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SPD-Konferenz: „Verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik - Jetzt!“

Mit den Herausforderungen verantwortungsvoller Flüchtlingspolitik beschäftigte sich die SPD-Konferenz am 4. Juni 2015 im Willy-Brandt-Haus. Welch hohen Stellenwert die Flüchtlingspolitik für die SPD besitzt, zeigte die hochkarätige Besetzung mit Sigmar Gabriel, SPD-Vorsitzender und Bundeswirtschaftsminister, Joseph Muscat, Ministerpräsident der Republik Malta, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Aydan Özoğuz, SPD-Vize und Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Oppermann, SPD-Fraktionschef und Wilhelm Schmidt, Präsident der Arbeiterwohlfahrt. In gewohnt moderner Manier wurden Mitdiskutier-Angebote in den sozialen Medien geschaltet und es erfolgte eine Livestream-Übertragung.

Verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik im Fokus

Flüchtlinge aus den Krisenregionen der Welt suchen in Europa Schutz und Zuflucht. Flüchtlingspolitik ist Europapolitik, Flüchtlingspolitik ist Bundes-, Landes- und vor allem Kommunalpolitik. Im Mittelpunkt der Konferenz stand die Frage, was auf welcher Ebene geschehen muss, damit die deutsche Sozialdemokratie ihrem humanitären Anspruch und ihrem Selbstverständnis auch in Zukunft gerecht wird.

Umdenken in der Flüchtlingspolitik notwendig

Die SPD will ein radikales Umdenken in der Flüchtlingspolitik, will eine menschliche Flüchtlingspolitik mit mehr Hilfe für die Kommunen und mehr Verantwortung in vielen anderen europäischen Ländern. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel betonte: „Deutschland ist nicht überfordert. Aber wir sind ohne Zweifel stark gefordert“. Allerdings macht es die aktuelle Situation erforderlich, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Herausforderung hoher und womöglich weiter steigender Flüchtlingszahlen auch ganz praktisch im Alltag der Menschen gemeistert werden kann. Deshalb müsse der Bund die Kommunen bei den Kosten weiter entlasten, damit diese auch Spielräume für ihre eigentlichen Aufgaben behalten könnten.

Europa reagiert aus Sicht der Sozialdemokratie bisher nur halbherzig auf die Tragödie unmittelbar vor seiner Haustür. Die Beschlüsse des Sondergipfels der Europäischen Union (EU) seien ein Schritt in die richtige Richtung. Sie greifen aber zu kurz. „Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen in den kommenden Monaten und Jahren beweisen, dass sie den Friedensnobelpreis zu Recht erhalten hat“, sagte der Vizekanzler. Die Auszeichnung sei nicht nur eine Anerkennung für das Erreichte, „er ist auch eine Verpflichtung für Europa - jetzt und in Zukunft!“, so Gabriel. Verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik geht anders:

Legale und sichere Einreisewege schaffen

Nach Meinung der SPD muss die Seenotrettung im gesamten Mittelmeer stattfinden und nicht nur in der 12-Meilen-Zone vor Europas Küsten - damit nicht Tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken. Außerdem müssen die Schlepperbanden und Menschenhändler international bekämpft werden. Die Flüchtlinge brauchen legale Möglichkeiten für die Einreise nach Europa. „Warum können wir die syrische Flüchtlingsfamilie nicht mit der Fähre nach Europa kommen lassen?“, fragte Gabriel. Momentan zwingt man sie - bei einer fast 100-prozentigen Anerkennungschance in Europa - mit den Wracks und Gummiboten der Schleuser über das Mittelmeer zu kommen. „Deshalb fordern wir humanitäre Visa und ein Resettlement-Programm der EU, das diesen Namen verdient!“, so der SPD-Vorsitzende.

Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge

Europa muss sich mehr anstrengen, um etwas gegen die Ursachen für die Flucht zu tun. Ziel ist es, dass viele Menschen wieder in ihrer Heimat leben können. Alle Politikfelder sind gefordert, die Außen- und Sicherheitspolitik aber auch die Wirtschafts-, Handels-, Fischerei-, Agrar-, Entwicklungs- und Einwanderungspolitik. „Wir brauchen eine systematische Politik. Und wir brauchen einen langen Atem. Denn wer die Situation in den Herkunftsländern der Flüchtlinge kennt, der weiß, dass die Herausforderungen riesig sind.“

Kommunen helfen und entlasten

Die SPD setzt sich zudem für mehr Hilfe für unsere Städte und Gemeinden ein. „Für die Kommunen ist diese Herausforderung besonders groß. Finanziell und logistisch“. Deswegen will die SPD, dass der Bund sich dauerhaft und substanziell an den steigenden Kosten der Kommunen beteiligt. Allein 2015 kosten die Unterbringung, Betreuung, die Integration und die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen mindestens 3,5 Milliarden Euro. Das ist mehr als doppelt so viel, wie noch vor fünf Jahren. Hier muss der Bund den Ländern und Kommunen deutlich mehr helfen.

Integration fördern

„Hierzu haben wir Vorschläge gemacht“, erklärt der SPD-Vorsitzende. Zum Beispiel durch die Übernahme der Gesundheitskosten, die Unterbringung und die Versorgung und durch ein gemeinsames Wohnungsbauprogramm. Alle, die hier bleiben, müssen schnell Deutsch lernen. Auch hier muss der Bund helfen. In Arbeitsgruppen zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern wird derzeit hart darum gerungen, was der Bund auf den Weg bringen kann. Entscheidungen sollen in den nächsten zwei Wochen getroffen werden.

Solidarität in Europa einfordern

Die SPD will ein gemeinsames europäisches Asylrecht. Dazu gehört auch, dass alle Staaten der Europäischen Union Verantwortung übernehmen und solidarisch teilen. Bislang nehmen nur fünf der 28 EU-Staaten drei Viertel aller Asylsuchenden auf. Das muss sich ändern. Die Frage nach einer Aufnahmequote oder einem Verteilungsschlüssel ist für die Zukunft „von entscheidender Bedeutung“. Im Rahmen einer „Verantwortungsgemeinschaft“ seien alle gefordert: die Menschen in unserem Land, die Kommunen, die Bundesländer und die Europäische Union mit allen ihren 28 Mitgliedstaaten.

Flüchtlinge und Europa - eine maltesische Perspektive

Joseph Muscat, Ministerpräsident der Republik Malta, begrüßte die Vorschläge der EU-Kommission für eine fairere Verteilung von Flüchtlingen. Er schilderte drastisch, wie das Mittelmeer zum Massengrab wird und forderte von der europäischen Staatengemeinschaft mehr Solidarität ein. "Unser Mittelmeer ist zu einem Friedhof geworden für jene, die ihren Familien ein besseres Leben bieten wollten." Er kritisierte mit Blick auf diese Tragödien, dass Europa sehr schnell gewesen sei, „Banken zu retten - aber blind, Flüchtlinge zu retten." Der Ministerpräsident wies darauf hin, dass Malta derzeit sein gesamtes Militär zum Aufsuchen und Retten von Flüchtlingen einsetzt.

Verantwortung und Herausforderungen der Länder und Kommunen

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer verwies auf die erheblichen Herausforderungen für Länder und Kommunen durch die steigende Zahl der Flüchtlinge. Sie pochte auf einer "strukturellen Beteiligung des Bundes an den Kosten der Flüchtlingsunterbringung" sowie bei der Gesundheitsversorgung. Außerdem mussen Asylverfahren beschleunigt werden, damit die Flüchtlinge besser und schneller integriert werden können.

Gesundheitskarten und frühzeitige Integrationskurse für alle Flüchtlinge

Auch die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Flüchtlingsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz forderte Gesundheitskarten für alle Flüchtlinge. Derzeit müssen AsylbewerberInnen sich jeden Arztbesuch vorher vom Sozialamt genehmigen lassen. Dort entscheiden medizinische Laien, ob die Behandlung einer Krankheit angebracht sei oder nicht. Dies ist gefährlich für die Flüchtlinge - und teuer für die Kommunen. Es gibt mit Hamburg und Bremen gute Modelle: Hier werden Flüchtlinge zwar nicht - wie eine gesetzlich versicherte Person - Mitglied in der Krankenkasse aber von dieser betreut. Die Integrationsbeauftragte forderte auch frühzeitige Integrationskurse für alle Flüchtlinge. Sie betonte zudem nachdrücklich, dass sie einen sicheren Aufenthaltstitel für die Flüchtlinge erreichen wolle, die eine Ausbildung machen.