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Großimam al-Tayyeb: Der Islam ist eine friedliche Religion

Es war ein ungewöhnlicher Besuch im Großen Protokollsaal des Reichstagsgebäudes: Auf Einladung von Prof. Dr. Norbert Lammert, Bundestagspräsident, sprach Prof. Dr. Ahmad Mohammad al-Tayyeb am 15. März 2016 zu Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen, WissenschaftlerInnen, VertreterInnen von Religionsgemeinschaften und Botschaften. Der Großimam der ägyptischen Kairoer al-Azhar-Universität ist einer der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islam. Das Angebot zur Nachfrage im Anschluss an seine Rede zum „Friedenspotenzial des Islams“ wurde von den Abgeordneten intensiv wahrgenommen.

Scheich Ahmad Mohammad al-Tayeb hatte selbst darum gebeten, während seines Deutschlandaufenthalts vor den deutschen Abgeordneten sprechen zu dürfen. Er wolle persönlich eine globale Friedensbotschaft überbringen und um Gerechtigkeit für den Islam bitten. Der Islam sei eine Religion der Toleranz  und der Barmherzigkeit. Er habe nichts zu tun mit der muslimischen Minderheit, die Terror im Namen Allahs verbreiten.

Politik und Religion

Seine muslimischen Kolleginnen und Kollegen im Parlament hätten ihn ermuntert, der Bitte des Großimans nachzukommen, so Bundestagspräsident Lammert einführend in seiner Begrüßung. Sowohl die Politik als auch die Religion seien prägende und nachhaltige Gestaltungsbereiche einer Gesellschaft. Gerade in den modernen Gesellschaften suchten Menschen hier nach Orientierung. Gerade deshalb trügen sowohl die Politik als auch die Religion eine hohe Verantwortung. Daher bedürfe es des intensiven Dialoges zwischen politischen und religiösen VertreterInnen als auch zwischen den Religionen. Der Bundestagspräsident verwies auf das ambivalente Verhältnis von Religionen zur Toleranz, „die sie in ihren Lehrmeinungen häufig vertreten, aber in der Praxis verweigern, nach innen wie nach außen."

Lammert erinnerte an den 2007 von 138 muslimischen Führungspersönlichkeiten und Gelehrten veröffentlichten Aufruf „Ein gemeinsames Wort zwischen uns und euch“. Hier werde betont, dass die Zukunft der Welt vom Frieden zwischen Muslimen und Christen abhänge. Lammert mahnte, dass ein Frieden insbesondere im Nahen Osten nur dann möglich sei, wenn auch jüdische MitbürgerInnen in die Entwicklung eines friedvollen Zusammenlebens ausdrücklich einbezogen werden.

Frieden zwischen den Religionen

Der hohe Islamgelehrte beschrieb sich als „Muslim, der die ganze Menschheit liebt“. Er rief die europäischen Gesellschaften zu einer gemeinsamen Anstrengung für den Frieden auf. Er sei nach Deutschland gekommen mit der Bitte dem Islam Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Der Islam sei keine Religion „des Schwertes und des Krieges“, es gelte die Barmherzigkeit Gottes für alle Menschen. An die Menschen muslimischen Glaubens gewandt, sagte er: "Wer die Lehre des Propheten nicht im Rahmen der Barmherzigkeit und des Weltfriedens versteht, der verinnerlicht nicht nur falsches Wissen über den Islam, sondern verunglimpft darüber hinaus wissentlich dessen Lehren."

Der Koran steht für Glaubensfreiheit

Der Koran lehre die „absolute Glaubensfreiheit“ und rufe nicht zum Krieg gegen Andersgläubige auf. Prinzipien seiner Religion seien die Menschenwürde, Gerechtigkeit, Freiheit und Gleichheit. Diese Prinzipien hätten die selbsternannten „Gotteskrieger“ des „Islamischen Staates“ verraten. Der Dschihad sei im Islam als Kampf gegen die eigenen Begierden zu verstehen, zu bekämpfen seien Armut, Unwissenheit und Krankheit. Der Dschihad als äußere Gewaltanwendung sei nur im Falle der Verteidigung gerechtfertigt. Jedes andere Narrativ werde absichtlich als falsches Narrativ in Umlauf gesetzt. Al-Tayyeb erinnerte daran, dass es in erster Linie die Muslime selbst seien, die Opfer des Terrors sind.

Der islamische Gelehrte mahnte einen Dialog zwischen den Religionen an. Dabei zitierte er die Aussage des katholischen Schweizer Theologen Hans Küng: „Kein Frieden zwischen den Nationen, ohne Frieden zwischen den Religionen.“ Al-Tayyeb betonte die enge Verbindung der monotheistischen Religionen und zeigte sich überzeugt, dass ein besseres Verständnis zwischen Islam und Christentum zu einer Befriedung beitragen könnte. „Ich reiche Ihnen meine Hand. Reichen auch Sie mir Ihre Hand.“

Auf Nachfrage wandte sich der Großimam gegen die Vorstellung eines „europäischen Islam“ und gegen eine Aufklärung, „die den Menschen über die Religion stellt“. Es gebe nur einen Islam, der überall praktiziert werden könne. al-Tayyeb betonte erneut die Glaubensfreiheit. Der Koran sehe keine bestimmten Strafen für Konvertiten vor. Allerdings verlangten einige Überlieferungen, Konvertiten zu bestrafen, sofern der Schritt eine Gefahr für die Gesellschaft darstelle. Die Ehe einer muslimischen Frau mit einem Nicht-Muslim sei allerdings nicht möglich, da die Ehe ein religiöser Vertrag sei, so der Imam.

Aufforderung an die Muslime in Europa: Respektiert europäische Werte 

Al-Tayyeb forderte die Muslime in Europa auf, die hiesigen Werte zu respektieren und zu verteidigen. Er rief zum gemeinsamen Einsatz für den Frieden auf. Muslime wie Nicht-Muslime sollten gemeinsam jeglichen Extremismus und Terrorismus bekämpfen, um „dieser schrecklichen Epidemie Herr zu werden“. Die Werte Europas seien zu respektieren. An die Muslime gewandt, erläuterte er: "Ich möchte mich nun an die Angehörigen der islamischen Religionen hierzulande wenden, die ein integraler Bestandteil dieser Gesellschaft geworden sind, und an sie die Bitte richten, den hohen ethischen Werten ihres Gastlandes Rechnung tragen und sie bewahren. Sie sollen in ihrem Handeln die wahren toleranten Werte des Islam, die eigentlich nicht viel anders sind als die, die hier gelten, vertreten."

Diskussion mit dem Großimam

Bundestagspräsident Lammert stellte die erste Nachfrage: Ob es eine Situation gebe, in der sich Muslime auf den Koran berufen könnten, um andere Menschen zu töten?

Prof. al-Tayyeb wiederholte seine zuvor dargelegte Interpretationen des Korans: Der Islam sei eine grundsätzlich friedliche Religion, die Gewalt allenfalls zur Selbstverteidigung rechtfertige. Ein Glaube „des Schwertes und des Krieges“ sei der Islam nicht.

"Die Frau dient dem Mann aus Liebe"

Die Rechte und Pflichten im Koran gelten für alle unabhängig vom Geschlecht. Der Islam stehe für gleiche Rechte für Frauen und Männer. Schon Adam und Eva hätten eine Partnerschaft auf Augenhöhe gehabt - so hatte es der Gelehrte in seiner Rede ausgeführt.

Ich habe mich wie andere Kolleginnen auch nach der Rolle der Frau im Islam und nach der Selbstbestimmung der Frau als Staatsbürgerin erkundigt, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Gleichstellung der Geschlechter auch in christlichen Kirchen noch eine Herausforderung ist. Die Antwort hat mich und viele andere doch ziemlich „irritiert“: Eine mögliche Marginalisierung der Frau sei nicht auf den Islam, sondern auf andere Traditionen zurückzuführen. Nach islamischem Verständnis diene die Frau dem Mann nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe. Dafür sei der Mann verpflichtet, für den Lebensunterhalt der Frau zu sorgen. "Aber der Mann ist auch verpflichtet, dass er der Frau genug Geld gibt, damit sie sich schminken kann. Das ist eine Pflicht aus der Scharia. Und wenn er das nicht macht, dann wird er im Jenseits bestraft."

Bundestagspräsident Norbert Lammert hob abschließend die besondere Verantwortung von Politik und Religion für den Frieden hervor. Mit Blick auf die Notwendigkeit eines interreligiösen Dialogs forderte er eine Einbeziehung der Juden. Sie hätten den gleichen Anspruch auf Toleranz und Frieden. Nur so sei auch Frieden im Nahen Osten zu erreichen.

Hintergrund

Der 70-jährige al-Tayyeb wurde 2010 zum Großimam der al-Azhar ernannt und lehrt dort Philosophie und Theologie. Er gilt als eine der höchsten Autoritäten des sunnitischen Islams und der islamischen Rechtsprechung. Auf Einladung der Universität Münster nimmt er an einer wissenschaftlichen "Konferenz der Weltreligionen" teil und besucht dort auch das Zentrum für Islamische Theologie. Auf Einladung von Papst Franziskus wird er auch zu einem Gespräch im Rahmen einer Privataudienz in den Vatikan reisen. Nach Angaben des Vatikans wollen beide ihre Zusammenarbeit im Lichte der Gegenwart neu ausrichten, "die von Terrorismus unter religiösem Vorwand gekennzeichnet ist". Die 1998 begonnenen regelmäßigen Zusammenkünfte zwischen der Al-Azhar-Universität und dem Vatikan waren Anfang 2011 abgebrochen worden.

Die Stimme des Großimams hat Gewicht in Ägypten und weit darüber hinaus. Die Al-Azhar, im zehnten Jahrhundert gegründet, zu der eine Moschee und eine Universität gehören, ist eine der einflussreichsten muslimischen Lehrinstitute. Sie betreut drei Millionen Schüler und 350.000 Studenten. Sie bildet Imame für die islamische Welt aus, die das Bild der Religion in mehr als 50 Staaten maßgeblich prägen. Über 80 Prozent der Muslime sind Sunniten, etwa 1,6 Milliarden Menschen weltweit. Al-Tayyeb gilt als moderat, er hat sich in der Vergangenheit wiederholt für Toleranz und Respekt gegenüber anderen Religionen ausgesprochen. Nach den Anschlägen von Paris sprach er den Opfern seine Solidarität aus und fand harte Worte gegen die "Bestie Terror".