(Erschienen in: ts aktuell, Ausgabe Nr. 17, Juni/Juli 2015)
Besatzungskinder und die Frage: Wer ist mein Vater?
Die Frage der eigenen Herkunft und Identität bewegt jeden Menschen. Während die einen mit einem sicheren Gefühl aufwachsen, da sie beide Elternteile kennen, quälen sich andere ein Leben lang mit den existenziellen Fragen „Von wem stamme ich ab?“ und „Wer bin ich?“. Besonders viele Kriegskinder, die einen ausländischen Soldaten zum Vater haben, treibt die Frage nach ihrer Herkunft um.
Besatzungskinder: Zwischen Stigmatisierung und Integration
In Deutschland sind zwischen 1945 und 1955 bis zu 250 000 Kinder geboren worden, die eine einheimische Mutter und einen Soldatenvater aus den USA, der Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich haben. Sie sind mittlerweile 60 bis 70 Jahre alt. Vielfach wurden die Umstände ihrer biologischen Herkunft verleugnet, verheimlicht und vertuscht. Zahlreiche Mütter hüllten sich ihr Leben in Schweigen.
Etliche der Kinder wuchsen vaterlos auf- ein Schicksal das sie nach dem Krieg mit rund 2,5 Millionen Halbwaisen und rund 100.000 Vollwaisen teilten. Stigmatisierender als die Abstammung vom ehemaligen Feind war oft der Status „unehelich“, gerade in streng religiösen Milieus. Schätzungsweise 30 Prozent der „Kinder des Krieges“ sind in Heimen groß geworden. Einige der Mütter heirateten, dem Kind wurde nichts über die Herkunft gesagt, es spürte aber, dass „irgendetwas nicht stimmte“. Andere Mütter blieben ihr Leben lang alleine, vielleicht um sich, das Kind oder auch beide zu schützen.
Lernen aus der Geschichte?
Diese „Kinder des Krieges“ sind nun im Rentenalter und fragen wieder nach ihrer biologischen Herkunft. Mittlerweile gibt es Netzwerke, die bei der Suche nach dem Vater helfen, es gibt Literatur, und auch die Wissenschaft hat sich des Themas angenommen. Eine der Forderungen an die Politik ist leichterer Zugang zu Archiven im In- und Ausland. Unklar ist auch, ob die Kinder der Betroffenen Akten einsehen dürfen. Nützlich wäre auch Ansprechstellen für die „Kinder des Krieges“ im In- und Ausland.
Lernen für Gegenwart und Zukunft
Um die Rechte dieser Kinder als auch ihrer Mütter zu stärken, müssen Rechtsfragen und Zuständigkeiten geklärt werden. Denn die Kinderrechte sind von Land zu Land unterschiedlich. Das führt zu Nachteilen unterschiedlicher Art für Kinder mit Eltern aus verschiedenen Staaten. Zudem können Rechte nur eingefordert werden, wenn die Kinder ihre Identität kennen. Für „Kinder des Krieges“ war und ist aber gerade das ein Problem. Manche Kinder kennen weder Vater noch Mutter oder nur ein Elternteil. Auch die, die ihre Eltern kennen, wissen oft nicht, welche nationale Identität sie wählen sollen oder wie sie von der Kinderkonvention garantierte Rechte einfordern können. Helfen könnte hier die Einführung eines „Additional Protocol for Children Born of War“.
Mechthild Rawert