13. - 16. September 2015, Europabüro der Friedrich-Ebert-Stiftung Brüssel
Europa erlebt derzeit die größte Fluchtbewegung seit den 1950er-Jahren. Laut Angaben des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) sind derzeit mehr als 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Obwohl Europa im globalen Vergleich wenige Geflüchtete aufnimmt, stellen die Flüchtlingszahlen auch die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedsstaaten vor Herausforderungen. Vielfach kritisiert wird die unzureichende Umsetzung bestehender EU-Regulierungen im Bereich der Migrations- und Asylpolitik auf nationaler Ebene.
Deutschland kennt sich mit Zu- und Einwanderung aus. Denken wir nur an die erfolgreiche Integration der 12 Millionen Geflüchteten und Vertriebenen in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Trotz der zu diesem Zeitpunkt vielfältigen persönlichen Katastrophen durch Obdachlosigkeit, Hunger, Verlust von Angehörigen, Flucht und Vertreibung, Kriegsbeschädigung und Gefangenschaft , die häufig auch noch lange nachgewirkt haben, hat das demokratische Deutschland diese Herausforderung gemeistert - sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich. Ab den 50er Jahren wurden gemeinsam die sozialen Strukturen einer modernen Industriegesellschaft aufgebaut.
FES: Für eine kohärente europäische Migrations- und Asylpolitik
Wie können wir die akuten und langfristigen Probleme der Migrations- und Asylpolitik lösen? Warum stellt sich die Kooperation der Nationalregierungen Europas so schwierig dar? Wie hilfreich und sinnvoll sind die jüngsten Vorschläge zu einem europäischen Umverteilungsschlüssel oder zu den sicheren Herkunftsstaaten?
Zu diesen Fragen lud die Friedrich-Ebert-Stiftung im September 2015 zu einem Dialogprogramm „Ziele und Handlungsfelder einer kohärenten europäischen Migrations- und Asylpolitik“ nach Brüssel ein. Es nahmen EntscheidungsträgerInnen der deutschen und europäischen Migrations- und Asylpolitik teil, die in Gesprächen mit VertreterInnen der europäischen Institutionen und Agenturen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Think Tanks und Gewerkschaften die aktuellen Herausforderungen der europäischen Migrations- und Asylpolitik diskutierten und mögliche Lösungsansätze erarbeiteten. Diese wurden in die Brüsseler Debatten eingebracht.
Die Krise Europas
Ein gemeinsames Europäisches Asylsystem ist notwendig. Die Beschlüsse des Europäischen Rates vom 14.9.2015 über einen EU-weiten Verteilungsschlüssel machten zeitgleich die Uneinigkeit unter den europäischen Regierungen deutlich. Europa leidet unter einer doppelten Solidaritätskrise: als Wertegemeinschaft untereinander und als Wertegemeinschaft im Umgang mit Migration und Asyl.
Wege der legalen Migration
Die Schaffung von legalen Wegen der Migration ist eine zentrale Forderung der DialogpartnerInnen. Legale Migrationswege entziehen dem Menschenschmuggel und den „Schleuserbanden“ die Grundlage. Unzureichend genutzt werden existierende Möglichkeiten zur legalen Migration wie das humanitäre Visum oder das Studierendenvisum. Noch nicht effektiv genutzt wird auch das verbesserungsbedürftige Blue Card System, durch das hoch qualifizierte Arbeitskräfte eine Aufenthaltserlaubnis in der EU erhalten können. Eine nachhaltige langfristige Lösung kann nur die vollständige und einheitliche Implementierung des Gemeinsamen Asylsystems sein.
Lösungsansätze der Politik: Umverteilung und sichere Herkunftsstaaten
Begrüßt wird der Vorschlag der Europäischen Kommission und einiger Mitgliedsstaaten für einen europäischen Umverteilungsschlüssel für Geflüchtete. Angesichts der sich verschlechternden Lage braucht es allerdings auch eines Notfall-Umverteilungs-Planes, wie zum Beispiel der Notfall-Umverteilung von 120.000 Geflüchteten aus Italien und Griechenland.
Ein obligatorischer Solidaritätsmechanismus hat Vor- und Nachteile. Gefordert wird die Einbeziehung der Geflüchteten in die Entscheidungsfindung zum Aufnahmeland, um sekundäre Fluchtbewegungen zu vermeiden und langfristige Strategien zur Integration von Geflüchteten in den Aufnahmeländern zu erleichtern. Die Umverteilung sollte sich idealerweise an individuellen Faktoren wie Sprachkenntnissen und familiärem Bezug orientieren. Zu verbessern ist auch das Aufnahme- und Registrierungssystem.
Kritisch hinterfragt wird der Vorschlag einer Liste der sicheren Herkunftsstaaten: Befürchtet wird eine Verletzung des Recht auf Nicht-Diskriminierung und des individuellen Rechts auf Asyl. Außerdem ist die Idee einer solchen Liste für sichere Herkunftsstaaten nur schwer umsetzbar. Unter den EU-Ländern gibt es hierzu keinen Konsens, wie am Beispiel von Albanien oder der Türkei zu sehen ist. EU-Beitrittskandidaten müssten allerdings als sichere Herkunftsstaaten erklärt werden, ansonsten würde die EU ihre eigens festgelegten Kriterien zu Beitrittsverhandlungen in Frage stellen.
Asyl ist ein individuelles Recht, dass nicht durch Länderlisten pauschalisierbar gemacht werden kann und sollte. Solch eine Liste birgt die Gefahr, dass Minderheitenrechte in offiziell sicheren Staaten missachtet werden und bedrohte Menschen auf Grundlage dieser Liste in gefährliche Situationen zurück geschickt werden können.
Lösungsvorschläge für Wege aus den Krisen - Hin zu einer gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik?
Die EU muss dringend die Möglichkeiten zur regulären Migration erweitern. Migration kann eine Ressource sein, wenn sie gut organisiert wird.
- Um die Registrierung und Umverteilung von Geflüchteten zu erleichtern, müssen die Kompetenzen der zuständigen EU-Agenturen erweitert werden. Das European Asylum Support Office (EASO) braucht ein operatives Mandat und eine Budgeterweiterung. Dann können länderübergreifende Asylteams gegründet werden, die effektiveren Beistand für Geflüchtete leisten können.
- Auf lokaler Ebene werden derzeit viele Herausforderungen durch ehrenamtliche Arbeit bewältigt. Diese Herangehensweise ist wichtig, stellt aber keine langfristige Lösung dar. Die nationalen Regierungen müssen Strukturen aufbauen, um die Versorgung der Geflüchteten zu gewährleisten.
- Eine langfristige Lösung muss die Herauslösung des Themas Migration aus dem bloßen innenpolitischen Kontext beinhalten. Die Migrations- und Asylpolitik sollte als horizontales Thema verstanden werden. Folglich müssen auch Politikbereiche wie Außen-, Handels-, Landwirtschafts- und Entwicklungspolitik berücksichtigt werden. Dieser Ansatz kann auch zur Fluchtursachenbekämpfung beitragen.