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Asyl- und Flüchtlingspolitik in der EU: Alle Mitgliedstaaten müssen sich ihrer gemeinsamen Verantwortung stellen!

Der Arbeitskreis „Europa“ der SPD-Bundestagsfraktion diskutierte am 21. Mai 2015, unter der Leitung von Axel Schäfer (stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion für die Bereiche Angelegenheiten der Europäischen Union und Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), über die Asyl- und Flüchtlingspolitik in der EU. Zu Gast war Birgit Sippel, SPD-Europaabgeordnete und innenpolitische Sprecherin der europäischen SozialdemokratInnen.

Im Gespräch wurde deutlich, dass sowohl die innenpolitischen Herausforderungen Deutschlands als auch Europas beispielsweise die Eingliederung von Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt als auch die durch Migration und Flucht hervorgerufene Herausforderung der Integration Aufgaben sind, die wir in den kommenden Jahren parallel zu lösen haben. Ein entweder - oder gibt es nicht, nur ein sowohl als auch! Gefordert sind nachhaltige Lösungen und auch langfristige Investitionen.

Klar definierte Verteilungsquoten, Neuansiedlung von Flüchtlingen und eine Stärkung der Seenotrettung: Die Vorschläge der EU-Kommission in ihrer Migrationsagenda für eine neue Flüchtlingspolitik sind ambitioniert und weitreichend. Birgit Sippel machte deutlich, dass das Europäische Parlamentm mit der Europäischen Kommission hier eine gemeinsame Linie fährt. Sie fordert vom Europäischen Rat ein zügiges Nachziehen. Alle Mitgliedsstaaten seien bei der Umsetzung einer gerechten Verteilung der AsylbewerberInnen zwischen den Mitgliedstaaten, der Schaffung eines Programms zur Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Drittstaaten in der EU (resettlement) für zunächst 20 000 Menschen gefordert. Von großer Bedeutung sei auch die längst überfällige Stärkung der europäischen Seenotrettung, die auch eine Erweiterung des Einsatzradius mit umfasst.

Leider sei es bis dato so, dass der einzige Ansatz des Ministerrats, dem jeder zustimme, den Ausbau der Grenzkontrollen und mehr Sicherheitsvorkehrungen, um mehr Menschen zurückzuschicken und einen vermehrten Einsatz von militärischen Operationen umfasse. Repressive Maßnahmen sind aber keineswegs ausreichend - ich stimme dieser Aussage mit voller Überzeugung zu!

Mediale Berichterstattung

In der Diskussion wurde bedauert, dass das komplexe Thema der Migration und die damit verbundenen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen in den Medien häufig wenig sachgerecht dargestellt würden. Bedauert wird ausdrücklich, dass in den Medien überwiegend die repressiven Aspekte der neuen Migrationsstrategie im Fokus stünden.

Wir alle sind „neugierig“, wie der anstehende G7-Gipfel auf Schloss Elmau vor dem Hintergrund der Flüchtlingszahlen - rund 50 Millionen Menschen sind weltweit derzeit auf der Flucht - Verantwortung übernimmt und Vorschläge zur Beseitigung der Fluchtursachen besonders in Afrika unterbreitet. Es gelte, schwache Länder zu stabilisieren und ihnen dabei zu helfen ihrer Bevölkerung wieder Schutz, Arbeit und eine Lebensperspektive bieten zu können. Ein wichtiger Schwerpunkt des Gipfels sei die Entwicklung von „Standards in Handels- und Lieferketten“. Wir erwarten ein Signal für verbindliche Standards im sozialen und ökologischen Bereich, um Menschen vor Ausbeutung in Arbeit zu schützen.

Faire Verteilungsquote in Europa schaffen

Nach den großen Flüchtlingsdramen vor der libyschen Küste Mitte April habe es beinahe so ausgesehen, als wenn sich endlich was bewegen würde: „Sogar die europäischen Konservativen im Parlament haben ihren Kurs korrigiert und mit uns im Plenum für eine faire Verteilungsquote in Europa gestimmt!“. Aber dennoch kämen auf die, am 13. Mai von der EU-Kommission vorgelegte Migrationsagenda seither vermehrt negative Zeichen aus den Mitgliedstaaten - insbesondere bezüglich verbindlicher Verteilungsschlüssel. Diese sehen eine Verteilung aufgrund von Wirtschaftskraft, Bevölkerungsgröße, Arbeitslosenquote sowie der Anzahl der bereits aufgenommenen AsylbewerberInnen vor. Sippel verlangt, dass sich die Mitgliedstaaten grundsätzlich auf das gemeinsame Ziel einigen müssen, und lässt keinen Zweifel daran, dass das Europaparlament hier voll und ganz hinter der Kommission steht, denn „wir brauchen eine menschliche und solidarischere europäische Flüchtlingspolitik“. Der Rat müsse sich „jetzt aufraffen, damit wir uns gemeinsam an die Arbeit machen können“.

Bekämpfung der Fluchtursachen

Eine dauerhafte Lösung müsse bei den Ursachen von Flucht ansetzen, beispielsweise kriegsbedingte Armut und Instabilität oder aktuelle Bürgerkriege, so die Meinung aller Anwesenden. Die Herkunftsländer brauchen politische und ökonomische Stabilität. Ein erster Schritt sei, endlich 0,7 % des Bruttoinlandsprodukts der europäischen Staaten in Entwicklungshilfe zu investieren. Bisher tun das nur fünf Mitgliedstaaten - und Deutschland gehöre nicht dazu! Birgit Sippel wünscht sich mehr internationale Kooperationen u.a. mit China, damit nicht nur über militärische Einsätze debattiert werde. Angesichts der weltweiten Verschärfung der Flüchtlingssituation müsse auch das UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) mit mehr Mitteln ausgestattet werden.

Brandgefährlich: EU-Militäreinsatz zur Zerstörung von Schleuserbooten

Birgit Sippel hält die Pläne für einen EU-Militäreinsatz vor der libyschen Küste im Kampf gegen Schlepper und zur Zerstörung von Schleuserbooten für brandgefährlich. Der Vorschlag der europäischen Außenbeauftragten Federica Mogherini war bereits bei den Außen- und VerteidigungsministerInnen nicht auf uneingeschränkte Zustimmung gestoßen. Voraussetzung seien auf jeden Fall ein UN-Mandat und ein Einverständnis der libyschen Regierung. Auch der UN-Sonderbeauftragte für Migration Peter Sutherland hat vor den Gefahren eines solchen Einsatzes gewarnt. Ein Militäreinsatz gehe völlig an dem Kernproblem vorbei: "Die Fragen, die wir uns eigentlich stellen müssen, sind ganz andere. Wie schaffen wir etwa den Zugang zu Asyl für Schutzbedürftige, die in Libyen darauf warten, per Schiff nach Europa zu kommen? Lösungen, wie Flüchtlinge über legale und sichere Wege nach Europa kommen können, gibt es leider immer noch nicht.“

Dublin-Bestimmungen und Resettlement

Die Vorschläge der Kommission stellen noch keine grundsätzliche Überarbeitung der Dublin-Regelung sicher. Birgit Sippel schlägt vor, diesen längst notwendigen Schritt 2016 im Rahmen der Bewertung der Verordnung vorzunehmen. Es könne nicht sein, dass gerade mal fünf Mitgliedstaaten über 70 % der Anträge in Europa bearbeiten. Bis Ende Mai plane die EU-Kommission einen dauerhaften Notfallverteilungsschlüssel auszuarbeiten sowie einen Vorschlag für ein Europäisches Ansiedlungsprogramm für 20.000 Flüchtlinge aus Drittstaaten vorzulegen. Allerdings beschränke sich die Kommission bei der Schaffung sicherer und legaler Wege nach Europa auf ein zeitlich begrenztes europäisches Programm zur Ansiedlung von Flüchtlingen. Notwendig sei die Organisation von Anlaufstellen, in denen auch Visa ausgestellt werde.

Den Schutz Minderjähriger Flüchtlinge stärken

Europaparlament und EU-Kommission sind sich einig, dass es künftig grundsätzlich keine Rücküberstellung von unbegleiteten Minderjährigen geben soll, ganz gleich, ob die jugendliche Person bereits in einem anderen EU-Staat als seinem aktuellen Aufenthaltsland einen Asylantrag gestellt hat oder nicht. Diese Neuerung entspricht auch dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Juni 2013, welches einen besseren Schutz von Minderjährigen verlangt.

Der Innenausschuss des Europäischen Parlaments hat daher Anfang Mai einer Änderung der umstrittenen Dublin-Verordnung zugestimmt, wonach unbegleitete Minderjährige grundsätzlich nicht mehr in das Ersteinreiseland zurückgeschickt werden dürfen. Die bestehende Dublin-Verordnung sieht als Grundregel vor, dass Asylsuchende in dem europäischen Mitgliedstaat bleiben müssen, in das sie als erstes eingereist sind.

Allerdings verweigern sich die InnenministerInnen der Mitgliedsstaaten noch einer Zustimmung. Ich finde, das Kindeswohl sprich das Wohlbefinden der Minderjährigen muss an oberster Stelle stehen.

Legale Zuwanderung schaffen auch für Flüchtlinge ohne Asylanspruch

Fakt ist, dass wir in Deutschland Zuwanderung über alle Qualifikationsstufen hinweg für Ausbildungs- als auch Arbeitsplätze auch aus den Drittstaaten brauchen. Wir brauchen verstärkte Integrationskonzepte.

Ein Grund für die europäische Binnenmigration seien die ungleichen Lebensbedingungen in den einzelnen europäischen Staaten. Hier müsse noch sehr viel getan werden - auch das sei ein Beitrag zur Bekämpfung von Flucht- und Migrationsbewegungen.

Hintergrund:

Die Europäische Migrationsagenda der Europäischen Kommission

Das Europäische Parlament debattierte am 20. Mai in Straßburg die von der Kommission am 13. Mai vorgelegte “Europäische Agenda für Migration“. Diese Agenda beinhaltet sowohl Sofortmaßnahmen als Reaktion auf die Krisensituation im Mittelmeer als auch notwendige, in den kommenden Jahren zu ergreifende Schritte, um die Migration in all ihren Aspekten besser in den Griff zu bekommen. Sie ist eine Kombination aus innen- und außenpolitischen Maßnahmen unter bestmöglichem Einsatz der EU-Agenturen und aller auf EU-Ebene verfügbaren Instrumente. Sie beteiligt alle Akteure, Mitgliedstaaten, EU-Institutionen, internationale Organisationen, Zivilgesellschaft, Behörden und Drittstaaten.

Deutlich ist, dass das Europäische Parlament als auch die Europäische Kommission weiter Druck auf die Mitgliedstaaten ausüben wird. Insbesondere bei der Frage zu sicheren Wegen und der solidarischen Aufnahme von Flüchtlingen ist die Kluft hinsichtlich eines umfassenden Ansatzes zu Asyl- und Einwanderungspolitik unter den Mitgliedsstaaten aber noch tief.