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Gesundheit ist ein Menschenrecht

Gesundheit wissen wir meist erst zu schätzen, wenn wir krank sind. Das körperliche, seelische und geistige Wohlbefinden ist eine wichtige Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Krankheit führt zu Ausgrenzung. Aus diesem Grund muss die Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge und AsylbewerberInnen verbessert werden. Nur wer gesund ist, kann einen Sprachkurs besuchen, arbeiten und aktiv in unserer Gesellschaft teilhaben. Gleiche Rechte in der Gesundheitsversorgung bedeutet Akzeptanz und Inklusion.

Die Fachtagung „Gesundheitsversorgung und Pflege in der Einwanderungsgesellschaft“ am 21. April 2015 in der Friedrich-Ebert-Stiftung beschäftigte sich in mehreren Workshops mit den Herausforderungen und der gleichberechtigten Teilhabe im Gesundheits- und Pflegesystems.

Welche Änderungen müssen im Einwanderungsland Deutschland erfolgen?

-       Damit der steigende Anteil der SeniorInnen mit Migrationsgeschichte gleichberechtigt alle medizinischen und pflegerischen Leistungen in Anspruch nimmt. Zum Beispiel sind sie unterrepräsentiert bei Präventions- wie auch Reha-Maßnahmen.

-       Damit alle Gesundheits- und Pflegeinstitutionen ihre Angebote auf die zunehmende kulturelle und ethnische Vielfalt der Bevölkerung ausrichten. Mit allen Konsequenzen, die dieses auch für die Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal als auch für Abläufe und Denkprozesse in den Institutionen selbst hat.

-       Damit vorhandene Barrieren abgebaut werden. Zum Beispiel unzureichende Sprachkenntnisse sowie fehlendes Wissen um Ansprüche und Verwaltungsvorgänge können Hindernisse darstellen beim Zugang zum Gesundheits- und Pflegesystem für MigrantInnen, AsylbewerberInnen und Flüchtlingen. Hinzu kommt als aktuelle Herausforderung  die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen.

Die abschließende Podiumsdiskussion „Ein Gesundheitssystem für alle - Leitlinien für die Weiterarbeit“ beschäftigte sich unter anderem mit transkultureller Pflege bis hin zur Versorgung von Flüchtlingen. Ich diskutierte mit Niels-Jens Albrecht, Leiter der Arbeitsgruppe Migration und Gesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Günter Burkhardt, Geschäftsführer PRO ASYL, Viktor Ostrowski, Projekt PHOENIX Köln und Mitglied im Vorstand des Bundesverbands russischsprachiger Eltern. Die Moderation übernahm der Journalist Pitt von Bebenburg (Frankfurter Rundschau).

Medizinische Versorgung von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Berlin

Derzeit erschweren bürokratische Hürden den Zugang für AsylbewerberInnen zum Gesundheitssystem. Die Leistungen sind erfasst im § 4 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG). Das Gesetz regelt die Ausgabe von Krankenscheinen über das zuständige Sozialamt oder Gesundheitsbehörde in Fällen akuter Erkrankungen und Schmerzzustände. Der Krankenschein berechtigt zu einer Behandlung beim Arzt oder im Krankenhaus. Eine Kostenrückerstattung für den/die ArztIn oder das Krankenhaus erfolgt über das zuständige Leistungsamt.

In Berlin wird derzeitig der „Grüne Schein“ ausgeteilt. Das "Behandlungsscheinverfahren" im Asylbewerberleistungsgesetz regelt, wer leistungsberechtigt ist (§ 1) und unter welchen Umständen welche Leistungen gewährt werden (§ 4). AsylbewerberInnen ohne Krankenversichertenkarte (Aufenthalt  weniger als 15 Monate) erhalten von den Leistungsbehörden pro Quartal einen grünen Behandlungsausweis, dessen Rückseite zugleich Abrechnungsschein für die vertragsärztliche Behandlung ist und der bei Bedarf dem niedergelassenen Arzt vorgelegt wird. Der Behandlungsschein dient den ÄrztInnen zur Abrechnung sowie als Grundlage für ggf. notwendige Überweisungen an FachkollegInnen. Dieses Behandlungsscheinverfahren genannte Vorgehen wurde ursprünglich für Sozialhilfeempfangende entwickelt und ist dem Krankenscheinverfahren der Gesetzlichen Krankenversicherung nachempfunden. Das Prinzip der Ausgabe und Abrechnung wurde unverändert auf den Personenkreis nach dem Asylbewerberleistungsgesetz übertragen.

Auftretende Probleme beim Besuch einer zweiten ÄrztIn im Quartal können durch eine korrekte Ausstellung seitens der ÄrztInnen behoben werden: AsylbewerberInnen erhalten pro Person und Quartal nur einen Behandlungsschein, der der zuerst besuchten niedergelassenen ÄrztIn ausgehändigt wird und bei dieser zur Abrechnung verbleibt. Bei einer zweiten ÄrztIn fehlt dieser Behandlungsschein dem Betroffenen dann, um die Berechtigung für eine Behandlung nachzuweisen. Dies kann durch eine korrekte Ausfüllung der Überweisung aber behoben werden: Der Behandlungsschein diene als Grundlage für eine ggf. notwendige Überweisung an FachkollegInnen. Wichtig ist in diesem Fall, dass auf der Überweisung die Kostenträgerschaft entsprechend der Kennzeichnung des Behandlungsscheins vermerkt werde. Einer erneuten Bestätigung durch das Sozialamt oder den Amtsarzt, so die Auskunft der Berliner Gesundheitsverwaltung, bedürfe es dann nicht. Nach Aussagen von Dr. med. Thea Jordan, Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechtsfragen der Ärztekammer Berlin, funktioniere dieses System gut, sofern sich alle an die Regeln halten.

Viele Flüchtlingsorganisationen sehen aber das größte Manko der des novellierten Asylbewerberleistungsgesetzes in diesem § 4 AsylblG, der zu einer defizitären medizinischen Versorgung von Flüchtlingen führt. Die gute Nachricht sei aber, dass die Gesundheitsversorgung über das AsylblG nun auf einen Aufenthaltszeitraum von bis zu 15 Monaten begrenzt ist. Danach muss die Aufnahme der Flüchtlinge in die gesetzliche Krankenversicherung erfolgen.

„Bremer-Modell“ - Ein Beispiel für gelungene Entbürokratisierung

In Bremen und Hamburg erhalten AsylbewerberInnen Gesundheitskarten, mit denen sie wie alle Versicherten der gesetzlichen Krankenkasse direkt zum Arzt gehen können. Ein Krankenschein, der vom zuständigen Leistungsamt ausgegeben wird, fällt weg. Grundlage ist eine Vereinbarung zwischen der Freien Hansestadt Bremen mit der AOK Bremen/Bremerhaven auf Grundlage des § 264 Abs. 1 SGB V. Die Behandlungskosten übernimmt zunächst die Krankenkasse, bevor das Land die Kosten der Behandlung, sowie einen Verwaltungskostenanteil, an die Kasse zurückzahlt. Für die AsylbewerberInnen bedeutet die Regelung gemäß des „Bremer Modells“ einen vereinfachten Zugang zum Gesundheitssystem. Der Leistungsumfang bleibt nach § 4 Asylbewerberleistungsgesetz gleich.

Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) 2014

Neben der Verabschiedung des Gesetzes „Zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und des Sozialgesetzes“ stellt der Bund den Ländern und Kommunen 2015 und 2016 je 500 Millionen Euro zur Verfügung. Die Mittel sind bestimmt um die Belastung durch die gestiegenen Flüchtlingszahlen zu bewältigen - mit inbegriffen ist in allerdings unbestimmter Höhe die Gesundheitsversorgung.

Die Änderungen des AsylbLG vom 1. Januar 2015 sehen außerdem vor, dass die Leistungen zum Lebensunterhalt angehoben werden. Zusätzlich wurde die Residenzpflicht gelockert und ein schnellerer Zugang zu Sozialhilfen und dem Arbeitsmarkt beschlossen.

„Flüchtling sein, ist kein Beruf!“

Die Pflege leidet unter Fachkräftemangel und wirbt zunehmend um Personal aus dem Ausland. „Warum dürfen die nicht arbeiten, die schon hier sind?“- fragte Günter Burkhardt von PRO ASYL. Ich setze mich dafür ein, dass alle Personen, die eine Ausbildung, auch gerne im Bereich Pflege, hier in Deutschland beginnen, diese beenden können - unabhängig von ihrem Status.

Der schnellere Zugang zum Arbeitsmarkt ist auch insofern ein ganz zentraler Aspekt, als das sich die Migrationsstrukturen verändert haben. Viele Flüchtlinge kommen mittlerweile, um zu bleiben. Sie wollen sich ein neues Leben in Europa aufbauen, wollen ein Leben in Sicherheit. „Flüchtling sein ist kein Beruf!“- deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Menschen die hier leben auch hier arbeiten können.

Sprach- und IntegrationsmittlerInnen

Ein ganz wesentliches Problem in der Gesundheitsversorgung spielen Sprachbarrieren. ÄrztInnen verstehen die PatientInnen nicht und PatientInnen die ÄrztInnen nicht. Die Lösung: DolmetscherInnen.

Niels-Jens Albrecht, Leiter der Arbeitsgruppe Migration und Gesundheit am Universitätsklinikum- Eppendorf, stellte ganz richtig fest, dass diese Art von Dolmetschen etwas ganz anderes sei als Konferenz- oder Verhandlungsdolmetschen. Oftmals geht es um die sensible Vermittlung von persönlichen Informationen. Hinzu kommt, dass in anderen Kulturräumen unterschiedlich mit Krankheiten umgegangen wird. Die ÄrztInnen sehen sich unbekannten Erwartungen gegenübergestellt. Eine kultursensible Sprachmittlung kann Abhilfe schaffen.

Vorgestellt wurde das Pilotprojekt „Sprint“ im Bereich kultursensibler Sprachmittlung. Sprach- und IntegrationsmittlerInnen (SprInt) sind BrückenbauerInnen zwischen MigrantInnen und Fachpersonal im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Die DolmetscherInnen werden in 18 Monaten und ca. 2000 Unterrichtsstunden zu Sprach- und IntegrationsmittlerInnen ausgebildet. Damit wurde aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit ein Berufsprofil mit Qualifizierungsnachweis geschaffen. Mittlerweile sind die Sprach- und IntegrationsmittlerInnen in 8 Städten unterwegs. Seit Januar 2012 fanden 25.000 Einsätze von Sprach- und Integrationsmittlern statt (Stand: August 2014).

Transkulturelle Pflege

Im Jahr 2015 ist die zugewanderte Bevölkerung im Durchschnitt (35 Jahre) deutlich jünger als die einheimische Bevölkerung (45,9 Jahre). Schon für das Jahr 2030 sagen Schätzungen voraus, dass 15 Prozent der über 65-Jährigen einen Migrationshintergrund haben werden. Das stellt auch die Pflege vor neue Herausforderungen. Ich wünsche mir keine exklusive kulturspezifische Pflege, sondern eine transkulturelle Pflege, die sich durch ein Miteinander und Vielfalt auszeichnet.

Es gibt keine Anleitung für transkulturelle Pflege. Eine wichtige Rolle aber können MigrantInnenorganisationen spielen. Gegründet von MigrantInnen bieten sie Hilfe zur Selbsthilfe und sind ExpertInnen der jeweiligen Kultur und Sprache. Gerade im Themenfeld „Demenz und Migration“ und im Umgang mit an Demenz erkrankten PatientInnen mit Migrationsbiografie ist eine kultursensible Pflege das A und O.