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Persönliche Erklärung: Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlandes

Erklärung nach § 31 GO von MECHTHILD RAWERT zum Antrag (18/5780) des Bundesministeriums der Finanzen „Stabilitätshilfe zugunsten Griechenlands hier: Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 4 Absatz 1 Nummer 2 des ESM-Finanzierungsgesetzes (ESMFinG)“ am 19. August 2015

Ich stimme der Vereinbarung über ein ESM-Programm für die Hellenische Republik zu. 

Ich stimme zu, weil die Mehrheit der deutschen als auch der griechischen Bürgerinnen und Bürger ein Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum ablehnt und gemeinsam für eine gerechte europäische Sozial- und Wirtschaftspolitik, für eine europäische Integration und ein Europa des Friedens, der Freiheit und der Demokratie eintritt. Außerdem hat Deutschland Europa und damit auch Griechenland in vielerlei Hinsicht unendlich viel zu verdanken.

Ich begrüße sehr, dass nach der Zustimmung des Deutschen Bundestags zur Aufnahme von Verhandlungen am 17. Juli 2015 zügig Gespräche und Vereinbarungen erreicht werden konnten. Es ist ein wichtiger Erfolg, dass mit der Umsetzung des ESM-Programms ein drohendes Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro-Währungsraum verhindert werden kann. Dies ist insbesondere das Verdienst der SPD sowie der sozialdemokratisch und sozialistisch regierten Mitglieder der Eurogruppe, die sich stets gegen ein (auch zeitweises) Ausscheiden Griechenlands verwahrt haben.

Das vorliegende ESM-Programm ist in vielerlei Hinsicht besser als frühere Programme. Von besonderer Bedeutung sind dabei die in Aussicht gestellten Schuldenerleichterungen für die Hellenische Republik und die notwendige Lockerung der Konsolidierungsziele. Diese Einsicht ist der Tatsache geschuldet, dass angesichts des hohen Schuldenstands und der kritischen ökonomischen Lage Griechenlands nicht alle notwendigen Ziele - Konsolidierung und Schuldenabbau, nachhaltige Strukturreformen und Impulse für neues Wachstum - gleichzeitig erreicht werden können. Das zur Abstimmung stehende ESM-Programm erlaubt durch Anpassung der Haushaltsziele an die gegebenen Möglichkeiten Griechenlands die Konzentration auf Strukturreformen und Wachstumsimpulse.

Umfangreiche und effektive Strukturreformen sind unausweichlich, um einen funktionierenden Sozialstaat und eine Daseinsvorsorge für alle in Griechenland sicherzustellen, um die öffentliche Verwaltung effektiver und transparenter zu machen und Korruption zu bekämpfen und den Kampf gegen Steuerhinterziehung - auch durch wirksame strafrechtliche Bestimmungen - zu stärken. Nicht nur in Griechenland sondern in ganz Europa ist die Bekämpfung von Steuerbetrug eine wichtige gemeinsame Aufgabe. Ich betone deshalb auch die Bedeutung der weiteren Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der - mit und auch ohne weitere finanzielle Beteiligung - bei der fachlich und sozial angemessenen Definition der Reformschritte mitwirken soll.

Die griechische Wirtschaft ist auf eine nachhaltige Wachstumsstrategie angewiesen, die  durch ein umfangreiches EU-Investitionsprogramm angeschoben werden muss. Für eine Wiederbelebung privater Investitionen in Griechenland ist es umso wichtiger, dass die Unsicherheit über den Verbleib der Hellenischen Republik im Euro-Währungsraum vom Tisch ist. Ich bin auch davon überzeugt, dass sich Ausstiegsszenarien Einzelner zu Mitgliedern des derzeitigen Euro-Währungsraumes in Zukunft nicht wiederholen werden.

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Europäische Union einen unverzichtbaren Beitrag zu Frieden, Völkerverständigung und gegenseitiger Solidarität leistet. Die Gemeinschaftswährung ist Ausdruck dieser europäischen Integration und von großer ökonomischer Bedeutung für sämtliche Mitgliedstaaten des gemeinsamen Währungsraums und der Europäischen Union insgesamt. Die Menschen in Europa stehen zum Euro - auch die Menschen in Griechenland und in Deutschland.

Mit großer Sorge verfolge ich die soziale Situation in Griechenland - die hohe Arbeitslosigkeit, die weit verbreitete Armut und die unzureichende medizinische Versorgung der Menschen. Die durch konstruktive Verhandlungen der griechischen Regierung und der Finanzminister der anderen Euro-Mitgliedstaaten zügig erreichten Vereinbarungen sollen nun der dramatischen sozialen Lage abhelfen. Europa insgesamt muss sich daran messen lassen, dass Europäerinnen und Europäer nicht in sozialem Elend leben müssen.

Umso wichtiger ist es, bei der Umsetzung der Strukturreformen soziale und ökonomische Erfordernisse gemeinsam zu betrachten. Da soziale Gerechtigkeit maßgeblich von öffentlicher Infrastruktur abhängt, appelliere ich nachdrücklich, im Rahmen der verabredeten Privatisierungsvorgaben die Handlungsfähigkeit der Hellenischen Republik im Bereich der Daseinsvorsorge nicht einseitig den kurzfristigen Erlöszielen unterzuordnen. Privatisierungsvorgaben dürfen nicht dazu führen, im Interesse privater Investoren die öffentliche Infrastruktur unter Wert veräußern zu müssen. In Deutschland selbst lassen sich dafür zahlreiche - letztlich beim einsichtsvollen Rückkauf teure - Beispiele aufzählen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Krise und die bisher dominierende Austeritätspolitik zu einer Verschärfung der sozialen Situation in Griechenland insbesondere zulasten der Menschen mit geringem Einkommen geführt haben: Lohnsenkungen um fast 40 %, durchschnittliche Rentensenkungen um 48 %, drastische Einkommensverluste der ärmsten Haushalte, eine Steigerung der Arbeitslosigkeit auf 27 %, bei Jugendlichen auf über 50 % und die steigende Zahl der Suizide um rund 35 % sind Ausdruck dieser dramatischen Entwicklung.

Die Einigung auf ein gemeinsames Vorgehen aller Europartner begreife ich deshalb als Start für eine neue, integrierte Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik der EU insgesamt.

Sie muss ausgerichtet sein auf die Reduzierung makroökonomischer Ungleichgewichte, insbesondere der Leistungsbilanzunterschiede, die auf die von Deutschland maßgeblich forcierte Politik der Wettbewerbsfähigkeit und Austerität zurückgehen. Die zukünftige Wirtschaftspolitik der EU, die einen Schwerpunkt auf gemeinsame Programme zur Bekämpfung von Jugendarbeitslosigkeit, auf stärkere europäische Kompetenzen sowie auf eine verbesserte Regulierung der Kapitalmärkte legen muss, ist die entscheidende Voraussetzung für den Erfolg des heute vorliegenden ESM-Programms. Die Entscheidung zu einer gemeinsamen, nationale Interessen ausgleichenden Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU ist auch notwendige Bedingung dafür, eine ökonomische Spaltung Europas und die drohende wirtschaftliche Destabilisierung weiterer Europartner zu verhindern. Ich erwarte ausdrücklich, dass auch die Konservativen ihr leichtfertiges Kokettieren mit einem Kerneuropa ökonomischer Stärke unterlassen.

Wir dürfen nicht zulassen, dass in der Europäischen Union und der Eurogruppe gegenseitiges Vertrauen verloren geht und nationale Interessen europaweite Konflikte nicht abzusehenden Ausmaßes auslösen. Zunehmendem Nationalismus trete ich entschieden entgegen.

Bei meiner Entscheidung geht es nicht nur um Griechenland - es geht um ein Europa, welches basiert auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. In diesem Europa, in dem jeder Mensch die gleiche Würde hat, wollen wir gemeinsam in Frieden mit unseren Nachbarn leben.