Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales, hat ihren Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts (BGG) vorgelegt. Dieser ist am 13. Januar 2016 von der Bundesregierung beschlossen worden, die parlamentarischen Beratungen im Deutschen Bundestag können beginnen.
Die geplanten Neuerungen orientieren sich an der UN-Behindertenrechtskonvention und bringen die gleichberechtigte Teilhabe der rund zehn Millionen Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben in Deutschland weiter voran. Menschen mit Behinderungen sollen in der Mitte unserer Gesellschaft selbstbestimmt und gleichberechtigt leben können.
Hervorzuheben ist, dass das neue BGG die besondere Situation einer Benachteiligung aus mehreren Gründen, wie beispielsweise Behinderung und Geschlecht, anerkennt. Insbesondere Frauen mit Behinderungen, die leider oft mehrfache Diskriminierung erfahren, profitieren davon.
Nachhaltige Stärkung und Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
Ich begrüße den vorgelegten Gesetzentwurf gleich zu Beginn des Neuen Jahres. Bei der Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) stehen die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen im Mittelpunkt und weniger seine Einschränkungen. Diese Haltung entspricht der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und macht deutlich, dass Barrieren häufig erst in der Umwelt eines Menschen mit Behinderungen entstehen. Folgerichtig zielt das neue BGG vor allem darauf ab, für mehr Barrierefreiheit zu sorgen und mögliche Benachteiligungen von Menschen mit Behinderungen aufgrund von baulichen und kommunikativen Barrieren innerhalb der Bundesverwaltung zu beseitigen. Die Ergebnisse der 2013 bis 2014 durchgeführten Evaluation des BGG fließen ebenfalls ein.
Zu den Schwerpunkten der BGG-Novellierung zählen insbesondere:
- Die Anpassung des Behinderungsbegriffs des BGG an den Wortlaut der UN-BRK: Dieser neue moderne Behinderungsbegriff schreibt Behinderung als das Ergebnis von Beeinträchtigungen in Wechselwirkung mit Barrieren, die umwelt- oder einstellungsbedingt sind, und rückt das Ziel der Teilhabe an den verschiedenen Lebensbereichen zentral in den Vordergrund.
- Verbesserungen beim Benachteiligungsverbot: Das BGG regelt bereits ein Benachteiligungsverbot. Entsprechend der UN-BRK wird nun ergänzt, dass die Versagung angemessener Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen eine Benachteiligung im Sinne dieses Gesetzes ist. Angemessene Vorkehrungen sind Maßnahmen, die im Einzelfall geeignet und erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass ein Mensch mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen alle Rechte genießen und ausüben kann, und die Träger öffentlicher Gewalt nicht unverhältnismäßig oder unbillig belasten. Angemessene Vorkehrungen können z.B. die Hinzuziehung einer GebärdensprachdolmetscherIn, die Bereitstellung einer barrierefreien PDF-Datei oder auch eine bauliche Veränderung.
- Verbesserungen der Barrierefreiheit innerhalb der Bundesverwaltung in den Bereichen Bauen und Informationstechnik: Bereits seit 2002 sollen Neubauten und größere Um- und Erweiterungsbauten (ab 2 Mio. Euro) des Bundes barrierefrei gestaltet werden. Künftig sollen auch im Rahmen "kleiner" Baumaßnahmen zugleich Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit durchgeführt werden. So werden Bundesgebäude sukzessive im Zuge ohnehin anstehender Baumaßnahmen barrierefrei gestaltet und die Barrierefreiheit des Bundes vorangetrieben.
- Zwar sind die Internetauftritte und -angebote der Bundesbehörden bereits jetzt grundsätzlich barrierefrei zu gestalten. Diese Regelungen für ein barrierefreies Intranet und eine barrierefreie Vorgangsbearbeitung für Beschäftigte des Bundes werden nun mit dem neuen BGG ergänzt. Dies ist mit Blick auf die wachsende Digitalisierung der Arbeit und vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erforderlich.
- Die Stärkung der „Leichten Sprache“: Die Bundesbehörden sollen vermehrt Informationen in Leichter Sprache bereitstellen. Die Leichte Sprache ist bereits in der Barrierefreien-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) rechtlich verankert. Vorgesehen ist ab 2018 auch ein Rechtsanspruch auf kostenfreie Behördenbescheide in "leichter Sprache", die Menschen mit geistigen Behinderungen Behördenschreiben erklärt. Ein selbständiger Zugang zu Informationen ist Grundlage für eine selbstbestimmte Teilhabe. Die Regelungen des BGG zur Leichten Sprache finden entsprechende Anwendung im Sozialverwaltungsverfahren und bei der Ausführung von Sozialleistungen.
- Barrieren im baulichen Bereich werden zukünftig nicht nur beim Neubau vermieden, sondern sollen nun auch in Bestandsbauten angegangen werden. Eine neu einzurichtende Bundesfachstelle für Barrierefreiheit wird die Verwaltung, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft bei Fragen zum Abbau von Barrieren beraten und unterstützen.
- Zudem wird eine neue Schlichtungsstelle bei der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen errichtet. An die können sich Betroffene wenden, die der Ansicht sind, durch eine Bundesbehörde in einem BGG-Recht verletzt worden zu sein. Menschen mit Behinderungen sollen ihre Rechte so niederschwellig und zunächst außergerichtlich einfordern können. Eingeführt wird auch ein Schlichtungsverfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten verstärkt werden. Verbandsklagen nach dem BGG wird künftig ein Schlichtungsverfahren vorgeschaltet.
- Die finanzielle Förderung der Partizipation von Verbänden von Menschen mit Behinderungen, insbesondere von Selbstvertretungsorganisationen, durch das BMAS. Das Ziel ist die Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an der Gestaltung öffentlicher Angelegenheiten. Dafür stehen für 2016 Haushaltsmittel in Höhe von anteilig 500.000 Euro und ab 2017 in Höhe von einer Million Euro jährlich zur Verfügung. Gefördert werden können z.B. Verbesserungen der technischen Infrastruktur, Fortbildungen, Nachwuchsförderung und Ausgleiche für behinderungsbedingte Mehrbedarfe, also z.B. Kosten für Kommunikationshilfen, die im Rahmen der Wahrnehmung von Aufgaben für die Organisation von Menschen mit Behinderungen erforderlich sind.
Kritikpunkte der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Verena Bentele
Verena Bentele kritisierte den vorliegenden Gesetzentwurf, sie hätte auf einen "ambitionierteren Entwurf" gehofft. "Barrieren müssen wirksam und verbindlich beseitigt werden. Dies kann nicht von den Kosten abhängen." Die UN-Behindertenrechtskonvention nehme staatliche Institutionen hier in die Pflicht. Das neue Gesetz schreibe dagegen nur vor, Barrieren an Bundesgebäuden zu dokumentieren. Weiter kritisierte Bentele, dass die Privatwirtschaft bei dem beschlossenen Entwurf außen vor bleibe. "Das ist für mich die größte Enttäuschung." Eingänge von Supermärkten etwa müssten auch für Menschen im Rollstuhl über Rampen einfach zu erreichen sein. Ebenso müsse es im Internet umfassende Angebote für Blinde geben.
Bundesministerin Nahles sagte, für die Ausweitung des Gesetzes auf Privatwirtschaft und Länder habe es keinen Konsens gegeben.